Internationale Mindestbesteuerung: Fragen über Fragen

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veröffentlicht am 8. Dezember 2021 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Nach vielen Jahren intensiver, internationaler Verhandlungen haben am 8. Oktober 2021 insg. 136 Mitglieder der OECD bzw. G20 der gemeinsamen Erklärung eines sog. Zwei-Säulen-Konzepts zur Bewältigung der steuerlichen Heraus­for­der­ungen, die sich aus der Digitalisierung der Wirtschaft ergeben, zugestimmt. Ziel des Zwei-Säulen-Konzepts ist es, sicher­zu­stellen, dass multi­nationale Unternehmen (MNUs) in allen Staaten, in denen sie tätig sind und Gewinne erzielen, eine ange­messene, eine „gerechte“ Steuer zahlen. Durch die Neuordnung der internationalen Be­steue­rungs­­rechte erhoffen sich die beteiligten Staaten, die internationalen Steuervorschriften in das 21. Jahrhundert zu überführen. Welche Erwartungen aus Sicht der Praxis an Säule Zwei des Konzepts, die sog. globale Mindestbesteuerung, zu stellen sind und was nach den aktuellen Verhandlungsergebnissen bereits als gesetzt gelten kann, soll im folgenden Beitrag zusammengefasst werden.


Mit Säule Zwei wird das Ziel verfolgt, einen globalen Mindeststeuersatz auf Unternehmensgewinne in Höhe von 15 Prozent einzuführen. Er soll für alle MNUs mit einem Konzernumsatz über 750 Mio. Euro gelten. Ersten Schätzungen der OECD zufolge wird dadurch mit jährlich weltweit etwa 150 Mrd. US-Dollar zusätzlichen Steuereinnahmen gerechnet. Die Mehreinnahmen sind insbesondere auch darauf zurückzuführen, dass Niedrigsteuer-Oasen ausgetrocknet werden und die Gewinne der größten und profitabelsten MNUs zwischen allen Staaten verteilt werden sollen, in denen die Unternehmen tätig sind. Weitere Vorteile erhofft sich die OECD aus der Stabilisierung des internationalen Steuersystems und einer erhöhten Steuersicherheit für Steuerpflichtige und Finanzverwaltungen.


Aufbau der Mindeststeuer

Die Einführung der Säule Zwei folgt in ihrer Grundkonzeption dem Gedanken einer Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne, und zwar unabhängig davon, in welchen Staaten ein erfasstes MNU tätig ist. Dabei soll die Mindeststeuer nur eine Untergrenze für den Steuerwettbewerb bilden; eine Höchstgrenze wird indes nicht verfolgt. Im Konkreten besteht die zweite Säule nach den abgestimmten Ausarbeitungen der OECD zunächst aus zwei ineinandergreifenden Regeln („Global Anti-Base Erosion Rules” bzw. „GloBE-Regeln”) zur Verhin­derung der Aushöhlung der Steuerbasis. Bei diesen Regeln handelt es sich erstens um die sog. „Income Inclusion Rule” (IIR), nach der die niedrig besteuerten Einkünfte eines MNU bei der Muttergesellschaft einer Nachbesteuerung zugeführt werden sollen. Sofern die niedrig besteuerten Einkünfte des MNU nicht nach der IIR besteuert werden, soll zweitens eine sog. „Undertaxed Payment Rule” (UTPR) Anwendung finden. Sie zielt auf ein Betriebs­ausgaben­abzugs­verbot bzw. eine gleichwertige Anpassung im anderen Staat ab. Der Mindeststeuersatz beträgt nach den Plänen der OECD sowohl für die IIR als auch die UTPR einheitlich 15 Prozent.

Zusätzlich soll zudem eine sog. „Subject to Tax Rule” (STTR) eingeführt werden. Die Regelung sieht eine Quellenbesteuerung auf bestimmte Zahlungen (Zinsen, Lizenzgebühren und eine Reihe anderer Zahlungen) vor, die im Staat des Empfängers unterhalb des Mindest­steuersatzes besteuert werden. Dabei sind die nach der STTR erhobenen Steuern auf die nach den GloBE-Regeln erhobenen Steuern anre­chen­bar. Der Steuersatz für die STTR soll 9 Prozent betragen. Eine Besonderheit der Regelung ist, dass Staaten mit einem Körper­schaft­­steuer­satz von unter 9 Prozent auf Zahlungen, die unter die STTR fallen, die Regelung verbindlich in ihre bilateralen Doppel­besteue­rungs­abkommen (DBA) mit Ent­wicklungs­ländern aufnehmen müssen, wenn sie durch ihre Vertragspartner dazu aufgefordert werden.


