Kommentar: Grüne Taxonomie der EU – Bedeutung für den Mittelstand

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veröffentlicht am 17. Februar 2022

 

Am letzten Tag des vergangenen Jahres legte die EU-Kommission ihren lang erwarteten Zusatz zur EU-Taxonomie vor, ob und inwiefern Gas- und Atomkraft als nachhaltige Energiequellen und somit solche Investitionen als „grün” klassifiziert werden können. Insgesamt drei Wochen gab die Kommission den Regierungen der Mitgliedsstaaten Zeit, diesen Verordnungsentwurf zu kommentieren – und wie so häufig in Europa scheiden sich an der Frage über die Nachhaltigkeit von Gas- und Atomkraft die Geister, wie Abbildung 1 veranschaulicht.

 

Lagerbildung der EU bei Gas- und Atomkraft

 

Abbildung 1: Lagerbildung der EU bei Gas- und Atomkraft. Eigene Darstellung.

 

Grüne Taxonomie

Die „Grüne Taxonomie” soll laut Eigenbeschreibung der Europäischen Kommission ein „freiwilliger Goldstandard für grüne Anleihen sein”, der es Unternehmen und Investoren ermöglicht, umfangreiche Finanzmittel für klima- und umweltfreundliche Investitionen zu beschaffen bzw. diese als nachhaltig zu erkennen. Gleichzeitig soll das Label ein „Greenwashing” von Finanzanleihen explizit verhindern und ein Investitionsvolumen in ausreichendem Maße für die europäische Klimaneutralität in 2050 an den Finanzmärkten aktivieren. Hierfür definierte die Kommission eine Wirtschaftsaktivität als taxonomiekonform, wenn sie zu mind. einem der sechs Umweltziele wesentlich beiträgt, die anderen nicht erheblich beeinträchtigt und außerdem Arbeits- und Menschenrechte fördert und schützt.1

 

Dennoch, insbesondere auf Druck Frankreichs und der skandinavischen und osteuropäischen Mitgliedsstaaten, wurden Investitionen in Atomkraft als nachhaltig klassifiziert und in den Entwurf zur EU-Taxonomie aufgenommen. Für diese gelten zwar gewisse Voraussetzungen, wie eine vorliegende Baugenehmigung vor 2045 und einen finanziell abgesicherten Plan inkl. Standort der Endmülllagerung, allerdings wird das Problem in die Zukunft verschoben, da noch kein politischer Prozess einen Standort zur Endmülllagerung hervorbrachte. Der Einbezug der Atomkraft in den Entwurf führte letztlich dazu, dass die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler bereits mit einer Klage vor dem EuGH drohte.

 

Darüber hinaus kann ebenso Gas als sog. „Brückentechnologie” unter gewissen Voraussetzungen ein nachhaltiges Label erhalten. Die Kommission liegt unbestritten korrekt, dass fossiles Erdgas als Brückentechnologie zur Sicherung der Energieversorgung insb. in Ländern wie Deutschland oder Osteuropa ohne Atomkraft benötigt wird, allerdings entzündet sich heftige Kritik an den im Entwurf definierten Grenzwerten i.H.v. 270g CO2äq/kWh, gemessen über die Laufzeit der Anlage. Ebenso müssen die Anlagenbetreiber einen steigenden Anteil an kohlenstoffarmen Brennstoffen wie Biomethan oder Wasserstoff beimischen. Nichtsdestotrotz sei fossiles Gas „weit davon entfernt, grün zu sein”, wie selbst die EU-Plattform für nachhaltige Finanzen, ein Beratungsgremium der Kommission, scharf kritisierte.

 

Die EU-Kommission hat absolut recht, dass für die Phase der Umstellung unseres Energiesystems auf nachhaltige Energieträger weiterhin Investitionen in fossile Erzeugungstechnologien unabdingbar sind. Ob diese dafür eine nachhaltige Klassifikation in der Lesart der Taxonomie benötigen, ist zu Recht ein Streitpunkt. Schließlich verbietet dieser freiwillige Standard keinerlei Investitionen und untergräbt auch nicht die marktwirtschaftliche Maxime, dass dort Investitionen getätigt werden, wo attraktive Renditen möglich sind.

 

Vielmehr verbaut sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag die Option, einen global gültigen, nach strengen Nachhaltigkeitskriterien definierten Standard für nachhaltige Finanzaktivitäten zu schaffen. Dementsprechend ist für die „Net-Zero Asset Owner Alliance”, deren Mitglieder ein ungefähres Finanzvolumen von zehn Billionen US$ verwalten, bereits klar, dass sie einen Standard der EU, der Gas- und Atomkraft als nachhaltig definiert, nicht akzeptieren und einen eigenen, strikteren Standard entwerfen wollen. Spinnt man diese Entwicklung fort, könnte am Ende des Tages das EU-Label für nachhaltige Finanzaktivitäten sich selbst erheblich entwerten, da den Investoren und Anlegern nicht klar sein wird, inwiefern Gas- und Atomkraftprojekte mit ihrem Anleihen gefördert und ermöglicht werden.

