Wege aus der Mitbestimmung: Ein rechtlicher und steuerlicher Überblick

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veröffentlicht am 13. Januar 2021 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Das deutsche Mitbestimmungsrecht – seit vier Jahrzehnten in Kraft – erfreut sich nur begrenzter Akzeptanz, da die brisanten Grundsatzdebatten um die unternehmerische Mitbestimmung anhalten. Zum einen wird dabei die „Erosion” der Mitbestimmungs­rechte prophezeit, die strengere Reformen verlangt und zum anderen wird die Not­wendigkeit von flexiblen Verhandlungslösungen gesehen. Die behaupteten Vorteile eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats, scheinen lediglich eine geringe Wirkung auf die Unternehmensleitungen in Deutschland auszuüben.


Der Streit wird durch die symbiotische Auseinandersetzung zwischen nationalem und europäischem Recht noch gegenwärtiger, da die deutsche Mitbestimmung durch neue Gestaltungsmöglichkeiten vermieden oder „eingefroren” werden kann.


Trotz kritischer Stimmen, die solche Umgehungsstrategien als „Lücken” oder „recht­liche Konstruktionen” zur Umgehung ansehen, bietet die Rechtsordnung viele legitime Wege aus der Mitbestimmung.


 

 


Rechtlicher Hintergrund

Ein Unternehmen erreicht den maßgeblichen Schwellenwert der deutschen Mitbestimmungsvorschriften nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG), sobald mehr als 500 Arbeitnehmer dort beschäftigt werden und nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), wenn die Grenze von 2.000 Mitarbeitern überschritten ist. Das führt dazu, dass mithin ein Aufsichtsrat auf unternehmerischer Ebene zu bilden wäre, der zu einem Drittel bzw. paritätisch mit Arbeitnehmern zu besetzen ist.

Um die Autonomie des Aufsichtsrats aufrechtzuerhalten, müssen Unternehmen entweder den Tat­bestands­merkmalen des Mitbestimmungsrechts ausweichen oder einen gesetzlichen Ausnahmetatbestand erfüllen. Das kann z.B. durch eine geschickte Rechtsformwahl, durch die Vermeidung einer Konzernzurechnung nach § 5 MitbestG oder durch eine Begrenzung der Arbeitnehmerzahl erreicht werden.


Wegen aus der Mitbestimmung

Gestaltungen der Rechtsform


1. Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea - SE)

Vielfach gewählt wird der Weg in eine SE, da sie als europäische Aktiengesellschaft keine unmittelbare Anwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsvorschriften kennt. Um Mitbestimmungsfreiheit gewährleisten zu können, ist insbesondere der Mitbestimmungsstatus der zuvor bestehenden Gesellschaft relevant. Zu beachten ist dabei ein „Vorher-Nachher”-Prinzip:

Wird eine SE z.B. durch Umwandlung gegründet, ist grundsätzlich der Umfang der Arbeitnehmerbeteiligung der umwandelnden Gesellschaft beizubehalten. Die SE ermöglicht daher nicht per se eine „Flucht aus der Mitbestimmung”, sondern lediglich die Aussicht, das Mitbestimmungsstatut ab ihrer Eintragung „einzufrieren”, sodass die Mitbestimmungsfreiheit auch bei dem künftigen Überschreiten der Mitarbeiterschwellenwerte beibehalten werden könnte. In dem Zusammenhang bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob rechtswidrige mitbestimmungsfreie „Ist-Zustände” vor dem Gang in die SE weitergeführt werden dürfen. Es ist zu erwarten, dass der Bundesgerichtshof in naher Zukunft die Grenzen klar definiert (bisherige Beschlüsse des OLG München vom 26. März 2020, Az. 31 Wx 278/18, 31 Wx 279/18 und 31 Wx 280/18).

Soll der Weg in eine SE beschritten werden, sind neben weiteren rechtlichen Aspekten (z.B. die Auswirkungen auf die Governance) auch die steuerlichen Folgen nicht außer Acht zu lassen. Die bisherige Rechtsform der umzuwandelnden Gesellschaft bestimmt auch die Möglichkeiten und Hürden für eine steuerneutrale Umwandlung in eine SE. Dabei sind neben den Regelungen des Umwandlungssteuerrechts auch weitere steuerliche Einflussfaktoren zu beachten. Wird bspw. eine Personengesellschaft (z.B. GmbH & Co. KG) in eine SE überführt, so sind die Auswirkungen auf die einzubringenden Gesellschafterkonten zu beleuchten oder auch steuerliche Effekte auf bisher in Anspruch genommene Steuerstundungen (z.B. aus einer Thesaurierungsbegünstigung) in die Entscheidung einzubeziehen.

Gleichwohl kann der Rechtsformwechsel in eine SE auch dazu genutzt werden, die steuerliche Struktur in der Unternehmensgruppe zu optimieren, indem z.B. Ausschüttungsbelastungen gesenkt werden können. Ob und in welcher Form Steuersparpotenziale durch die Etablierung einer SE gehoben werden können, ist von der konkreten Unternehmensstruktur im In- und Ausland abhängig und bedarf einer eingehenden Betrachtung des Einzelfalls.


2. Ausländische Rechtsformen

Eine weitere Gestaltungsalternative bietet der Weg in eine ausländische Rechtsform. Nach der sog. Gründungs­theorie sind Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen EU- oder EWR-Staates wirksam gegründet wurden, in Deutschland in ihrer ausländischen Rechtsform grundsätzlich anzuerkennen. Das gilt selbst dann, wenn sie überwiegend in Deutschland tätig sind. Um somit eine Anwendung des deutschen Mitbestimmungsrechts zu vermeiden, kommen bspw. die niederländische „B.V.” oder die österreichische GmbH in Betracht.

Zu berücksichtigten bleibt aber in dieser Gestaltungsvariante die Anwendbarkeit von ausländischem Unternehmensmitbestimmungsrecht, soweit ein solches im jeweiligen Gründungsstaat existiert. Nur sofern keine entsprechenden Gesetze bestehen, bleibt eine ausländische Gesellschaft auch in Deutschland ohne Mitbestimmungspflicht.

Weitere Einflussfaktoren auf die Entscheidung sind regelmäßig die mit einer ausländischen Gesellschaftsform verbundenen Nachteile, insbesondere der ggf. höhere Verwaltungsaufwand.

Ist zur Vermeidung der Mitbestimmung die Nutzung einer ausländische Rechtsform angedacht, sind auch eine Vielzahl von steuerlichen Aspekten zu beachten. So kann es durch die Verlagerung von bisher in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten steuerlich zu einer sog. „Funktionsverlagerung” oder „Entstrickung” kommen, die eine fiktive Veräußerungsbesteuerung zur Folge hat. Das ist insbesondere dadurch sehr nachteilig, da mit dem besteuerten Vorgang nicht gleichzeitig ein Liquiditätszufluss an das Unternehmen bzw. den Gesellschafter verbunden ist und somit eine Steuerzahlung anderweitig finanziert werden muss.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch bei einer Gesellschaft im Ausland ein steuerlicher Anknüpf­ungs­punkt in Deutschland besteht, wenn die Geschäftsleitung von Deutschland aus ausgeübt wird und/oder weiterhin operative Tätigkeiten durch Mitarbeiter in Deutschland vorgenommen werden. In dem Fall bestehen sowohl in Deutschland als auch im Ausland entsprechende Steuererklärungspflichten. In dem Zusammenhang ist dann auch anhand der Bestimmung in den einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen die Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen Deutschland und dem Ausland zu analysieren, um eine etwaige Doppelbesteuerung möglichst zu vermeiden. Das kann auch eine Anpassung der operativen Abläufe und konzerninterner Verträge erfordern.


3. Personengesellschaften und Sonderfall GmbH & Co. KG

Personengesellschaften (z.B. OHG und KG) werden grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich der Mitbestimmungsgesetze erfasst. Die GmbH & Co. KG stellt dazu einen Sonderfall dar und kann unter die Zurechnungsvorschrift des § 4 MitbestG fallen, sodass die Arbeitnehmer der Kommanditgesellschaft als Arbeitnehmer des persönlich haftenden Gesellschafters (Komplementärs) gelten. Das ist der Fall, sofern die Haftungs- und Organisationsstrukturen der einer Kapitalgesellschaft entsprechen und zwischen KG und GmbH eine ausreichende „Unternehmenseinheit” festgestellt wird. Dafür ist u.a. erforderlich, dass eine Mehrheitsidentität besteht.

Sind die hinter der GmbH & Co. KG stehenden Gesellschafter dagegen inkongruent an der KG und der Komplementär-GmbH beteiligt, kann die Zurechnung der im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer zur Komplementär-GmbH entfallen. Das ist nach einer sorgfältigen Betrachtung ggf. bereits durch eine geringe Anpassung der Beteiligungsstruktur möglich. Darüber hinaus bestehen, sofern die Beibehaltung der Grundform der KG gewünscht ist, alternative Gestaltungsmöglichkeiten, z.B. eine ausländische Kapitalgesellschaft & Co. KG oder eine SE & Co. KG.

Die Rechtsform einer Personengesellschaft bietet unter steuerlichen Gesichtspunkten eine hohe Flexibilität z.B. bei der Ausgestaltung der Gesellschafterkonten oder der vereinbarten Entnahmeregelungen. Grundsätzlich werden Gewinne, die die Gesellschafter aus der Personengesellschaft erzielen, ihrem persönlichen Einkommensteuersatz unterworfen, soweit nicht die sog. Thesaurierungsbegünstigung in Anspruch genommen wird.

Im Hinblick auf Beteiligungen an Auslandsgesellschaften bieten sie die Möglichkeit, die im Ausland erzielten Gewinne ohne weitere Steuerbelastung bis auf die Ebene der Gesellschafter zu entnehmen. Allerdings erfordert das eine zielgenaue Abstimmung der Ausgestaltung auf allen Beteiligungsebenen und einen detaillierten Einbezug des ausländischen Steuerrechts.

Soll aus Gründen der Mitbestimmung oder aus anderen Überlegungen eine Personengesellschaftsstruktur etabliert werden, ist eine eingehende steuerliche Analyse erforderlich, wie das möglichst steuerneutral umgesetzt werden kann. Auch Verschiebungen in der Beteiligungsstruktur sollten nicht ohne Blick auf die steuerlichen Folgen vorgenommen werden.


Vermeidung der Konzernzurechnung

Ggf. ist eine Rechtsformumwandlung nicht notwendig, da bereits eine Neu- oder Umverteilung der Arbeit­nehmer auf mehrere Konzerngesellschaften genügt, um nicht in den Anwendungsbereich der deutschen Mitbestimmungsvorschriften zu gelangen.


Für Unternehmen mit 500 bis 2.000 Arbeitnehmern, werden die Arbeitnehmer anderer Gesellschaften nur dann zugerechnet, sofern z.B. ein Beherrschungsvertrag mit der abhängigen Gesellschaft vorhanden ist oder weitere Zurechnungsvoraussetzungen erfüllt sind. Überschreitet jedoch ein Unternehmen die 2.000 Arbeitnehmerschwelle, findet eine Zurechnung auf die beherrschende Konzernspitze auch ohne Beherrschungsvertrag nach § 5 MitbestG grundsätzlich statt. Das gilt jedoch z.B. nicht für gleichgeordnete Unternehmen.

Die Konzernzurechnung kann allerdings auch dem Autonomieschutz des Aufsichtsrats dienen, wenn die für die Zurechnung relevante Konzernspitze durch eine mitbestimmungsfreie Rechtsform belegt wird. SE und Personengesellschaften haben die größte praktische Bedeutung, ebenso ausländische Holdinggesellschaften. Die abhängigen Unternehmen können dann beliebige Rechtsformen haben und weiterhin mittbestimmungsfrei bleiben.

Soweit zur Vermeidung einer Konzernzurechnung Restrukturierungsmaßnahmen ergriffen werden müssen, gilt es auch dabei die steuerlichen Folgen näher zu beleuchten. So kann es erforderlich sein, zunächst einen steuerlichen Teilbetrieb abzugrenzen, damit der anschließend steuerneutral auf eine andere Konzerngesellschaft inkl. der Mitarbeiter übertragen werden kann.


Begrenzung der Arbeitnehmerzahl

Freilich bestehen ferner die klassischen Methoden, um die Mitarbeiterzahl der in deutschen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu verringern, wie Outsourcing, Leiharbeit, Aufspaltung von Gesellschaften und die Möglichkeit des Auslandswachstums. Grenzüberschreitende Betrachtungen sind jedoch nicht ausgeschlossen.

Insbesondere das Verständnis des Arbeitnehmerbegriffs ist für die Zählweise maßgeblich. Abgestellt wird auf die „i.d.R. beschäftigten” Arbeitnehmer, wobei eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der zurückliegenden und der künftigen Entwicklungen vorgenommen wird. Bspw. werden auch Auszubildende, Heimarbeiter, Teilzeitbeschäftigte, vorübergehend im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer wie Monteure und langfristig im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis dem deutschen Recht unterliegt, nach der Ausstrahlungstheorie erfasst. Auch vorübergehend ruhende Arbeitsverhältnisse wegen bspw. Mutterschutz und Elternzeit sind zu beachten. Leiharbeitnehmer sind grundsätzlich im Entleiher-Unternehmen zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. Dabei gilt nach dem BGH eine arbeitsplatzbezogene und keine personenbezogene Betrachtung. Ausgenommen sind hingegen Organe der betroffenen Gesellschaft sowie leitende Angestellte, sofern das Unternehmen nur dem DrittelbG unterliegt.


Fazit

Trotz der teilweise geübten Kritik an der Vermeidung einer Unternehmensmitbestimmung bestehen mannigfaltige Möglichkeiten, sie zu erreichen. Die Mitbestimmungsfreiheit kann oft durch nur geringfügige Eingriffe in die Unternehmensstruktur erreicht werden, sofern die frühzeitig erkannt wird und die erforderlichen Maßnahmen sauber umgesetzt werden. Der optimale Lösungsansatz ist von Unternehmen zu Unternehmen und je nach Branche verschieden. Vor der Umsetzung ist – aufgrund der komplexen Materie – eine rechtliche und steuerliche Einzelfallbetrachtung zu empfehlen.

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