Herausforderungen bei Unternehmensbewertungen in Brasilien

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veröffentlicht am 16. Dezember 2020 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Geschäfts­abschlüsse in Brasilien können für Investoren, die sich unvor­bereitet darauf ein­lassen, eine sehr schwierige Auf­gabe sein. Vor jeder wichtigen Investitions­ent­­scheidung müssen große Heraus­forderungen bedacht werden. Im folgenden Artikel werden wir einige der Heraus­for­derungen und die besten Praktiken zu ihrer Be­wälti­gung beschreiben.



Anders als bei den üblichen Verfahren in anderen Ländern ist bei M&A-Aktivitäten in Brasilien in Bezug auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oft ein besonderes Augenmerk auf die Sorgfaltspflichten und die Bewertungsansätze zu legen.


Schlechte Qualität der Zahlen

Erstens sind die gemeldeten Zahlen i.d.R. irreführend, da die Qualität der Zahlen bei KMU in Brasilien häufig schlecht ist.


Die wichtigsten Gründe dafür sind:

  • Keine externe Prüfungspflicht für die meisten Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 300 Mio. Brasilianische Real bzw. einer Bilanzsumme von bis zu 240 Mio. Brasilianische Real (Ausnahmeregelungen gelten u.a. für Banken, Versicherungsunternehmen, börsennotierte Unternehmen);
  • Schwache Infrastruktur bei IT- und Buchhaltungssoftware;
  • Keine ausgereiften internen Kontrollverfahren und Expertenschulungen und keine Best Practices in den Bereichen.


Die Faktoren, ob kombiniert oder nicht, führen i.d.R. zu einigen Problemen, z.B. mangelnde Abstimmung zwischen internen Berichten und Jahresabschlüssen (es kommt sehr häufig vor, dass Unstimmigkeiten festgestellt werden), übermäßig viele manuelle Journalbuchungen, nicht in den Büchern ausgewiesene Ertrags- und Aufwandsposten etc.

Die Zuverlässigkeit der internen Berichte und der Jahresabschlüsse ist daher nicht sehr hoch und sollte mit Vorsicht behandelt werden. Der Bewertungssachverständige, der bei einem M&A-Deal mit der Durchführung einer Bewertung beauftragt wird, sollte daher sorgfältig prüfen, ob die veröffentlichten Jahresabschlüsse brasilianischer KMU eine solide Grundlage für die Bewertung darstellen. Darüber hinaus muss der Geschäftsplan sorgfältig daraufhin geprüft werden, ob er mit den tatsächlichen Daten übereinstimmt oder ob es strukturelle Brüche gibt, die nicht auf betriebliche Veränderungen im Unternehmen, sondern nur auf schlechte Datenqualität zurückzuführen sind.

Daher sind die Überprüfung der Abstimmungen zwischen Lageberichterstattung und externer Prüfung oder Prüfungen der Konsistenz von Budgetzahlen und tatsächlichen Zahlen bei Bewertungen in Brasilien von besonderer Bedeutung. Außerdem muss der Unternehmensbewerter die Entwicklung der Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente sowie der Finanzierungsdarlehen sorgfältig und gründlich analysieren, um sich ein Bild von der Entwicklung des Cash-Flows verschaffen zu können und die richtigen Schlussfolgerungen für den Finanzierungsbedarf in den Planjahren zu ziehen. Wenn keine Financial Due Diligence beauftragt oder nur eine High-Level-Due Diligence (von deutlich geringerem Umfang) durchgeführt wurde, könnte der Bewertungssach­verständige dem Mandanten vorschlagen, den Umfang auf eine Überprüfung der Finanzdaten vor der Bewertung auszudehnen.

Bei möglichen Kaufpreisanpassungen ist auch eine sehr sorgfältige Verfolgung der Buchungen zwischen dem „Signing” und „Closing” von Transaktionen erforderlich, um die üblicherweise ausgehandelten Buchhaltungs­grundsätze unter Wahrung der formalen und materiellen Bilanzkontinuität und unter Beachtung aller Buch­haltungs- und Bewertungsgrundsätze, -verfahren und -vorschriften einzuhalten, wenn die Closing Accounts unter Anwendung des Cash Free & Debt Free (CFDF) Mechanismus eingerichtet werden. Die gleiche Vorsicht und sorgfältige Überwachung sollte auch beim Locked Box-Mechanismus angewandt werden, um mögliche Datenverluste von einer einfach fehlerhaften oder unvollständigen Datenerfassung unterscheiden zu können.