 

Auswirkungen auf Mittelstand

Ähnliches gilt für Unternehmen: Werden Verbraucher Produkte oder Dienstleistungen nachfragen, wenn diese „nur” unter dem EU-Label der Taxonomie als nachhaltig gelten, aber nicht strikteren Kriterien entsprechen?

 

Sofern ein Wettbewerb unterschiedlicher nachhaltiger Standards ausbricht, erscheint dies zumindest fraglich. Ebenso zeigen Unternehmen damit, dass ihre Produkte und ihr Handeln zwar gültigen Nachhaltigkeitsstandards entsprechen, sie aber die kleinere Hürde nehmen, anstatt sich als ein auf Nachhaltigkeit spezialisierter Marktakteur zu profilieren. Festzuhalten ist, dass bei einer Investitionsentscheidung im Bereich CO2- intensiver Prozesse oder der Energieversorgung (Strom, Wärme, Dampf) die grüne Taxonomie ggfs. weniger Einfluss hat als die Frage, wie kostenstabil und nachhaltig sich die Versorgung darstellen lässt. Schließlich geht es nicht nur um die Einhaltung eines Standards für Anleihen, es geht vielmehr darum, den Standort in Deutschland (oder EU) zu sichern, das Unternehmen konkret nachhaltig zu machen. Es hilft das Verständnis, dass jedes Unternehmen mit seinen Entscheidungen Teil der Energiewende ist und einen Beitrag leisten kann bzw. muss.

 

Auf EU-Ebene zirkuliert der Grundsatz, die Vorgaben der Taxonomieverordnung mit weiteren europäischen Richtlinien zu verknüpfen, wie z.B. die Corporate Social Responsibility Directive (CSRD). Obwohl diese laut derzeitigem Stand nur große2 Unternehmen verpflichtet, nichtfinanzielle Informationen im Lagebericht zu veröffentlichen, hat die CSRD über diesen Betroffenenkreis hinaus auf indirekte Weise ebenfalls Auswirkungen auf weitere Unternehmen. Durch den Einbezug von Scope 1-, Scope 2- und Scope 3-Emissionen3 seitens der berichtspflichtigen Unternehmen und somit der Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette bei der Bilanzierung der unternehmensspezifischen Treibhausgasemissionen werden auch Zulieferer und folglich mittlere und kleinere Unternehmen immer öfter Daten zur eigenen Nachhaltigkeit vorlegen müssen. Bei der Herstellung der eigenen Produkte hier auf fossile Energieträger zu setzen, die nach der derzeitigen Fassung der Taxonomie als nachhaltig gelten, kann sich angesichts eines möglicherweise zukünftigen politischen Drucks und einem Nachschärfen der Vorgaben der Taxonomieverordnung als gewagtes Unterfangen herausstellen, welches wiederum aufwändige und kostenintensive Anpassungsprozesse im betroffenen Unternehmen zur Folge hat. Außerdem wird Erdgas nur ein vorübergehendes Nachhaltigkeitsprädikat erhalten – die Frage, wie das eigene Unternehmen die immer strenger werdenden Nachhaltigkeitsverpflichtungen erfüllen soll, wird dementsprechend nur in die Zukunft verschoben.

 

Selbstverständlich muss eine heutige Investitionsentscheidung darüber hinaus andere politische Maßnahmenpakete berücksichtigen. Ab 2030 plant die Bundesregierung eine weit verbreitete Verfügbarkeit nennenswerter Mengen von Wasserstoff, welches u.a. fossiles Erdgas insbesondere in der Industrie als Prozessenergie ablösen soll. Hier weiterhin auf Erdgas zu setzen, kann kurzfristig sinnvoll und finanziell tragfähig (nach Normalisieren der Preise nach der aktuellen Energiepreiskrise) erscheinen, unterschätzt aber die zukünftigen Herausforderungen der Realität, dass Deutschland per Gesetz innerhalb der nächsten 23 Jahre klimaneutral sein muss.

 

 

Bei Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!

 

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1 Die sechs Umweltziele sind Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Verschmutzung und Schutz von Ökosystemen und der Biodiversität.

2 Groß entspricht der Definition nach §267 Abs. 3 HGB.
3 Scope 1: Alle direkten Emissionen eines Unternehmens, z.B. durch eigene stationäre Anlagen der Energie- oder Wärmeerzeugung. Scope 2: Indirekte Emissionen, die durch extern bezogene Energien erzeugt werden. Scope 3: Alle nicht in Scope 2 enthaltenden indirekten Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.​

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