Veränderung des Wärmebedarfs unter Berücksichtigung des menschengemachten Klimawandels

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 28. Mai 2025


​Der Klimawandel zählt zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und beeinflusst in erheblichem Maße zahlreiche Lebensbereiche. Der Energiebedarf und die damit verbundene Infrastruktur zählen auch zu diesen Bereichen. Für Energieversorgungsunternehmen ist es dabei entscheidend, die Auswirkungen veränderter Klimabedingungen auf den Wärme- und Kältebedarf frühzeitig zu erkennen und in ihre langfristige Absatzplanung zu integrieren. Mit steigenden Temperaturen und häufigeren extremen Wetterereignissen verändern sich die Anforderungen an Heiz- und Kühlsysteme in Gebäuden grundlegend.


Angesichts dieser Veränderungen stehen Kommunen und Immobilienbesitzer und Immobilienbesitzerinnen vor der Aufgabe, die Energieversorgung der Gebäude nachhaltig anzupassen. Viele Gebäude in Deutschland sind vor 1980 gebaut und energetisch ineffizient, was zu einem überdurchschnittlich hohen Energieverbrauch führt. Durch energetische Sanierung von Bestandsgebäuden kann entsprechend der Wärmebedarf langfristig gesenkt werden. Vor dem Hintergrund der ambitionierten Klimaziele Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu werden, sind Städte und Gemeinden gefordert, effektive Strategien zu entwickeln, um den Wärmebedarf zu minimieren und auf erneuerbare Energien umzustellen. Auf diese wesentlichen Hebel und die damit verbundenen Herausforderungen sind wir bereits in unserem Artikel „Betrachtung von Sanierungen bei der Transformationsplanung ist unverzichtbar​” eingegangen. Kommunen und Unternehmen sind aufgerufen, die Bedeutung der Wärmewende in ihrer gesamten Tragweite zu erfassen. Dabei spielen sowohl steuerbare als auch nicht-steuerbare Faktoren eine Rolle in Bezug auf den Wärmebedarf. In diesem Artikel widmen wir uns insbesondere dem Einfluss des bereits heute feststehenden irreversiblen Teil des Klimawandels.


Aktuelle Wärmeversorgung und -bedarf 

Um den potenziellen Wandel des Wärmebedarfs bewerten zu können, muss zunächst der aktuelle Zustand analysiert werden. Dabei dient unsere aktuelle Wärmezielscheibe 2.0​ als Grundlage.

In Deutschland ist der Wärmesektor mit einem Anteil von 55,5 Prozent am Endenergiebedarf der energieintensivste Anwendungsbereich (siehe Abbildung 1). Im Jahr 2023 entfielen von insgesamt 2.407 TWh Endenergieverbrauch etwa 1.260 TWh auf den Wärmesektor. Dadurch wird deutlich, dass der Wärmesektor eine zentrale Rolle für die Energiewende spielte.



Abbildung 1: Endenergieverbrauch in Deutschland 2023 nach Anwendungsgebieten


Der Wärmebedarf wird sowohl von eher-steuerbaren (Technologie, Umsetzung und Gebäude), als auch von nicht-steuerbaren Faktoren (Standort und Außentemperaturen) beeinflusst. Im Folgenden wird der Einfluss des menschengemachten Klimawandels betrachtet.

Einflussfaktor Klimawandel

Die Untersuchung der Wärmebedarfsveränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel konzentrierte sich vor allem auf die Analyse von Temperaturdaten während der Heizperioden, um mögliche Trends aufzuzeigen. Dabei wurden langfristige Temperaturdaten aus den Herbst- und Wintermonaten seit 1960 sowie spezifische Temperaturdaten der Heizperiode (1.9 – 31.5) ab dem Jahr 2014 ausgewertet (siehe Abbildung 3 und Abbildung 4).1 2 3 4     



Abbildu​ng 3: Mittlere Temperaturen während des Herbsts/Winters in Deutschland 1960 – 2024
(eigene Darstellung)


