Tiefengeothermie im erfolgreichen Praxiseinsatz

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Neben Windkraft und Photovoltaik hat die noch am Anfang ihres Ausbaus stehende tiefengeothermische Energie das Potenzial, ein wichtiger Teil der Energiewende in Deutsch­land zu sein. Die Gründe sind einerseits die enormen, bislang unerschlossenen Heißwasserreservoire an sich sowie die Grundlastfähigkeit und Regelbarkeit bei der Stromerzeugung. Das macht Geothermie zu einer Erneuerbaren Energie, für die keine Reserveleistung bereitstehen muss, falls der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint.

    

Zusätzlich zur Stromerzeugung liefert das heiße Wasser aus der Erde einen weiteren Nutzen, zum Beispiel in Form von Fernwärme oder Prozesswärme. Aus Tiefengeothermie wird in Italien seit über 100 Jahren Strom gewonnen, in Deutschland seit mehr als 25 Jahren Wärme und seit 2008 Strom in größerem Maßstab. Der internationale Ausbau ist beachtlich: Allein in der Türkei werden heute schon über 600 MWel gewonnen, das 1 GWel-Ziel ist dort bereits zum Greifen nah. Damit stößt die dezentrale Tiefengeothermie in Leistungsklassen vor, die bislang allein den großen Kohle- und Kernkraftwerken vorbehalten war.
 

        

Quelle: IEA (2015), Medium-Term Renewable Energy Market Report 2015, OECD/IEA, Paris
 

Hohe Auszeichnung für die Kirchweidacher Energie GmbH

Die Gemeinde Kirchweidach ist ein exzellentes Beispiel für ein erfolgreiches Tiefengeothermie-Projekt, an das sich ein Fernwärmenetz zum Beheizen von ca. 400 Haushalten und einem großen Gewächshaus eines gewerblichen Abnehmers anschließt.

Dieser Meinung ist auch die internationale Expertenjury, bestehend unter anderem aus dem Europäischen Fernwärmeverband, dem United Nations Environment Programme (UNEP) und der International Energy Agency (IEA) unter dem Vorsitz des IEA Technology Network, die das Fernwärmeprojekt in Kirchweidach im Jahr 2015 mit dem Global District Energy Climate Award in der Kategorie „Special Award” auszeichnete. Staatsministerin Ilse Aigner überreichte den renommierten Preis, der für herausragende Leistung im Bereich der Erneuerbaren Energien als Beitrag zum globalen Klimaschutz vergeben wird, im Rahmen der festlichen Einweihung des Projektes in Kirchweidach.
 

      

Abbildung 2: Preisverleihung in Tallinn
 

Das Projekt Kirchweidach

Das einzigartige Fernwärmeprojekt der rund 2.500 Einwohner zählenden Gemeinde Kirchweidach hat durch die technisch und ökonomisch effiziente Nutzung von tiefengeothermischer Energie einen positiven Übertragungseffekt auf die regionale Wirtschaft. Das ambitionierte Projektziel war, die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums und seiner Menschen auf Grundlage einer nachhaltigen und klimafreundlichen Energieressource zu garantieren. Dafür nutzt Kirchweidach das große tiefengeothermische Potenzial des Molassebeckens.