Die Bedeutung von Prüfungen im Steuer- und Arbeitsrecht

Zudem sind brasilianische Unternehmen aufgrund der sehr komplexen Vorschriften im Steuer- und Arbeitsrecht i.d.R. steuer- und arbeitsrechtlichen Risiken ausgesetzt.

Brasilien hat eine der kompliziertesten Steuergesetzgebungen der Welt. Es gibt verschiedene Arten von Steuern, die je nach Stadt, Bundesland, Produkt, Geschäft und anderen Faktoren erheblich variieren. Das Verständnis der historischen Leistung eines Unternehmens und seines Geschäftsplans ist für den Bewertungs­sachverständigen von entscheidender Bedeutung, um bei der Berechnung nach der DCF-Methode sachge­rechte Steueraufwendungen und Steuerschilde („tax shields”) sowie Nettogewinne gestalten zu können. Das wird noch erschwert, wenn sich der Bewertungsgegenstand derzeit in einer Umgestaltungsphase befindet und sich die Ausgangspunkte für die Vielzahl der Steuern (insbesondere wenn die Steuern produktbezogen sind) gegenüber der Vergangenheit geändert haben. Ein gutes Beispiel dafür ist die aktuelle Corona-Pandemie, bei der eine erhebliche Anzahl von Geschäftsmodellen nicht mehr so wie in der Vergangenheit funktionieren und angepasst werden müssen.

Darüber hinaus sollte (zumindest aus der Sicht des Käufers) sowohl bei der Unternehmensbewertung als auch beim Anteilskaufvertrag (SPA) sehr sorgfältig auf die umfangreichen Regelungen im Zusammenhang mit Steuerrisiken aus der Vergangenheit geachtet werden. Nicht nur wegen der Vielzahl der Steuern und ihrer komplexen Ausgangspunkte ist es schon schwierig genug, alle Risiken sorgfältig und vollständig zu erfassen und dann als schuldähnliche Posten vom Unternehmenswert abzuziehen. Darüber hinaus kann sich ein potenzieller Erwerber in Brasilien (im Gegensatz zu anderen Rechtssystemen) nicht einfach durch Gestaltung der Transaktion als „Asset Deal” von möglichen alten Steuerlasten des Zielunternehmens befreien. Vielmehr werden die potenziellen Steuerrisiken in Brasilien in den meisten Fällen auch bei einem „Asset Deal” automatisch auf den Erwerber übertragen, da die Behörden die Transaktion nach ihrer Substanz und nicht nach der Art des Vertrags bewerten (der Erwerber kauft z.B. Anlagevermögen, Kundenportfolio und Vorräte, was als Erwerb des gesamten Unternehmens angesehen werden kann und nur über einen „Asset Deal” abgewickelt wird, um die damit möglicherweise einhergehenden Verbindlichkeiten zu vermeiden). Die sorgfältige Frei­stellung von Steuerschulden in einem SPA und Abzüge bei der Kaufpreisberechnung bei „Asset Deals” müssen daher immer bedacht werden.

Dasselbe gilt für arbeitsrechtliche Fragen. Trotz der jüngsten Reform des Arbeitsrechts sind Arbeit- und Sozialabgaben nach wie vor streng gesetzlich geregelt in Brasilien. Mangelnde Kenntnis der Vorschriften kann für die Arbeitgeber regelmäßig das erhebliche Risiko verklagt zu werden mit sich bringen und solche Rechtsstreitigkeiten können sich erheblich auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens auswirken. Solche Risiken müssen bei einer angemessenen Bewertung der Personalkosten berücksichtigt werden.

Das Verständnis und die Reduzierung von steuer- und arbeitsrechtlichen Risiken bei Transaktionen ist in Brasilien von sehr hoher Bedeutung und sehr zeit- und kostenaufwendig. Die Risiken können direkten und wesentlichen Einfluss auf die Unternehmensbewertungen haben und müssen sorgfältig in die Geschäfts­modelle einbezogen werden.


Fazit

Sowohl die schlechte Qualität der Zahlen, die in den meisten kleinen und mittleren Unternehmen zu beo­bachten ist, als auch die hohe Komplexität und Bürokratie im Steuer- und Arbeitsrecht stellen eine große Herausforderung für Bewertungssachverständigen in Brasilien dar, wenn sie einen Wert für Verhandlungs­zwecke bei einem M&A-Deal ableiten sollen. Unabhängig davon, ob im Transaktionsprozess eine gründlichere oder nur eine High-Level-Due Diligence vereinbart wurde, muss der Bewertungssachverständige für den Zweck der Bewertung bei dem Umgang mit Planzahlen im Allgemeinen und mit Steuer- und Personalfragen im Besonderen besonders sorgfältig vorgehen.

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