Details der GloBE-Regeln

Nach Auffassung der OECD folgen die GloBE-Regeln einem gemeinsamen Ansatz (sog. „common approach”). Das bedeutet, dass die Staaten des Inclusive Framework nicht verpflichtet sind, die Regeln zu übernehmen. Sofern sich ein Staat jedoch für die Umsetzung der Regeln entscheidet, sind sie in einer Weise umzusetzen, die mit den nach Säule Zwei vorgesehenen Ergebnissen sowie im Hinblick auf die geeinigten Mustervorschriften und Leitlinien im Einklang stehen. Darüber hinaus müssen die Staaten dann die Anwendung der GloBE-Regeln, einschließlich der Vereinbarungen über deren Rangordnung die Anwendung der Safe-Harbour-Regelung, durch andere Staaten akzeptieren. Noch nicht geklärt werden konnte bisher, inwieweit in dem Zusammenhang eine gemeinsame Existenz der Regeln mit dem GILTI-Systems der USA möglich ist. In der diesbezüglich derzeit durchgeführten Prüfung geht es insbesondere darum, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden müssen.

Hinsichtlich des Anwendungsbereichs sollen die GloBE-Regeln für alle MNU gelten, die den entsprechend BEPS Aktionspunkt 13 (sog. „Country-by-Country-Reporting”) des BEPS-Projekts festgelegten Schwellenwert von 750 Mio. Euro Umsatz erreichen bzw. überschreiten. Darüber hinaus stellt die OECD es den Staaten frei, zusätzlich die IIR auf MNU anzuwenden, die zwar den Schwellenwert unterschreiten, deren Hauptsitz sich jedoch in ihrem Hoheitsgebiet befindet. Wie Deutschland diesbezüglich verfahren wird, auch im Hinblick auf die weitere Anwendung der soeben erst bei der ATAD-Umsetzung reformierten Hinzurechnungsbesteuerung, ist derzeit noch völlig unklar. Ausgenommen von der Regelung sind jedoch alle staatlichen Einrich­tungen, internationale Organisationen, Organisationen ohne Erwerbszweck, Pensions- oder Investmentfonds, die die obersten Muttergesellschaften eines MNU sind oder von solchen Einrichtungen, Organisationen oder Fonds genutzte Holding-Vehikel.

Als weitere Ausnahme von der Mindeststeuer ist vorgesehen, dass anhand einer formelhaften Substanz­berechnung ein bestimmter Anteil der Einkünfte von der Anwendung der 15 Prozent Mindeststeuer unberück­sichtigt bleibt. Konkret sollen demnach mind. 5 Prozent des Buchwerts der materiellen Vermögenswerte sowie der Lohnsumme eines MNU berücksichtigt werden. Innerhalb der ersten zehn Jahre soll zudem als Übergangs­phase ein Betrag der Einkünfte von zunächst 8 Prozent des Buchwerts der materiellen Vermögenswerte und 10 Prozent der Lohnsumme unberücksichtigt bleiben. Die Prozentsätze schmelzen sodann in den ersten fünf Jahren um jeweils 0,2 Prozentpunkte und in den letzten fünf Jahren um je 0,4 Prozentpunkte für die materiellen Vermögenswerte sowie um 0,8 Prozentpunkte für die Lohnsumme ab.

Hinsichtlich der durch die GloBE-Regeln ausgelösten Nachbesteuerung wird nach den Vorstellungen der OECD der effektive Steuersatz, der auf Ebene des jeweiligen Staates berechnet wird, zugrunde gelegt. Um eine gewisse Einheitlichkeit zu gewährleisten, stützt der effektive Steuersatz sich dabei auf eine gemeinsame Definition der erfassten Steuern sowie auf eine gemeinsame Steuer­bemessungs­grund­lage. Sie wird ausgehend von den in der externen Rechnungslegung ausgewiesenen Einkünften ermittelt. Weitere Anpassungen in Beachtung die vereinbarten steuerpolitischen Ziele von Säule Zwei sollen darüber hinaus vorgenommen werden. Konkrete Details sind auch dazu leider bisher noch nicht bekannt. Klar ist jedoch schon, dass keine Nachbesteuerungspflicht besteht, sofern es sich um Gewinne handelt, für die ein bestehendes Systemen der Ausschüttungsbesteuerung gilt. Dafür muss aber sichergestellt werden, dass die Gewinne innerhalb von drei bis vier Jahren ausgeschüttet werden und zu bzw. über dem Mindestsatz versteuert werden. Im Übrigen sind auch Einkünfte aus der internationalen Schifffahrt entsprechend der Definition des OECD-MA sowie der Rohstoffgewinnung und der Finanzwirtschaft von den GloBE-Regeln ausgenommen.