Im Auftrag der Gemeinde Kirchweidach hat das Institut für Energietechnik GmbH (IfE) ein umfassendes kommunales Energiekonzept für die Möglichkeiten der Wärmenutzung im Gemeindegebiet erarbeitet und im Mai 2011 fertiggestellt. Basierend auf dem Wärmekataster der Gemeinde und dem Primärenergieumsatz hat das IfE für die Wärmeverbundlösung den Anschluss an eine Tiefengeothermiequelle eruiert und die Dimension dieser Versorgungsvariante für die Energie­bedarfsdeckung kalkuliert. In seinem Gutachten schlägt das IfE vor, in Kirchweidach das Verfahren der hydrothermalen Tiefengeothermie zu nutzen. Nach den vielversprechenden Fündigkeitsergebnissen eines privaten Projektentwicklers wurde seit 2011 an der Umsetzung gearbeitet. Die Energie wird aus einer tiefengeothermischen Dublette, bestehend aus einer Förderbohrung von 3.850 Metern Tiefe und 5.133 Metern Länge, sowie einer Injektionsbohrung von 3.800 Metern Tiefe und 4.937 Metern Länge gewonnen. Die Dublette hat die Geoenergie Kirchweidach errichtet und dem Initiator des Fernwärmenetzes, der gemeindeeigenen Kirch­weidacher Energie GmbH (KiwE), über einen entsprechenden Vertrag zur Nutzung überlassen. Nach Abschluss der Verträge für die Nutzung der Energie und deren Verwendung im Jahr 2013 wurden zwischenzeitlich im Auftrag der KiwE rund 20 Kilometer Fernwärmeleitungen verlegt. Die Investitionen in Höhe von über 13 Millionen Euro wurden mit einem Tilgungszuschuss der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW-Förderbank) von 2,7 Millionen Euro sowie rund 750.000 Euro Zuschuss der Landesanstalt für Aufbau­finanzierung (LfA-Förderbank Bayern) gefördert. Zusätzlich zur tiefen­geothermischen Energiequelle sind eine regional vorhandene Biogasanlage sowie ein Heizöl-Spitzenlastkessel in die Netzinfra­struktur integriert, um Lastschwankungen und Pumpenausfälle auszugleichen. Die tiefengeothermische Anlage mit einem jährlichen Energieabsatz von ca. 13 GWhth erreicht heute mittels Fernwärmenetz rund 400 Haushalte sowie kommunale Liegenschaften wie Schulen, den Kindergarten, das Feuerwehrhaus etc. In den Jahren 2013 und 2014 war es bereits möglich, vollständig auf die Nutzung fossiler Energieträger für die Wärme­versorgung der Kunden zu verzichten.


 

 

Abbildung 3: Schema der Geothermieversorgung in Kirchweidach
 

Einen wesentlichen Teil der Wärmeenergie nutzt ein für die Region neu gewonnener Gemüsebauer aus Österreich: der Gemüsebaubetrieb Steiner. Die Ansiedlung und der Betrieb des mittlerweile 20 Hektar umfassenden Gewächshauskomplexes, in der Abnahme vergleichbar mit dem Heizenergieverbrauch von mehr als 2.500 Haushalten, war ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Projektumsetzung. Die Einbindung eines landwirtschaftlichen Betriebes zur Nutzung tiefen­geothermischer Wärmeenergie ist in Deutschland bislang einmalig. Der gewerbliche Großkunde gewährleistet durch seine konstant hohe Wärmenachfrage, die über einen innovativen Wärmeliefervertrag gesichert ist, die Wirtschaftlichkeit des Fernwärme­projektes. Die Synergieeffekte, die sich aus der Energiebereitstellung für die Landwirtschaft ergeben, führt zu 150 neuen dauerhaften Arbeitsplätzen und sorgt somit für einen merklichen Entwicklungsschub in der Region. Zusätzlich lässt sich für etwa eine Million Bürger in Bayern regional und klimafreundlich der Bedarf an Tomaten, Paprika und Erdbeeren decken. Dank des Gewächs­hauses erhöhte sich die Selbst­versorgungsrate mit Tomaten aus Bayern von sieben Prozent auf elf Prozent und mit Paprika von zwei Prozent auf siebe Prozent. Jede zehnte Tomate in Bayern stammt seit 2014 aus Kirchweidach. Verglichen mit dem Import des Gemüses aus Holland oder Spanien führt das zur jährlichen Einsparung von 1,4 Millionen Transport-Kilometern.

