Sanierungsstrategien im stationären Einzelhandel – ein Fallbeispiel

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von Wolfram Lenzen
 
Befindet sich ein Unternehmen in einer Krisensituation, haben Geschäftsführer und Gesellschafter unterschiedliche Handlungsoptionen. Sie können das Unternehmen als Ganzes oder in Teilbereichen veräußern, es außergerichtlich oder im Rahmen eines Insolvenzverfahrens sanieren oder es liquidieren. Bei der Entscheidung zwischen diesen Handlungsoptionen stellen sich drei wesentliche Fragen:
  1. Was passiert, wenn ein Verkauf des Krisenunternehmens scheitert?
  2. Ist eine Sanierung des Unternehmens grundsätzlich möglich?
  3. Wie teuer wird eine Sanierung des Unternehmens bzw. eine Liquidation?


Die Ausgangssituation

Das Fallbeispiel behandelt ein Unternehmen des stationären Einzelhandels mit einem knapp dreistelligen Umsatzvolumen, mehreren Hundert eigenen Stores, angemieteten Flächen in großen Multilabel-Stores und rund 1.000 Mitarbeitern. Das Unternehmen verzeichnete in den letzten drei Geschäftsjahren leichte Umsatzverluste, die sich jedoch innerhalb weniger Monate dramatisch ausweiteten – mit entsprechenden Folgen für die Ergebnis- und Liquiditätssituation des Unternehmens.
 
Der Gesellschafter befand sich bereits seit geraumer Zeit in Verhandlungen mit einem anderen Einzelhandelsunternehmen bezüglich der Abgabe einer Vielzahl der eigenen Flächen. Zielsetzung des Gesellschafters war es, für die Abgabe der interessanten Flächen eine so hohe Ablöse zu bekommen, dass der Rest des Unternehmens entweder liquidiert oder nur noch in einem sehr beschränkten Umfang fortgeführt werden könnte.
 
Im Laufe der zähen Verhandlungen und der fortschreitenden Krise des Unternehmens wies der Fremdgeschäftsführer daraufhin, dass in einem absehbaren Zeitraum eine relevante Liquiditätslücke auftreten würde. Im Gesellschafterkreis wuchs somit die Angst, dass sich nicht nur die Verhandlungsposition im Verkaufsprozess dramatisch verschlechtern würde, sondern auch, dass sich bei einem Scheitern der Verhandlungen unbekannte Risiken für die Stakeholder, bis hin zu einer ungesteuerten Insolvenz, ergeben würden.
 
In dieser Situation wurden wir beauftragt, ein Sanierungskonzept zu erstellen, das folgende Fragen beantworten sollte:
  1. Ist das Unternehmen sanierungsfähig?
  2. Welcher Liquiditätsbedarf würde sich bei einer außergerichtlichen Sanierung ergeben und welcher Liquiditätsbedarf würde sich im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ergeben?
 
Darüber hinaus lautete die Zielsetzung, die Handlungsalternativen zu kennen und so die Verhandlungsposition gegenüber dem potenziellen Erwerber der Flächen zu verbessern.
 

Die Unternehmensanalyse

Das Traditionsunternehmen hatte in den letzten drei Geschäftsjahren einen Umsatzrückgang von rund 6 Prozent p.a. zu verkraften. In den ersten vier Monaten des laufenden Geschäftsjahres betrug der Umsatzrückgang gegenüber dem Vorjahr bereits über 15 Prozent. Der erwirtschaftete Fehlbetrag belief sich in diesem Zeitraum bereits auf einen mittleren Millionenbetrag. Im Laufe des Projekts stiegen die wöchentlichen Umsatzabweichungen zum Vorjahr auf über 30 Prozent. Die kurzfristige Liquiditätsplanung zeigte, dass innerhalb der nächsten Wochen erstmalig eine Liquiditätsunterdeckung eintreten würde.
 
Die Analysen machten deutlich, dass eine kurzfristig durchgeführte, umfangreiche Neuausrichtung der Kollektion in Verbindung mit einer höheren Anzahl an Sortimentsthemen ursächlich für den starken Umsatzverlust war. Der Zeitbedarf für eine Neuausrichtung und damit auch der Wechsel in der Kundenstruktur war seitens des Unternehmens deutlich unterschätzt worden. Die alten Stammkunden wurden in den Geschäften nicht mehr fündig, Neukunden konnten in der Kürze der Zeit nicht in ausreichendem Maße aktiviert werden. Neben diesen hausgemachten Problemen kamen die typischen Strukturveränderungen des Handels hinzu, hier insbesondere die rückläufige Kundenfrequenz im stationären Handel durch den Wettbewerb im Bereich E-Commerce.
 
Da davon auszugehen war, dass das alte Umsatzniveau nicht kurzfristig wieder zu erreichen war, musste das Unternehmen neben der Überarbeitung und teilweisen „Entschärfung” der Kollektionsaussage auf ein tragfähiges Umsatz- volumen angepasst werden.
 
Hierzu wurde das Flächenportfolio analysiert und Flächen, die weder strategisch sinnvoll waren noch einen Beitrag zur Fixkostendeckung trugen, konsequent zur Disposition gestellt. Nach Festlegung eines neuen Flächenportfolios wurde die neue Personalstruktur ermittelt.
 