Auch wenn der langfristige Trend der Klimaerwärmung eindeutig ist, dürfe besonders kalte Tage nicht ausgeschlossen werden. Solche Temperaturschwankungen sind Teil der natürlichen Variabilität des Klimasystems. Dennoch beobachten Expertinnen und Experten, dass sich extreme Wetterereignisse und Temperaturrekorde in den letzten Jahren zunehmend häufen. Dies betrifft sowohl die ungewöhnlich milden Tage während der Heizperiode als auch Kältewellen, die jedoch immer seltener auftreten. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass diese Häufung von Extremereignissen eng mit den Veränderungen durch den menschengemachten Klimawandel verknüpft ist.5




Abbildung 4: Mittlere Temperaturen während der Heizperioden in Deutschland (eigene Darstellung)


Zwar lässt sich der Klimawandel nicht an einzelnen Wetterereignissen festmachen, doch die zunehmende Häufung und Intensität milder Winter und außergewöhnlich warmer Monate spricht eine deutliche Sprache. So war der Winter 2023/2024 bereits der 13. milde Winter in Folge6 und auch der Februar7 sowie der Herbst 20248 zählten zu den wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In der Folge lag der Heizbedarf in Deutschland von September 2023 bis April 2024 rund 10 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres und hatte damit den niedrigsten Wert seit über einem Jahrzehnt.9 Diese Entwicklungen verdeutlichen: Der Klimawandel verändert das Heizverhalten spürbar und wirkt sich direkt auf die Nachfrage nach Wärme aus, mit unmittelbaren Folgen für die Absatzplanung von EVUs.

Einfluss auf den Wärmebedarf

​In Bezug auf die Auswirkungen von Temperaturveränderungen auf den Wärmebedarf wurde eine gemeinsame Analyse der Technischen Universität (TU) Graz und der TU-Freiberg herangezogen.10 Hierbei wurden Testreferenzjahre (TRY) sowie entsprechende Jahresdurchschnittstemperaturen auf Basis von Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) veröffentlicht (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: TRY und Jahresdurchschnittstemperaturen

Bezeichnung
​Zeitraum
Jahresdurchschnittstemperatur
​TRY 2004 Standard-Referenzperiode​
​1961 – 1990
​8,8°C
​TRY 2010 derzeitiges Klima
​1988 – 2007
​9,5°C (+0,7 K)
​TRY 2035 Klima zur Mitte des 21. Jahrhunderts
​2021 – 2050
​10,7°C (+1,9 K)
​TRY 2085 Klima zum Ende des 21. Jahrhunderts
​2071 –​ 2100
​12,2°C (+3,4 K)

Laut dieser Analyse wird der Heizbedarf bis Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich um etwa 25 Prozent sinken, während der Kühlbedarf um 50 Prozent ansteigt. Bis zum Jahr 2100 wird laut diesen Berechnungen der Heizwärmebedarf um insgesamt rund 30 Prozent zurückgehen, während der Kühlbedarf sich nahezu verdoppelt (siehe Abbildung 5).11



Abbildung 5: Entwicklung des Nutzenergiebedarfs bis zum Ende des 21. Jahrhunderts
(eigene Darstellung in Anlehnung an „Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiebedarf von
Gebäuden und den Ertrag erneuerbarer Energien“ von A. Hermann et al.)

Basierend auf den Daten des DWD, die milder werdende Temperaturen während der Heizperioden prognostizieren, sowie der Analyse der TU-Graz und der TU-Freiberg, wurde im Rahmen dieses Projekts die potenzielle Einsparung des Wärmebedarfs modellhaft ermittelt und formalisiert. Dabei wurden zwei Szenarien für eine durchschnittliche Wohnung in Deutschland betrachtet.

Erste Annahme: Die „6%-Regel“

Die „6%-Regel”​ besagt, dass eine Absenkung der Raumtemperatur um 1°C zu einer Heizenergieeinsparung von etwa 6 Prozent führt. Die Hochschule Biberach12 überprüfte diese Regel mithilfe eines Simulationsmodells und kam zu dem Ergebnis, dass Einsparungen sogar zwischen 6,9 und 8,2 Prozent möglich sind. Für die Berechnungen im Projekt wurde mit einer Einsparung von 6 Prozent pro zusätzlichem Grad Außentemperatur gerechnet. Daraus ergibt sich ein möglicher Rückgang des Wärmebedarfs um 9,6 Prozent im Jahr 2023 gegenüber der Referenzperiode 
1961 –​ 1990.



