Erfolgreich investieren in China

PrintMailRate-it

zuletzt aktualisiert am 16. Juni 2023 | Lesedauer ca. 7 Minuten

 

 

 

Wie schätzen Sie die derzeitige wirtschaftliche Lage in China ein?

Nach fast drei Jahren völliger Abriegelung und der strengen Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung wurden im Dezember 2022 nahezu alle Corona-Maßnahmen in China abgeschafft. Dennoch sind die Auswirkungen auf verschiedenste Weise immer noch spürbar. Beispielsweise sind die Kapazitäten mit Blick auf die zivile Luftfahrt nach wie vor nicht auf Vorkrisenniveau und die vielerorts dringend benötigten ausländischen Fach- und Führungs­kräfte ebenfalls nicht vollends wieder in China angekommen. Das ist aber vielmehr auf die noch vergleichsweise wenigen Flugverbindungen zurückzuführen, und insbesondere bei der Visa-Vergabe kann es aktuell noch zu Ver­zögerungen kommen, da die Nachfrage sehr hoch ist – sowohl in China als auch in Deutschland. Die vormals sehr strengen Einreisebeschränkungen seitens China wurden Ende April fast komplett aufgehoben, so dass sich der Reiseverkehr langsam normalisieren wird. 
 
Mit Blick auf die wirtschaftliche Erholung sendet Chinas Wirtschaft ambivalente Zeichen. Für viele Beobachter überraschend, verzeichnete der Außenhandel einen starken Anstieg im März 2023 mit einem Plus von fast 15 Pro­zent gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2022. Insgesamt wuchs die chinesische Wirtschaft im ersten Quartal 2023 um 4,5 Prozent. Das stärkste Quartalswachstum seit einem Jahr, insbesondere befeuert durch den verstärkten Konsum der Privathaushalte. Im April schwächte sich das Wachstum hingegen wieder merklich ab.
 
Zurückzuführen ist dies sowohl auf eine schwächere Nachfrage seitens der internationalen Märkte, als auch eine abgeschwächte Nachfrage auf dem Binnenmarkt. Hinzukommen geopolitische Effekte und eine allgemein ver­lang­samte Weltwirtschaft. 
 
Für das Jahr 2023 hat die chinesische Regierung ein Wirtschaftswachstum von ca. 5 Prozent ausgegeben, der Internationale Währungsfonds (IMF) prognostiziert indes sogar ein Wachstum von 5,2 Prozent. Es bleibt abzu­war­ten, ob dieses Ziel ohne weitere Konjunkturpakete erreichbar ist und ob sich das Wachstum verstärkt von Investi­tions­gütern hin zu Konsumgütern verlagert. 
 
Nichts desto trotz blicken deutsche Unternehmen in China optimistischer in die Zukunft. Ob und wie nachhaltig diese Stimmung bei europäischen Unternehmen ist, wird sich auch in den Ergebnissen der Frühjahrsumfrage (Business Confidence Survey) der Europäischen Handelskammer in China zeigen, die im Juni präsentiert wird. 
 
Aktuell gehen wir davon aus, dass sich das Wachstum über die kommenden Monate stabilisieren und im mittleren einstelligen Bereich einpendeln und bewegen wird. 
 

Wie würden Sie das Investitionsklima in China beschreiben? Welche Branchen bergen großes Potenzial?

Das Investitionsklima hellt sich nach dem Ende der strikten Null-Covid-Politik nur langsam auf. Dies ist aber nicht nur der Null-Covid-Politik geschuldet. Die zunehmend komplexen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen­be­ding­ungen im Land sowie geopolitischen Herausforderungen zollen ihren Tribut, auch die noch nicht in Gänze veröffentlichte China-Strategie der deutschen Bundesregierung sorgt für Zurückhaltung bei den Investitionen.
 
Die Pandemiejahre und die politischen Diskussionen hinsichtlich der Abhängigkeiten vom chinesischen Markt haben zu einer stärkeren Diversifizierung deutscher Unternehmen und deren Lieferketten geführt. Anderseits sehen wir auch starke Bestrebungen, die Produktion für den hiesigen Markt komplett nach China zu verlegen und Produkte lokal für den Markt anzupassen und zu designen, aufzubauen und zielgruppengerecht zu fertigen. 
 
Seit dem Ende der Corona-Maßnahmen beobachten wir wieder verstärkte Investitionen in folgenden Bereichen, die über die nächsten Jahre hinweg viel Potenzial für deutsche Unternehmen bieten:
 
  • Pharmaindustrie;
  • Medizintechnologie, Medizinische Geräte und Diagnostik;
  • Arzneimittel und Medizinprodukte;
  • Pflegeindustrie und Gesundheitsdienstleistungen
  • Industrielle Dienstleistungen;
  • High-Tech und Robotik, Software;
  • Umwelttechnologie;
  • Elektromobilität;
  • Smart City Technologien;
  • Erneuerbare Energien und Energieeffizienz-Technologien; 
  • Wasser- und Abwasserwirtschaft;
  • Kreislaufwirtschaft und Abfallwirtschaft;
  • Nachhaltige Agrartechnologie;
  • Gaming & E-Sports;
  • E-Commerce; 
  • Leistungen im Bereich Digitalisierung und Transformation
 
Wenn auch mit vergleichbar schwächeren Wachstumszahlen stellen auch „klassische“ Branchen wie der Maschinen- und Anlagenbau, die Automobil- und Automobilzuliefererindustrie, Architekten- und Ingenieurs­dienst­leis­tungen, die Chemiebranche oder die Lebensmittel- oder Logistikbranche nach wie vor Potenziale für die deutsche Wirtschaft. 
 
Die chinesische Regierung hat für verschiedene Branchen und Industrien verstärkt Investitions- und Förder­pro­gramme aufgelegt, um ausländische Investitionen anzuwerben. Insbesondere für „grüne“ Projekte und Wirt­schafts­zweige sowie für Unternehmen, die mit Nachdruck die Umstellung und Weiterentwicklung ihrer Produktion und von Geschäftsmodellen hinsichtlich CO2-Einsparung und Energieeffizienz vorantreiben, sind die Fördertöpfe gut gefüllt und reichen von Steuererleichterungen, Zollbefreiungen bis hin zu vergünstigten Krediten und alter­nativen Finanzierungsmodellen. 
 
Einen besonderen Fokus legt die chinesische Regierung künftig auf Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E). Ein Rundschreiben des chinesischen Staatsrats vom 11. Januar 2023 fordert die zuständigen Abteilungen und lokalen Behörden auf, Maßnahmen zu ergreifen, um ausländische Investoren zur Einrichtung von F&E-Zentren im Land zu bewegen. In dem Rundschreiben werden verschiedene Aspekte angesprochen, die von finanzieller und steuerlicher Unterstützung über einen erleichterten Zugang zu Grundstücken, Infrastruktur und notwendiger Ausrüstung bis hin zur Vermittlung von Spitzenkräften und dem Zugang zu Daten aus nationalen Wissenschafts- und Technologieprogrammen reichen. 
 
Eine Umfrage, die zwischen September 2021 und April 2022 unter den Mitgliedern der Handelskammer der Europäischen Union in China in Zusammenarbeit mit dem Mercator Institute for China Studies (MERICS) durch­ge­führt wurde, zeigt die folgenden Faktoren auf, die den Entscheidungen der befragten Unternehmen über F&E-Investitionen in China zugrunde liegen: 
 
  • Größe des chinesischen Marktes mit starker Nachfrage nach innovativen Produkten,
  • riesiger Pool an qualifizierten Fachkräften,
  • große Anzahl und Vielfalt von Kooperationspartnern,
  • Schnelligkeit der Kommerzialisierung von F&E-Ergebnissen
 
Aufgrund eines allgemein günstigeren Investitionsumfelds scheinen europäische Unternehmen ihren Schwerpunkt strategisch auf Branchen und Bereiche zu verlagern, die von der chinesischen Regierung gefördert werden, wie „grüne" Technologien, Industriemaschinen, Gesundheitswesen, Chemie oder Automobilbau. Die damit ver­bun­de­nen staatlichen Fördermaßnahmen sind besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von Bedeu­tung.
 
Zusammenfassend können wir sagen, mit der richtigen Strategie bleibt China einer der spannendsten und dyna­mischsten Märkte weltweit. 
 

Welchen Herausforderungen steht ein deutscher Unternehmer beim Engagement in China gegenüber?

Die chinesischen Rahmenbedingungen bleiben komplex und sorgen teilweise für große Verunsicherung. Auf der einen Seite wird der Marktzugang durch die schrittweise gekürzte Negativliste, in der verbotene oder beschränkte Investitionen festgehalten werden, erleichtert. Spiegelbildlich erweitert sich auch der Katalog für ausländische Investitionen in vom chinesischen Staat geförderten Industrien. Auf der anderen Seite bleibt Compliance im Zu­sammenhang mit dem chinesischen Cyber Security Law (CSL – Cybersicherheitsgesetz), dem Data Security Law (DSL – Datensicherheitsgesetz) sowie dem Personal Information Protection Law (PIPL – Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten) und den jeweiligen Durchführungsbestimmungen ein großer Risiko- und Unsicher­heits­faktor. Für weitere Unsicherheit unter europäischen Unternehmen sorgt sicherlich auch das neue chinesische Anti-Spionage-Gesetz. 
 
Wenngleich die Reisebeschränkungen so gut wie nicht mehr existent sind, viele Positionen für ausländische Fach- und Führungskräfte sind weiterhin unbesetzt und viele etablierte und langjährige Expatriates (Entsendete Mit­arbeiter) haben während der Pandemie das Land verlassen oder planen einen Rück- oder Weiterzug. Die Attrak­ti­vi­tät Chinas unter den Expatriates hat in der Pandemie einen starken Dämpfer bekommen und wird sich davon auch nicht allzu schnell erholen. Ein weiterer Attraktivitätspunkt geht voraussichtlich Ende des Jahres verloren, wenn die neue Einkommensteuerreform in Kraft tritt, die kaum noch steuerliche Vorzüge für Expats vorsieht – sofern das chinesische Finanzministerium nicht eine erneute Verlängerung der Steuervergünstigungen veranlasst oder Lokal­regierungen entsprechende Regelungen in ihrem Verwaltungsbezirk ein- oder fortführen. 
 
Für deutsche und andere ausländische Unternehmen kann das problematisch werden. Die Kosten für aus­ländi­sche Mitarbeiter und somit für die dringend benötigten Fach- und Führungskräfte könnten vergleichsweise stark steigen, denn im Zweifel werden die Unternehmen die Mehrkosten aus eigener Tasche zahlen, um im Kampf um die Talente die Nase vorn zu haben. Selbst für lokale Talente und Spitzenkräfte sind die Kosten in den letzten Jahren stetig gestiegen, insbesondere in den Ballungs- und Industriezentren wie Shenzhen, Chengdu, Guangzhou, Shanghai oder Beijing, wo neben den Gehältern auch die Lebenshaltungskosten steigen – ausländische Unter­nehmen konkurrieren hier mit einem großen lokalen Wettbewerb um die besten Talente.
 
Unternehmen sind daher gut beraten, einen Teil ihrer Investitionen in die Markenarbeit und -pflege, insbesondere die Arbeitgebermarke, zu lenken und mit einer überzeugenden, attraktiven und zielgruppengerechten Employer Brand Spitzenkräfte anzuwerben. 
 
Auch mit Blick auf das Risikomanagement steigen die Anforderungen für in China ansässige Unternehmen weiter. Beispielsweise durch die Verschärfung von Intercompany-Darlehen und deren Prüfung durch die Behörden, aber auch insgesamt sehen sich Unternehmen verstärkten Verrechnungspreisrisiken ausgesetzt, begünstigt durch die Pandemie und gestörte Lieferketten. 
 
Lieferkette ist zudem ein gutes Stichwort, denn in den letzten Jahren gerieten diese stark unter Druck. Was für Auswirkungen der Ausfall eines Zulieferers bedeutet, haben viele Unternehmen während der Pandemie schmerz­lich zu spüren bekommen. Die Herausforderung dieser Tage ist es, die Lieferkette zu diversifizieren und resilient aufzustellen. Im gleichen Atemzug ist auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das seit Januar 2023 in Kraft ist, ein weiterer Baustein, den es zu berücksichtigen gilt und der im internen Risikomanagement nicht fehlen sollte. Hier gilt es für Unternehmen einen noch genaueren Blick auf die eigene Lieferkette und die Lieferanten zu werfen, insbesondere in kritischen Sektoren und Regionen. 
 

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist seit Januar 2023 in Kraft – Welche Auswirkungen und Herausforderungen bringt dies für deutsche Unternehmen in China?

Gerade im Bereich der Menschen- und Arbeitsrechte sowie Umweltfragen werden immer wieder Verstöße aus China gemeldet. Daher sollten bei der Einhaltung der Sorgfaltspflichten diesen Fragen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zwar sind die Zahlen der gemeldeten Fälle von Kinderarbeit stark rückläufig, aber in der Praxis existieren weiterhin Schwachstellen. Dies gilt auch für die Themen Zwangsarbeit, Arbeitssicherheit, Diskri­mi­nie­rung am Arbeitsplatz, angemessener Lohn und Umweltverschmutzung. Unternehmen, die besonders anfällig für Verstöße gegen das LkSG sind, finden sich in folgenden Branchen und Industrien: Textil- und Bekleidungs­indus­trie, Bauindustrie, in der Chemie- sowie Pharmaindustrie aber auch in der Herstellung von elektronischen Geräten zum Beispiel Halbleiter. 
 
Zu fast allen im LkSG enthaltenen Punkten existieren in China bereits entsprechende Gesetze und die Teilnahme an verschiedenen Organisationen, beispielsweise ist China eines der Gründungsmitglied der ILO (International Labour Organization), an deren Richtlinien sich auch das LkSG orientiert.
 
Dennoch, um dem LkSG Rechnung zu tragen, sollten Unternehmen in China eine entsprechende Risikoanalyse, das Ergreifen von Präventiv- und Abhilfemaßnahmen, die Dokumentations- und Berichterstattungspflicht sowie die Implementierung struktureller Prozesse, die neben einem Risikomanagement auch den Einsatz eines Men­schen­rechtsbeauftragten, einer Grundsatzerklärung und eines Beschwerdemechanismus umfasst, vornehmen.

 

Wie wird sich aus Ihrer Sicht China weiterentwickeln?

2021 fungierte China als starke Lokomotive für den globalen Handel – heute ist die Wirtschaft nach dem Einbruch in 2022 wieder auf dem Weg der Erholung und könnte wieder in die Rolle der Lokomotive schlüpfen. Die weltweite Nachfrage ist vorhanden und stark, auch durch die zuletzt stark unter Druck geratenen Lieferketten. Wir gehen davon aus, dass sich mit Erholung die Lokomotive wieder der Normalität nähert und auch deutsche und euro­pä­ische Unternehmen vor Ort am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren. Der Fahrplan wird maßgeblich davon beein­flusst werden, wann es China gelingt, eine ausreichende Covid-Immunität durch breitflächig durchgeführte Impfung vor allem von Risikogruppen zu erreichen und effektive Mittel und Methoden zur Behandlung einer breiten Öffentlichkeit verfügbar zu machen.
 
Die Kommunistische Partei hat für 2022 ein vergleichsweise niedriges Wachstum von 5,5 Prozent anvisiert. China wird alles daransetzen, die gesteckten Ziele zu erreichen und seine Position als Wirtschaftsmacht zu festigen. Zum Leidwesen vieler ausländischer Geschäftsleute werden Einreisebeschränkungen nach Einschätzung vieler Beo­bachter wohl nur sehr langsam abgebaut. Erste positive Signale kommen aus einzelnen Städten und Pro­vin­zen zum Beispiel Peking und Jiangsu, die aktuell verkürzte Quarantänezeiten erproben. 
 
Auch kann als kleiner Fortschritt gewer­tet werden, dass die zivile Luftfahrtverwaltung Chinas (CAAC) gegenwärtig in Verhandlungen mit verschiedenen Ländern steht, um zusätzliche Linienflugverbindungen zuzulassen. Die Heraus­forderungen der Tage bergen aber auch Chancen, bestehende Geschäftsmodelle im Lichte der anhaltenden Digitalisierung zu überprüfen und bestenfalls zu transformieren. Das gilt nicht zuletzt auch für Führungsaufgaben, die auf Distanz wahrgenommen werden müssen. Erfolgsschlüssel dabei bleiben: Mut, Fingerspitzengefühl, inter­kulturelles Know-how und das Wissen sowie Anwenden passender Führungsinstrumente.
 
Trotz aller Herausforderungen und aktuellen Krisen und Konflikte – China wird seine Position als einer der wich­tigsten Investitions- und Absatzmärkte in den Post-Covid-Jahren weiter ausbauen und für die deutsche Wirtschaft auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

 Kulturelle Besonderheiten in China

Video auf YouTube ansehen

 Aus dem Newsletter

Kontakt

Contact Person Picture

Dr. Thilo Ketterer

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer

Partner

+49 911 9193 3062

Anfrage senden

Contact Person Picture

Sebastian Wiendieck

Rechtsanwalt

Partner

+86 21 6163 5329

Anfrage senden

 Unternehmer­briefing

Kein Themen­special verpas­sen mit unserem Newsletter!

Deutschland Weltweit Search Menu