Weitere wesentliche Sanierungsmaßnahmen waren darüber hinaus personelle Veränderungen im Bereich Einkauf/Design, Maßnahmen im Bereich Marketing sowie der Ausbau des E-Commerce-Geschäftes.
 

Die Kosten der Sanierung

Sanierungen im stationären Handel sind typischerweise durch zwei Merkmale gekennzeichnet, nämlich eine Vielzahl von Verkaufsflächen sowie einen hohen Umfang an Verkaufspersonal. Je nach Branche können hierbei die abgeschlossenen Mietverträge über mehrere Jahre laufen – entsprechend teuer ist deren Auflösung. Ebenso können je nach Ausrichtung des Unternehmens das Alter der Beschäftigten und die Betriebszugehörigkeit vergleichsweise hoch sein.
 
Die zuvor beschriebene Analyse des Flächenportfolios ergab, dass nahezu 30 Prozent der vorhandenen Flächen geschlossen werden sollten. Hieraus resultierte ein entsprechend hoher Aufwand an Schadensersatzzahlungen oder laufenden Aufwendungen aus den gültigen Mietverträgen. Darüber hinaus war Aufwand für den Rückbau der Ladeneinrichtungen, ggf. der Verwertung nicht mehr benötigter Gegenstände des Anlagevermögens sowie Abschreibungsaufwand für Ware einzuplanen. Im Rahmen der Reduzierung des Personalbestands fielen auch Aufwendungen für Auslauflöhne und Abfindungszahlungen an.
 
Im konkreten Fallbeispiel beliefen sich die außerordentlichen Aufwendungen im Rahmen der Sanierungsplanung auf rund 18,8 Mio. Euro über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Bezogen auf alle identifizierten Sanierungsmaßnahmen wäre ein zusätzlicher Liquiditätsbedarf zur Sanierung des Unternehmens in Höhe von rd. 13,0 Mio. Euro zu decken gewesen. Das Eigenkapital wies planungsseitig einen negativen Wert von in der Spitze bis zu –20,0 Mio. Euro aus.
 
Die außergerichtliche Sanierung des Unternehmens war damit für den Gesellschafter keine ernsthafte Handlungsoption mehr. Da diese Entwicklung aufgrund der Rahmenbedingungen absehbar war, wurden die gleichen Sanierungsmaßnahmen im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens berechnet.
 
Durch die Möglichkeit der Sonderkündigung der Mietverträge und der Vereinfachung des Personalabbaus bzw. der Begrenzung der Abfindungszahlungen im Insolvenzverfahren sowie die positiven Effekte des dreimonatigen Insolvenzausfallgeldes gestaltet sich die Sanierung des Unternehmens im Rahmen eines Insolvenzverfahrens deutlich realistischer.
 
Im Zuge des Insolvenzverfahrens konnten beispielsweise die Aufwendungen für die Mietverträge um rund 8,0 Mio. Euro reduziert werden und die Abfindungskosten der freizusetzenden Mitarbeiter um rund 3,5 Mio. Euro. Durch Gläubigerverzichte entstand im Planungszeitraum eine Eigenkapitalquote von rund 60 Prozent. Durch die günstigere Maßnahmenumsetzung und das dreimonatige Insolvenzausfallgeld betrug der zusätzlich entstehende Liquiditätsbedarf in der Spitze rund 1,0 Mio. Euro im Vergleich zu 13,0 Mio. Euro im außergerichtlichen Sanierungsverfahren. Aufgrund der Besicherung wären bei der Sanierung im Insolvenzverfahren auch die finanzierenden Banken zu 100 Prozent bedient worden. Die Neukreditierung in gleicher Höhe wäre allerdings Voraussetzung gewesen.
 

Die Handlungsbewertung und das weitere Vorgehen

Die Optionsbewertung im Sanierungskonzept von außergerichtlicher Sanierung und Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens hat ergeben, dass das Unternehmen operativ sanierungsfähig war. Die Krisenursachen waren eindeutig identifizierbar und die Sanierungsmaßnahmen plausibel und nachvollziehbar. Aufgrund des Geschäftsmodells war eine außergerichtliche Sanierung nicht finanzierbar. Eine umfangreiche Optimierung des Flächenportfolios mit gleichzeitigem Personalabbau war jedoch im Rahmen einer Sanierung im Insolvenzverfahren darstellbar.

Mit diesen Erkenntnissen konnte der Gesellschafter gestärkt die weiteren Verhandlungen mit dem Investor führen – ohne sich aufgrund mangelnder Perspektiven unter Druck setzen zu lassen. Um die Sanierung des Unternehmens ggf. tatsächlich durchführen zu können, wurden alle vorbereitenden Maßnahmen wie die Erstellung einer Bescheinigung für ein §270b-Verfahren, die laufende Prüfung der Zahlungsunfähigkeit etc. vorangetrieben. Der vor diese Handlungsalternative gestellte Investor sah eine nun für ihn unkontrollierbare Situation auf sich zukommen. Vor diesem Hintergrund konnte eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung im Rahmen eines Transaktionsprozesses gefunden werden, der auf der einen Seite die Übernahme der für den Investor interessanten Flächen und auf der anderen Seite ein Zurückfahren der sonstigen übrigen Geschäftstätigkeit ermöglichte.

Kontakt

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Tobias A. Fusten

Diplom-Kaufmann

Associate Partner

+49 221 9499 095 17

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