Abbildung 6: Mögliche Veränderung im Wärmebedarf unter der Annahme der „6%-Regel”

Zweite Annahme: 25 Prozent weniger Heizbedarf bis 2050

Laut der Studie der TU Graz und TU Freiberg könnte der Heizbedarf bei einer angenommenen Temperatursteigerung von 2°C bis Mitte des Jahrhunderts um rund 25 Prozent sinken. Dies entspricht einer Einsparung von 12,5 Prozent pro Grad. Unter dieser Annahme würde der Wärmebedarf im Jahr 2023 um etwa 20 Prozent unter dem Niveau der Referenzperiode liegen.



Abbildung 7: Mögliche Veränderung im Wärmebedarf unter der Annahme der Studie TU Graz / TU Freiberg

Beide Ansätze deuten übereinstimmend darauf hin, dass milder werdende Winter den Heizbedarf künftig deutlich senken könnten. Während die „6%-Regel“ eine eher konservative Reduktion von knapp 10 Prozent ansetzt, zeigen langfristige Projektionen ein Einsparpotenzial von bis zu 20 Prozent, abhängig vom betrachteten Zeitraum und der Methodik.

Ein ergänzender Analyseansatz untersuchte die Temperaturdifferenzen zwischen bestimmten Jahren, etwa zwischen dem Baujahr eines Gebäudes und dem aktuellen Jahr oder dem Vergleich aufeinanderfolgender Jahre. Ziel war es, den Zusammenhang zwischen Baualtersklassen, Energieeffizienz und Temperaturverlauf besser zu verstehen. So zeigt sich etwa, dass bei einem Altbau aus dem Jahr 1963 im Vergleich zum Jahr 2023 eine mögliche Einsparung von rund 1.890 kWh pro Jahr erreicht werden kann. Im kurzfristigen Vergleich, z. B. von 2022 zu 2023, beträgt die Einsparung lediglich 54 kWh. Dies unterstreicht, dass signifikante Einsparungen vor allem durch langfristige Erwärmungstrends sichtbar werden.

Noch deutlicher fällt der Effekt aus, wenn zusätzlich Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt werden. So könnte der Wärmebedarf einer durchschnittlichen Wohnung im Jahr 2023, im Vergleich zur Referenzperiode 1961 – 1990 und bei einem Übergang vom teilsanierten zum vollsanierten Zustand, um bis zu 27,6 Prozent gesenkt werden. Der energetische Zustand eines Gebäudes ist somit ebenfalls ein entscheidender Faktor bei der Analyse des zukünftigen Wärmebedarfs und der Planung von Dekarbonisierungsmaßnahmen. Die im Rahmen dieses Projekts entwickelte Berechnungsformel bietet zusammen mit dem Rödl & Partner Tool zur Bestimmung von Sanierungseffekten eine hilfreiche Orientierung, um erste Abschätzungen über die Wirkung klimatischer Veränderungen auf den Wärmebedarf zu treffen.

Bedeutung für Stadtwerke und die Transformationsplanung

Für Stadtwerke ist eine belastbare Prognose zur Entwicklung des zukünftigen Wärmebedarfs ein zentraler Baustein der Transformationsplanung. Klimabedingte Veränderungen wirken sich direkt auf die Nutzung von Wärmenetzen aus: Zwar sinkt der mittelfristige Wärmeabsatz infolge milderer Winter und effizienterer Gebäude, die notwendige Leistung muss jedoch weiterhin vorgehalten werden, etwa für Kälteperioden oder Verbrauchsspitzen. Damit entstehen neue Herausforderungen für die wirtschaftliche Ausgestaltung von Infrastruktur und Betriebsstrategien. Diese Erkenntnisse, die sich auch im Rahmen unseres jährlichen Fernwärme-Benchmarking zeigen, werden von uns bei der Erstellung von Kommunalen Wärmeplanungen, bei entsprechenden Transformationsplänen und der Berechnung von Fernwärme-Preissystemen beachtet.

Sie haben Fragen zur kommunalen Wärmeplanung ode​r der Umsetzung der Dekarbonisierung
der Wärmenetze? Sprechen Sie uns gerne an!


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B.Sc. Energie- und Umwelttechnik, M.Sc. Wirtschaftsingenieurwesen

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