     

      

Abbildung 4: Luftbild Kirchweidach mit Gewächshaus im Vordergrund

Quelle: Georg Unterhauser / www.luftbild-traunstein.de
 

Das geothermische Potenzial ermöglicht zukünftig auch die Nutzung der Energie aus der Tiefe für die Gewinnung von Strom. Rödl & Partner hat dafür einen innovativen Fernwärme­versorgungs­vertrag zwischen den Interessengruppen entwickelt, der die Preis­berechnung im parallelen Betrieb der Wärme- und Stromgewinnung berücksichtigt. Die Vereinbarung umfasst die variable Wärmeauskopplung des Volumenstroms vor der Stromerzeugungsanlage zu wirtschaftlich sinnvollen Konditionen für die KiwE und ohne den Kraftwerks­betreiber zu benachteiligen. Bei der Preisberechnung berücksichtigt der Vertrag die Außentemperatur, die einen signifikanten Einfluss auf den Wirkungsgrad der Stromerzeugungs­anlage hat.

Weiterhin ist die Nutzung einer großen Absorptionswärmepumpe möglich, die das Rücklaufwasser aus der Stromerzeugung mithilfe von Thermalwasserenergie nutzbar macht. Aufgrund der ökologischen Vorzüge geht die Gemeinde von einer Senkung des Heizölbedarfs um etwa 1,3 Millionen Liter pro Jahr aus, zusätzlich zur CO2-freien Wärme für das Gewächshaus.

Die Umstellung der Wärme­versorgung auf tiefen­geothermische Fernwärme und die reduzierte import­bedingte Verkehrsbelastung führt zu einer Kohlenstoff­dioxid-Reduktion von etwa 30.000 Tonnen pro Jahr. Die Zusammenarbeit der Gemeinde, der Energiedienstleister und der weiteren Projektbeteiligten hat ein innovatives und effizientes Energiesystem geschaffen. Damit ist Kirchweidach ein Leuchtturmprojekt mit Vorbildcharakter für weitere Gemeinden mit der Ambition, tiefengeothermische Energie nachhaltig zu nutzen, und setzt Maßstäbe für ein innovatives Energiekonzept.


Tiefengeothermie

Der große Vorteil der geothermischen Energieerzeugung ist die Bereitstellung von günstiger und preisstabiler Wärme sowie grundlastfähiger und steuerbarer Stromgewinnung. Auf Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ist es für Investoren und Kommunen umso interessanter, da in den meisten Fällen eine gute Wirtschaftlichkeit aufgezeigt werden kann. In der Erde steckt ein enormes, stets verfügbares Energiepotenzial, das umweltfreundlich und nachhaltig ist. Damit lässt sich eine Unabhängigkeit von konventionellen fossilen Energieträgern erreichen. Die heute schon attraktiven Fördergebiete in Deutschland liegen im Süddeutschen Molassebecken, dem Oberrheingraben und dem Norddeutschen Becken.

     

     

Abbildung 5: Besonders geeignete Regionen für Tiefengeothermie in Deutschland

Quelle: IEA (2011): Technology Roadmap – Geothermal Heat and Power, S. 24
 

Für die Nutzung der Tiefengeothermie im Süddeutschen Molassebecken sind, wie in Kirchweidach, mindestens zwei Bohrungen erforderlich: eine für die Förderung des Thermalwassers und die andere für die Reinjektion des geförderten Thermalwassers in die wasserführende Schicht. Damit ist sichergestellt, dass kein Wasser den Thermalwasserkreislauf verlässt. Die Energie wird nur über Wärmetauscher entnommen und für die Wärmeversorgung und/oder die Erzeugung von Strom verwendet. Die zu Beginn eines Tiefengeothermie-Projektes hohen Investitionskosten werden zum einen über verschiedene Fördermöglichkeiten bezuschusst und durch die späteren Einnahmen aus Strom- und Wärmeverkauf amortisiert. Das Potenzial von Tiefengeothermie-Projekten wie in Kirchweidach ist weltweit weitreichend vorhanden und wird in den nächsten Jahren sicherlich weiter gehoben.
 

zuletzt aktualisiert am 05.10.2016

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Benjamin Richter

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