Unternehmensabspaltung und Unterlassungspflichten im IP – Gelten sie weiter? Das sagt die Rechtsprechung

PrintMailRate-it

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 20. November 2025 | Lesedauer ca. 4 Minuten



Die gesellschaftsrechtliche Abspaltung nach § 123 Abs. 2 Nr. 1 UmwG gehört zu den zentralen Instrumenten moderner Unternehmensgestaltung. Sie ermöglicht es, Betriebsteile auf einen anderen Rechtsträger zu übertragen, ohne dass die übertragende Gesellschaft vollständig erlischt. Diese Flexibilität wirft jedoch erhebliche Fragen hinsichtlich der rechtlichen Kontinuität auf – insbesondere, ob und inwieweit Unterlassungspflichten oder Unternehmensidentitäten auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen.

Die jüngste Rechtsprechung des OLG Frankfurt vom 15. September 2025 (Az. 6 W 115/25, 6 U 60/18) hat hierzu neue Maßstäbe gesetzt. Sie steht in einem komplexen Verhältnis sowohl zu früheren Entscheidungen über die Fortwirkung strafbewehrter Unterlassungserklärungen (OLG Berlin, Urteil vom ​​2.April 2012 – 52 O 123/11) als auch zur wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung „Traditionswerbung“ (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 15. Oktober 2015 – 6 U 167/14).

Der folgende Beitrag zeigt, wie die drei Entscheidungen zusammen ein kohärentes Bild des Umgangs mit Rechts-, Pflicht- und Identitätskontinuität bei Umstrukturierungen zeichnen – und welche praktischen Konsequenzen sich hieraus für Unternehmen und Gläubiger ergeben.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. September 2025 – 6 W 115/25: Keine Unterlassungsnachfolge bei Abspaltung

Im Ausgangsfall erwirkte ein Unternehmen gegen einen Wettbewerber einen rechtskräftigen Unterlassungstitel. Nach einer Abspaltung zur Aufnahme (§ 123 Abs. 2 Nr. 1 UmwG) übernahm ein anderer Rechtsträger jenen Betriebsteil, aus dem die Wettbewerbsverstöße ursprünglich herrührten. Der Gläubiger wollte nun den Unterlassungstitel gegen die übernehmende Gesellschaft vollstrecken. Das OLG Frankfurt entschied, dass die übernehmende Gesellschaft nicht Rechtsnachfolgerin im Sinne von § 727 Abs. 1 ZPO sei. Die titulierte Unterlassungsverpflichtung gehe nicht im Wege der Spaltung über, selbst wenn der betroffene Betriebsteil übertragen wurde. Auch die gesamtschuldnerische Haftung nach § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG ändere daran nichts.

Der Beschluss betont die Trennung von Vermögensübertragung und Identitätsfortsetzung. Eine Abspaltung führt lediglich zur partiellen Sonderrechtsnachfolge hinsichtlich der übertragenen Vermögensgegenstände, nicht aber zur Übertragung höchstpersönlicher Pflichten oder prozessualer Rechtspositionen. Die Unterlassungsverpflichtung, insbesondere wenn sie gerichtlich tituliert ist, stellt eine persönliche Rechtspflicht dar. Sie ist untrennbar mit dem Verpflichteten verbunden und kann nicht durch Spaltung auf einen anderen Rechtsträger „mitübertragen“ werden. Folglich ist ein neuer Vollstreckungstitel gegen den übernehmenden Rechtsträger erforderlich, selbst wenn dieser denselben Geschäftsbetrieb fortführt.

Für Gläubiger bedeutet dies eine erhebliche Hürde: Sie müssen bei Umstrukturierungen neue Verfahren einleiten, um ihre Ansprüche gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger durchzusetzen. Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit der übernehmenden Gesellschaft, schränkt aber die Effektivität des Gläubigerschutzes ein. Bemerkenswert ist, dass das OLG ausdrücklich offenließ, ob bei einer Gesamtrechtsnachfolge, etwa im Rahmen einer Verschmelzung (§ 20 UmwG), eine andere Beurteilung gelten könnte. Diese Frage bleibt für die künftige Rechtsprechung von erheblicher Bedeutung.

LG Berlin, Urteil vom 2. April 2012 – 52 O 123/11: Fortwirkung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung

In einem älteren, aber inhaltlich verwandten Fall befasste sich das LG Berlin mit der Frage, ob eine strafbewehrte Unterlassungserklärung bei Unternehmensübernahme weiterwirkt. Das Gericht entschied, dass die Verpflichtung zur Unterlassung und zur Zahlung einer Vertragsstrafe auch diejenige trifft, die das Handelsgeschäft übernimmt und unter derselben Firma fortführt. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (NJW 1996, 2866) stellte das Gericht klar: Wer ein Handelsgeschäft übernimmt, tritt grundsätzlich in die schuldrechtlichen Bindungen ein, die das Unternehmen prägen, wenn und soweit diese für den Geschäftsbetrieb von Bedeutung sind.