Als Deminimis-Ausnahme sehen die GloBE-Regeln zudem vor, dass Staaten, in denen die MNU Einkünfte von weniger als 10 Mio. Euro und Gewinne von weniger als 1 Mio. Euro erzielen, nicht einzubeziehen sind.


Details der Income Inclusion Rule und Undertaxed Payment Rule

Mit der IIR soll die Nachbesteuerung sodann nach einem sog. „Top-Down-Ansatz” – also von oben nach unten hinsichtlich der Staaten der erzielten Einkünfte – und auf Grundlage einer Split-Ownership-Regel für Beteiligungen unter 80 Prozent verteilt werden. Dagegen verteilt die UTPR die Nachbesteuerung nach einer noch zu vereinbarenden Methode, zu der noch nichts Näheres bekannt ist. Eine Ausnahme von den UTPR soll jedoch für MNU gelten, die materielle Vermögensgegenstände im Wert von max. 50 Mio. Euro besitzen und in nicht mehr als fünf Staaten operativ tätig sind. Die Ausnahme ist zeitlich auf die ersten fünf Jahre befristet, nach denen das MNU unter den Anwendungsbereich der GloBE-Regeln fällt. Nach Ablauf der fünf Jahre beläuft sich die Besteuerung auf die Differenz zwischen dem Mindeststeuersatz und dem auf die betreffenden Zahlungen angewandten Steuersatz.


Umsetzung des Zwei-Säulen-Konzepts

Auf Ebene der EU wird eine schnellstmögliche Umsetzung der beiden Säulen durch die Vorlage von Richt­linienvorschlägen angestrebt. Insbesondere ein Richtlinienvorschlag zur Umsetzung von Säule Zwei ist in dem Zusammenhang von Bedeutung, da der EuGH bereits festgestellt hat, dass eine unilaterale Umsetzung gegen die europäischen Freiheitsrechte verstößt.

Daher überrascht es nicht, dass der Umsetzungsplan der OECD vorsieht die Arbeiten zu Säule Zwei in Form von Mustervorschriften mit der Definition des Anwendungsbereichs sowie den Erläuterungen zu den Mechanismen der GloBE-Regeln bereits Ende November 2021 zu beenden. Zusätzlich soll bis Ende November 2021 die Mustervorschrift für bilaterale Verträge zur „Subject to tax Rule” erarbeitet werden. Ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag zur Umsetzung der zweiten Säule soll bis Mitte 2022 entworfen werden. Die Regeln der Säule Zwei sollen 2022 in nationales Recht umgesetzt und bereits ab 2023 angewendet werden. Die UTPR soll indes erst 2024 in Kraft treten.

Hinsichtlich der Säule Eins ist vorgesehen, dass die Arbeiten bis Ende des Jahres 2022 abgeschlossen werden und die Regelungen bereits im Jahr 2023 zur Anwendung kommen. Bis Februar 2022 soll jedoch bereits ein multilateraler Vertrag zur Umsetzung vorliegen.

Zudem soll das geplante multilaterale Übereinkommen auch Bestimmungen enthalten, um alle bestehenden Steuern auf digitale Dienstleistungen und sonstige unilaterale Maßnahmen zu stoppen und aufzuheben. Das soll für mehr Steuersicherheit sorgen und Handelsspannungen verringern. Europäische Staaten, die bisher eine Digitalsteuer eingeführt haben, haben bereits zugesagt, dem Vorgehen unter bestimmten Voraussetzungen zu folgen.


Fazit

Auch wenn die derzeitigen Verhandlungsergebnisse noch immer sehr vage gehalten sind, lassen sich bereits erste verbindliche Entwicklungen ablesen, die das künftige internationale Steuersystem prägen werden. Hervorzuheben ist dabei insbesondere die Zielsetzung, dass die Mindestbesteuerung nach Säule Zwei des OECD-Konzeptes dafür sorgen soll, das internationale Steuersystem gerechter zu machen und dessen Funktionalität zu erhöhen. Der dabei gewählte Weg des Multilateralismus ist ein großer Erfolg, um Einheit­lichkeit herzustellen und idealerweise Doppelbesteuerung zu reduzieren. Dennoch wird sich erst noch zeigen müssen, ob die geplante Umsetzung nur zu einem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenfällt oder es tatsächlich gelingt, dass das internationale Steuersystem den Anforderungen einer digitalisierten und globalisierten Wirtschaft gerecht wird. Letztlich werden es nämlich – wie so oft im Steuerrecht – die Details sein, die über den Erfolg der Regelungen und auch darüber entscheiden, ob betroffene Unternehmen nicht am Ende doch „die Zeche zahlen“ werden.

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