Baltische Staaten und Weißrussland: Mehr Energieunabhängigkeit mittels verstärktem Ausbau Erneuerbarer Energien

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​In den – historisch bedingt – eng verbundenen Energienetzen der baltischen Staaten und Weißrusslands wird eine zunehmende Spaltung offenbar. Während die baltischen Staaten eine verstärkte Integration in den Energiebinnenmarkt der Europäischen Union anstreben, setzt Weißrussland auf den Aufbau neuer Energieerzeugungskapazitäten im eigenen Lande. Bei allen Unterschieden haben beide Regionen jedoch zwei Dinge gemeinsam: das Ziel einer größeren Unabhängigkeit von russischem Gas sowie die Tatsache, dass zu dessen Verwirklichung, in Ergänzung zu den bereits genannten Maßnahmen, auch ganz wesentlich auf den Ausbau von Produktionskapazitäten mit erneuerbaren Energiequellen gesetzt wird.

 

​Neben der Senkung der CO2-Emissionen, welche sich die westeuropäischen Staaten vom Einsatz der Erneuerbaren Energien versprechen, steht ein weiterer Aspekt besonders im Fokus der Energiepolitik der baltischen Staaten. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Kältezeit zwischen Russland und der EU sowie den Sanktionen und Gegensanktionen ist die Befürchtung groß, dass Russland erstmals auch russisches Gas als politische Waffe gegen die baltischen Staaten einsetzen könnte – so wie dies vormals im Jahr 2009 bereits der Ukraine widerfahren ist. Bis vor kurzem war Litauen aufgrund seiner nahezu vollständigen Abhängigkeit von russischen Gasimporten der baltische Staat, welcher hierfür am anfälligsten war. Diese Monopolstellung schlug sich beispielsweise im Jahre 2013 darin nieder, dass Gazprom von Litauen einen im Vergleich zu Deutschland um 30 Prozent höheren Gaspreis forderte. Medienwirksam inszenierte Litauen daher die Inbetriebnahme des Flüssiggasterminals „Independence” im Jahr 2014.

 

Mit einer Speicherkapazität von 170.000 m³ Flüssiggas kann dieses im Notfall bis zu 90 Prozent des Gasbedarfs der baltischen Staaten decken. Doch Flüssiggas ist kostenintensiv. Der Aufwand in der Herstellung ist hoch und die Regasifizierung teuer. Flüssiggas kostet ca. ein Fünftel mehr als herkömmliches Erdgas. Zugleich bleibt Litauen mit dem LNG-Terminal weiterhin abhängig von fossilen Energieträgern. Auch deshalb ist Russland noch immer für 80 Prozent der Gasimporte Litauens verantwortlich sowie für den größten Anteil der 70 Prozent an Elektrizitätsimporten. Der aktuell niedrige Gaspreis und die damit verbundene Unrentabilität des LNG-Terminals tun ihr Übriges, dass aktuell verstärkt nach Alternativen gesucht wird.

 

 

Anteil Erneuerbarer Energien in den EU-Mitgliedstaaten, 2014  


Abbildung 1: Anteil Erneuerbarer Energien in den EU-Mitgliedstaaten, 2014 (in % des Bruttoendenergieverbrauchs)1

 

Baltische Staaten schon am Ziel beim Ausbau der Erneuerbaren Energien?

Abhilfe soll neben einer Vertiefung des europäischen Energiebinnenmarktes u.a. eine verstärkte Integration von Erneuerbaren Energien schaffen. Die baltischen Staaten sind hierbei auf einem durchweg positiven Weg.


Ein neuer Bericht des EU-Statistikamtes Eurostat über den Anteil Erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch in den EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die baltischen Staaten in diesem Bereich Spitzenpositionen belegen. Der Statistik zugrunde lag der Anteil der Erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch im Jahr 2014, gemessen an den Regenerativzielen für das Jahr 2020. So liegen die baltischen Staaten hier geschlossen in den Top 10. Estland und Litauen haben ihre Ausbauziele im Jahr 2014 gar schon erreicht. Lettland, das sich mit einem Anteil von 40 Prozent am Gesamtverbrauch hier wohl das ambitionierteste Ziel gesteckt hat, steht überdies kurz vor dem Erreichen dieses Ziels. Zum Vergleich: Deutschland liegt in der Statistik lediglich auf Platz 17. Der Endenergieverbrauch spiegelt hierbei nicht nur den Stromverbrauch, sondern auch den Verkehr- und Wärmesektor wider. Schlüssel zum Erfolg soll in Litauen vermehrt die Erzeugung von Elektrizität und Wärme durch umweltfreundliche KWK-Kraftwerke darstellen. Beispielgebend waren hier im Jahr 2015 die Ausschreibungen zweier Anlagen dieser Art in den beiden größten Städten Vilnius und Kaunas. Für die Anlage in der litauischen Hauptstadt Vilnius ist dabei eine Leistung von 227 MWth und 88 MWe geplant. Sie soll jeweils aus zwei Blockheizkraftwerken – eines soll mit Abfall und das andere mit Biomasse betrieben werden – bestehen und pro Jahr 1,627 TWh Wärme und 0,817 TWh Strom produzieren. Mit einem Investitionsvolumen von rund 190 Mio. EUR handelte es sich um die größte Ausschreibung seit der Unabhängigkeit des Landes.


Zukunft der Erneuerbaren Energien in Litauen

Daneben spielt die Windkraft in Litauen eine immer größere Rolle. Zwar haben die Ausschreibungen von Onshore-Windenergieprojekten in Litauen bereits im Jahr 2015 die maximal geförderte Gesamtleistung von 500 MW erreicht, was zu einem zeitweisen Investitionsstopp führte, doch soll nun Bewegung in den Markt kommen – durch eine Erhöhung der ausgeschriebenen Gesamtkapazitäten um ein Drittel auf dann 750 MW. Dies ist dringend erforderlich. Durch die Abschaltung und den Rückbau des Kernkraftwerkes Ignalia im Jahr 2009 entwickelte sich Litauen vom Energieexporteur schlagartig zum Importeur. Immer mehr alte Kraftwerke, wie bspw. das Heizkraftwerk Vilniaus elektrinė-3 mit einer Kapazität von 603 MWth sowie 360 MWe (Abschaltung für 2016 geplant), entsprechen nicht mehr den heutigen Umweltstandards und werden vom Netz genommen. Der Bau eines neuen Kernkraftwerkes steht inzwischen zudem nicht mehr auf der Tagesordnung und wäre nach einem gescheiterten Volksentscheid politisch nicht durchsetzbar. Durch die Inbetriebnahme der Starkstromverbindung Nordbalt zwischen Schweden und Litauen sowie andererseits der Litpol-Strombrücke zwischen Litauen und Polen dürfte sich eine solche Investition zudem kaum noch rechnen. Eine vollständige Energieunabhängigkeit von Russland kann jedoch nur schwer allein von Importen aus der EU gedeckt werden – insbesondere, wenn man den Wärmesektor betrachtet. Der zunehmende Einsatz dezentraler Energiequellen ist daher essenziell. Windkraftanlagen zur Stromerzeugung sowie ökologische Heizkraftwerke zum Ausgleich der Lasten und zur Produktion von Wärme gelten als Lösung. Der aktuelle Bestand reicht jedoch längst nicht aus. Hier wird es daher wohl auch weiterhin zu einer verstärkten Förderung sowie neuen Ausschreibungsverfahren kommen.


Weißrussland: Brücke nach Osteuropa oder wankelmütiger Partner?

Entscheidend für die Umsetzung derartiger Pläne dürften dabei auch die Beziehungen zum benachbarten Weißrussland sein. Trotz der erst kürzlich aufgehobenen Sanktionen und der allmählichen Wiederannäherung an die EU gehen die Meinungen auseinander, ob Weißrussland im Falle der gemeinsamen Energiemarktentwicklung ein verlässlicher Partner oder doch eher ein wankelmütiger und evtl. dritten Einflüssen unterliegender Versorger wäre. Auch Weißrussland ist weiterhin stark abhängig vom russischen Gas. Erst kürzlich verkündete Gazprom, weitere 2,5 Mrd US-Dollar. in das weißrussische Gastransportnetz zu investieren. Auch sieht Weißrussland im Vergleich zu Litauen seine Zukunft in der Nutzung von Kernenergie. So baut es mit russischer Hilfe derzeit ein Kernkraftwerk in Ostrowez nahe der litauischen Grenze, welches im Jahr 2018 ans Netz gehen soll. Dies führte bereits zu massiver Kritik durch die litauische Regierung und zur Einschaltung der EU-Kommission, da das Projekt im Widerspruch zu den Zielen der EU stünde und man  überdies erhebliche Sicherheitsmängel befürchtet.

 

Die weißrussische Energiepolitik setzt auf einen Mix der Erzeuger

Neben Gas und der Kernenergie stehen nun erstmals auch die Erneuerbaren Energien im Fokus weißrussischer Energiepolitik. Erst im vergangenen Jahr legte Weißrussland die Weichen für eine gezielte Förderung der Erneuerbaren Energien, wie es in Westeuropa teilweise bereits seit 2 Jahrzehnten praktiziert wird. Eine umfangreiche Quotenregelung sorgt hier nun dafür, dass auch für Weißrussland die Chance besteht, eine zunehmende Energieunabhängigkeit von Russland zu erreichen. Klar zu erkennen ist hier jedoch ein starker Energiemix aus unterschiedlichen regenerativen Energiequellen (hierbei spielt u.a. Biogas aus der Landwirtschaft eine Rolle; Areale zur geothermischen Energiegewinnung werden zudem aktuell erkundet) auf der einen sowie konventioneller Erzeugung auf der anderen Seite.

 

Blockbildung oder Kooperation?

Es gilt zu beobachten, ob diese unterschiedlichen Strategien zu einem vermehrten Auseinanderdriften oder aufgrund der auflockernden politischen Stimmung mittelfristig vielleicht gar zu einer vermehrten Zusammenarbeit führen könnten. Durchaus gibt es dabei Anknüpfungspunkte: Beide Länder und Märkte verbindet das gemeinsame Ziel der Energieunabhängigkeit vom Gas. Die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Ostrowez könnte Litauen mindestens vorübergehend mit preiswertem Strom versorgen, wodurch es sich vermehrt darauf konzentrieren könnte, den Ausbau seiner Erneuerbaren Energien zu forcieren, was langfristiges Ziel Litauens und der gesamten EU sein muss, denn die Energieabhängigkeit der EU belief sich im Jahr 2014 noch auf 53,4 Prozent – Tendenz steigend. Damit war mehr als die Hälfte der benötigten Energie der EU von Einfuhren abhängig. 

 

 

Energieabhängigkeit in Prozent2 

Abbildung 2: Energieabhängigkeit in Prozent2

 

Andererseits birgt die Versorgung mit preiswertem Strom aus Weißrussland jedoch die Gefahr, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien gebremst wird. Voraussetzung für Szenarien ist jedoch, dass eine solche Belieferung überhaupt politisch gewollt wäre – was derzeit klar verneint wird.

 

Für den weißrussisch-litauischen Energiemarkt gibt es demnach vielschichtige Zukunftsprognosen. Die kommenden Monate werden die weitere Entwicklung aufzeigen. Investoren für Erneuerbare Energien sollten diese Entwicklung jedoch in jedem Fall im Blick behalten, da beide Entwicklungsrichtungen mit der passenden Strategie lukrative Chancen in beiden Märkten bieten können.

 

 

 

1 Eurostat, Energy from renewable sources, Februar 2016.
2 Eurostat, Energieabhängigkeit, September 2015.

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Tobias Kohler

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