Die Entscheidung enthält zudem interessante prozessuale Aspekte. Das Gericht verlangte, dass die Erwerberin substantiiert nachweist, keine Kenntnis von der abgegebenen Unterlassungserklärung gehabt zu haben. Da dieser Nachweis nicht gelang, blieb sie an die Erklärung gebunden. Damit wird deutlich: Auch wenn keine formale Rechtsnachfolge im Sinne der ZPO oder des UmwG vorliegt, kann eine faktische Bindung an Unterlassungsverpflichtungen bestehen – insbesondere dann, wenn der Geschäftsbetrieb mitsamt den damit verbundenen Verpflichtungen fortgeführt wird.

Abgrenzung zum Beschluss des OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. September 2025 – 6 W 115/25

Während das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 15. September 2025 – 6 W 115/2eine strikte formale Trennung vornimmt und den Übergang von titulierten Unterlassungsansprüchen verneint, betont das OLG Berlin die wirtschaftliche Kontinuität und lässt eine Fortwirkung vertraglicher Unterlassungspflichten zu. Diese Divergenz spiegelt den Grundkonflikt zwischen formaler Rechtsnachfolge (ZPO/UmwG) und materieller Geschäftskontinuität (Handelsrecht/Wettbewerbsrecht) wider. Die Abgrenzung hängt letztlich davon ab, ob eine Verpflichtung als personenbezogen (nicht übertragbar) oder als betriebsbezogen (mit ​​übertragbar) anzusehen ist.

OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Oktober 2015 – 6 U 167/14: Unternehmenshistorie und Irreführung 

In dieser früheren Entscheidung befasste sich das OLG Frankfurt mit der Werbung mit Unternehmensgeschichte. Ein Unternehmen hatte mit jahrzehntelanger Tradition geworben, obwohl seine rechtliche Existenz erst kürzlich durch Abspaltung entstanden war. Das Gericht sah darin eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Die Werbung mit einer angeblich langen Unternehmenshistorie sei nur zulässig, wenn zwischen dem alten und dem neuen Unternehmen wirtschaftliche und organisatorische Kontinuität bestehe. Die bloße Fortführung eines Familiennamens oder die frühere Zugehörigkeit eines Gesellschafters genüge nicht.

Die Entscheidung grenzt zulässige Traditionswerbung von unzulässiger Irreführung ab. Selbst objektiv wahre Angaben können irreführend sein, wenn sie den Eindruck einer einheitlichen Unternehmensentwicklung erwecken, die tatsächlich nicht besteht. Damit verdeutlicht das OLG Frankfurt, dass rechtliche und wirtschaftliche Eigenständigkeit auch kommunikativ zu beachten sind: Wer nach einer Abspaltung oder Neugründung mit der Vergangenheit wirbt, muss klarstellen, dass keine rechtliche oder wirtschaftliche Identität mit dem früheren Unternehmen mehr besteht.

Damit ergibt sich eine dogmatisch klare Linie: Rechtliche Kontinuität entsteht ausschließlich bei gesetzlicher Gesamtrechtsnachfolge, etwa im Rahmen einer Verschmelzung. Wirtschaftliche Kontinuität, etwa durch Fortführung des Geschäftsbetriebs, kann unter bestimmten Voraussetzungen faktische Bindungen erzeugen, begründet aber keine formale Rechtsnachfolge. Wird eine solche Kontinuität ohne tatsächliche Grundlage behauptet, kann dies lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden.

Fazit und Ausblick

Die Entscheidungen zeigen, dass das Recht auf eine klare Trennung von Rechtsträgeridentität und wirtschaftlicher Fortführung Wert legt.

  • Nach OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. September 2025 – 6 W 115/25 bleibt die Unterlassungsverpflichtung strikt an den ursprünglichen Rechtsträger gebunden.
  • Nach LG Berlin, Urteil vom 2. April 2012 – 52 O 123/11 kann wirtschaftliche Kontinuität im Einzelfall dennoch zur Bindung an vertragliche Verpflichtungen führen.
  • Nach OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Oktober 2015 – 6 U 167/14 darf wirtschaftliche oder historische Kontinuität nicht überbetont oder unzutreffend dargestellt werden.

Für die Praxis folgt daraus: Unternehmen müssen bei Umstrukturierungen sorgfältig prüfen, welche Verpflichtungen übergehen (vertraglich, gesellschaftsrechtlich, wettbewerbsrechtlich) und welche Kommunikationsstrategien sie wählen dürfen. Für Gläubiger gilt es, rechtzeitig neue Titel oder vertragliche Sicherheiten zu schaffen, um die Durchsetzbarkeit von Unterlassungsansprüchen zu gewährleisten.

Der Beschluss des OLG Frankfurt vom 15. September 2025 – 6 W 115/25 schließt eine Lücke im Zusammenspiel von Umwandlungs- und Vollstreckungsrecht – sie mahnt zugleich zur Vorsicht: Eine Abspaltung kann zwar Vermögen übertragen, aber keine rechtliche Identität schaffen.​


Kontakt

Contact Person Picture

Dr. Susanne Grimm

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtschutz, Praxisgruppenleiterin IP & Media, Lead International Group IP & Media

Associate Partner

+49 711 7819 144 03

Anfrage senden

Profil

Contact Person Picture

Linus Heisrath

Rechtsanwalt

Associate

+49 711 781914 437

Anfrage senden

EXPERTEN ERKLÄREN

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu