Einstieg in die Bewertung komplexer Kapitalstrukturen u.a. mit ESOP/VSOP-Programmen

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veröffentlicht am 12. Februar 2021 | Lesedauer ca. 2 Minuten

von Cyril Prengel, Rödl & Partner Nürnberg, und Yannik Meka

  

​Ob aus strategischen Gründen, zur Finanz- und Steuerberichtserstattung oder im Rahmen eines Mitarbeitervergütungsprogramms (mehr dazu unter „ESOPS vs. VSOPS bei Start-ups”) ist die Bewertung verschiedener Gesellschaftsanteilsklassen, die mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet sind, nicht trivial. Insbesondere im Kontext von Start-ups ist die Bewertung von Anteilsklassen besonders komplex, da einher­gehend mit einer Vielzahl von verschiedenen Rechten (z.B. Liquidations­prä­fe­renzen, Verwässerungsschutzvereinbarungen, Caps, Discounts) sowie ggf. vorhan­dener Wandelschuldverschreibungen der Gesamtunternehmenswert nicht einfach anteilig auf die verschiedenen Anteilsklassen verteilt werden kann.

   

  

   
  
Die grundsätzliche Problematik hierbei besteht in der wirtschaftlichen Benachteiligung von Gründern und sonstigen Stammanteilsbesitzern. Dazu zählen u.a. auch Mitarbeiter, die entweder Optionen auf (virtuelle) Mitarbeiterbeteiligungen oder unmittelbar Anteile (i.d.R. sog. „Common Shares”) zugesprochen bekommen und im Vergleich zu Finanzinvestoren nicht mit zusätzlichen Sonder­konditionen ausgestattet sind.
 
Ein Bewertungsanlass in dem Zusammenhang ist häufig die Bestimmung von Ausübungspreisen für Anteils­optionen in ESOP/VSOP-Programmen, die oftmals gleichgesetzt werden mit dem derzeitigen Wert der Common Shares. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist, dass die Mitarbeiter an der Wertsteigerung seit dem Zeitpunkt der Gewährung der Mitarbeiteroptionen ESOP/VSOP partizipieren sollen. Alternativ ist bspw. auch eine Bestimmung des Wertes bei der Übertragung von Common Shares in sog. „Secondary Transactions” erforder­lich, bei denen die Anteile außerhalb von Finanzierungsrunden veräußert werden oder bei der Aufstockung von Anteilspaketen an Gründer oder Manager. Im letzteren Fall sind teilweise zusätzlich Bewertungen auch für steuerliche Zwecke vor dem Hintergrund der Dry-Income-Problematik erforderlich (Lesen Sie mehr in unserem Beitrag „Reform der Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungen an Start-ups”).
 
Die im Vergleich zu den Finanzinvestoren üblicherweise vorliegende wirtschaftliche Benachteiligung von Gründern und sonstigen Common Share Inhabern verdeutlicht das folgende Beispiel:
 
Die Gesellschafterstruktur unseres Start-ups besteht aus den Gründern mit 75 Prozent Stammaktien und einem VC-Fond der rechtlich 25 Prozent mittels Vorzugsaktien besitzt. Die Vorzugsaktien sind mit einer einfachen Liquidationspräferenz (non-participating) in Höhe von 5 Mio. Euro ausgestattet. Simuliert man nun eine Reihe von Exit-Bewertungen, wird schnell klar, dass gerade bei niedrigeren Bewertungen der wirt­schaft­liche Anteil der Gründer deutlich niedriger ist als der rechtliche Anteil von 75 Prozent. Bei einer Bewertung von 10 Mio. Euro fließt dem VC-Fond 50 Prozent des gesamten Exit-Erlöses zu und erst bei einer Verdopplung der Bewertung entspricht der wirtschaftliche Anteil des VC-Fonds dem rechtlichen Anteil von 25 Prozent.

 

 

Das Beispiel verdeutlicht, dass Stammaktien durch die Benachteiligung in Szenarien mit niedrigeren Exiterlösen faktisch einen geringeren Wert als Vorzugsanteile aufweisen müssen. Die weitläufig beobachtete Vorgehensweise den Unternehmenswert aus der linearen Hochrechnung des Anteilskaufpreises für Preference Shares aus der letzten Finanzierungsrunde zu ermitteln, führt bei Start-ups mitunter aus eben diesem Grund zu erheblichen Fehleinschätzungen bzw. Überbewertungen.

 
In der Praxis haben sich deshalb einige Bewertungsmethoden etabliert, die den wirtschaftlichen Wert­einfluss von Sonderrechten beachten und zu einer korrekten Wertdarstellung der Stammaktien und Vorz­ugs­aktien führen. Während die gängigsten Methoden – CVM, PWERM, und OPM – in Deutschland noch weit­reichend unbekannt sind, etablierten sich diese Methoden bereits als Marktstandard in den USA bei der Bewertung von komplexen Eigenkapitalstrukturen. So wird in der aktuellen Ausgabe des IPEV Standard explizit auf die Anwendung dieser besonderen Methoden zur Herleitung des Fair Values von Anteilklassen hingewiesen.

 
Um deutschen Start-ups und Investoren eine Einführung in diese Thematik zu ermöglichen, werden im Folgen­den die drei Methoden kurz vorgestellt.

  

 

Current Value Method (CVM)

Die Current Value Method basiert auf einer Schätzung des gesamten Eigenkapitalwertes unter der Annahme eines sofortigen Verkaufs oder einer Liquidation des Unternehmens. Sobald diese Schätzung feststeht, wird den Anteilsklassen ein Wert zugewiesen, welcher auf den Liquidationspräferenzen oder den Umwandlungs­werten basiert, je nachdem, welcher Wert höher ist.

 
Die Grundannahme der CVM ist, dass jede Anteilsklasse ihre Rechte ausüben und ihre Rendite erzielen wird, basierend auf dem Unternehmenswert zum Bewertungsdatum und nicht zu einem späteren Zeitpunkt. Entsprechend partizipieren Vorzugsaktionäre entweder als Vorzugsaktionäre (=Liquiditätspräferenzen) oder als Stammaktionäre abhängig davon, welche Form wirtschaftlich vorteilhafter ist. Stammaktien werden mit einem Wert in Höhe des anteiligen Restbetrags nach Abzug der Liquiditätspräferenzen berücksichtigt.

 
Die CVM stellt also eine reine Gegenwartsbetrachtung dar, welche schnell und leicht abzubilden und leicht nachvollziehbar ist. Gleichzeitig ergibt sich hieraus auch der Nachteil der Methode. Das Ergebnis ist sehr stark abhängig von der initialen Schätzung des Unternehmenswertes und, sowohl zukünftige Wertentwicklungen, als auch Änderungen der Eigenkapitalstruktur durch neue Finanzierungsrunden werden vernachlässigt. Entsprechend ist die Anwendung der CVM eher für Start-ups geeignet, die kurz vor dem Exit stehen.

 

Probability-Weighted Expected Returns Method (PWERM)

PWERM schätzt den Wert der verschiedenen Anteilsklassen durch eine Analyse von zukünftigen Unter­nehmenswerten zum erwarteten Exitzeitpunkt, unter der Heranziehung  verschiedener Exit-Szenarien. Die Anteilswerte basieren hierbei auf dem wahrscheinlichkeits-gewichteten Barwert der erwarteten zukünftigen Exiterlöse der jeweiligen Anteilsklasse unter der Beachtung von Sonderrechten der verschiedenen Anteilsklassen.

 
Konkret werden hierbei in einem ersten Schritt mögliche Zukunftsszenarien mit dem Management bestimmt (z.B. IPO oder Verkauf) und künftige Unternehmenswerte abgeleitet. Anschließend werden analog zur CVM die entsprechenden Unternehmenswerte auf die verschiedenen Anteilsklassen aufgeteilt. Diese erforderlichen sog. „Wasserfallanalysen” können schnell und effizient mithilfe spezieller Softwareprogramme, wie von Ventury Analytics, durchgeführt werden.

 
Nach der Aufteilung werden die Cashflows der einzelnen Szenarien mit deren Eintritts-Wahrscheinlichkeiten gewichtet und mithilfe eines risiko-adjustierten Diskontierungssatzes abgezinst. Die daraus resultierenden Barwerte entsprechen dem Wert der verschiedenen Anteilsklassen. Die Plausibilität der Bewertung kann durch einen Vergleich der letzten Finanzierungsrunde mit der entsprechenden Anteilsklasse überprüft und gege­benenfalls kalibriert werden (Anpassung des Diskontierungssatzes oder der Unternehmenswertschätzungen zum Exitzeitpunkt).

 

Option Pricing Method (OPM)

Bei der Option Pricing Method werden die Erlösmechanismen der verschiedenen Anteilsklassen mithilfe von Portfolios bestehend aus Call Optionen am Eigenkapital repliziert. Hierbei basieren die Ausübungspreise auf den Liquidationspräferenzen, sodass durch das Options Portfolio eine Erlösgleichung des Eigenkapitals abgeleitet werden kann. In dieser Gleichung haben die Common Shares nur einen Wert, wenn der Gesamterlös zum Zeitpunkt eines künftigen Liquiditätsevents die Ansprüche der Vorzugsanteile übersteigt.

 
Bei richtiger Gestaltung können mithilfe der Methode die Seniorität von Vorzugsaktien, Dividenden­ansprüchen, Conversion Rates und Cash Allocations in die Bewertungsgleichungen einbezogen werden und diese Vorgehensweise führt somit zu einem repräsentativen Wert unter Beachtung der rechtlichen Vereinbarungen.

 
Zur Bewertung der einzelnen Optionen wird üblicherweise das Black-Scholes Model angewandt, wobei die folgenden Input Parameter besonders kritisch sind: Laufzeit, Volatilität, risikofreier Zinssatz sowie der Preis der letzten Finanzierungsrunde.

 
Mit diesen Input-Parametern kann die Kapitalstrukturgleichung aufgelöst werden, sodass der Wert der letzten Finanzierungsrunde dem investierten Betrag entspricht. Das Verfahren wird üblicherweise als Back-Solve-Methode bezeichnet und resultiert in einer Bewertung der verschiedenen Anteilsklassen unter Beachtung der Vorzugsrechte.

 
Der große Vorteil des OPM im Vergleich zur CVM ist die Betrachtung von Verteilungen bei künftigen Exit-Szenarien. Gleichzeitig hat diese Methode auch ihre Nachteile, da eine Normalverteilung künftiger Wertentwicklungen angenommen wird und das Resultat sehr stark auf die Input Parameter (z.B. Volatilität) reagiert.

 
OPM ist am besten geeignet, wenn bestimmte künftige Liquiditätsereignisse schwer zu prognostizieren sind. Das heißt, die Anwendung der Methode wird im Allgemeinen in Situationen bevorzugt, in denen das Unternehmen viele Wahlmöglichkeiten und Optionen zur Verfügung hat und der Unternehmenswert davon abhängt, wie gut es einen unbekannten Weg durch die vielen möglichen Chancen und Herausforderungen beschreitet.

 

Fazit

Gegenwärtig bewerten viele Unternehmen ihre Anteilsklassen durch eine einfach lineare Hochrechnung aus letzten Finanzierungsrunden oder wenden im besten Fall geschätzte Abschläge von Preference Shares an, um zum Wert der Common Shares zu gelangen. Wie bereits demonstriert führt ein solches Vorgehen zu oftmals falschen Ergebnissen. Eine repräsentative Bestimmung des Wertes für verschiedene Anteilsklassen kann nur unter Einbezug der wirtschaftlich relevanten Vereinbarungen bzw. Vorzugsrechte richtig dargestellt werden. Gerade bei steuerlichen Bewertungsanlässen wird zwar die Einbeziehung der Sonderrechte vorgeschrieben (§ 11 Abs. 3 BewG), jedoch herrscht derzeit keine Klarheit in Bezug auf anwendbare Bewertungsmethoden. Die hier vorgestellten und im amerikanischen Raum akzeptierten Methoden bieten daher eine vertretbare Vorgehensweise um Anteilsklassen in komplexen Unternehmensstrukturen zu bewerten.

 
Mit diesen Methoden können insbesondere Start-ups bei einer geplanten Ausgabe von ESOPS/VSOPS trotz ihrer oftmals komplexen Anteilsstrukturen   Ausübungspreise bestimmen, welche dem aktuellen Wert der Common Shares entsprechen. Aber auch im Rahmen der internen Berichterstattungen von Venture Capital Fonds bietet es sich an deren Anteilswerte anhand der international empfohlenen Bewertungsmethoden zur Ableitung von Anteilswerten zu ermitteln. Die hier ausschlaggebenden International Private Equity and Venture Capital (IPEV) Guidelines schlagen explizit die Verwendung der hier vorgestellten Methoden vor.

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