Neuregelungen zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen

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​​​​​veröffentlicht am 6. September 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Mit Wirkung zum 31.1.2023 und 31.3.2023 sind gleich drei deutsche Umsetzungen der europäischen Mobilitätsrichtlinie (EU) 2019/2121 in Kraft getreten. Sie bilden Schritte hin zu einem EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen.

Neu ist das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Formwechseln und grenzüberschreitenden Spaltungen, kurz MgFSG. Zudem haben sich Änderungen im MgVG, dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung und im Umwandlungsgesetz (UmwG) ergeben.
 

Hintergrund

Bisher existierten nur Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung im alten MgVG und dem UmwG. Grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen waren weder gesellschaftsrechtlich noch mitbestimmungsrechtlich normiert.

 

Das Recht der unternehmerischen Mitbestimmung richtet sich nach dem nationalen Gesellschaftsstatut, d.h. dem Recht des Sitzstaates. Mitbestimmungsrechte sind EU-weit sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das deutsche Recht gewährt Arbeitnehmern die weitreichendsten Mitbestimmungsrechte.

 

Mitbestimmung bezeichnet im vorliegenden Zusammenhang die unternehmerische Mitbestimmung im Aufsichtsrat oder Verwaltungsorgan durch gewählte Vertreter der Arbeitnehmer. Nicht gemeint ist die davon unabhängige betriebliche Mitbestimmung durch den Betriebsrat.

 

Ändern Unternehmen durch grenzüberschreitende Umwandlung das Gesellschaftsstatut, d.h. verlegen sie ihren satzungsmäßigen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat, richten sich die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer sodann nach dem Recht des neuen Satzungssitzes („Sitzstaatprinzip”). Der Verwaltungssitz, d.h. die operative Tätigkeit mitsamt Betriebsstandort und Mitarbeitern bleibt unverändert in Deutschland. Nach dem EuGH sind solche Umwandlungen (trotz des bestehenden Regelungsgefälles) nicht per se rechtsmissbräuchlich.

 

Der europäische Gesetzgeber sah diese Fluchtmöglichkeit bereits Anfang der 2000er und erlies jedenfalls für grenzüberschreitende Verschmelzungen im Jahr 2005 die Richtlinie 2005/56/EG auf dessen Grundlage das deutsche MgVG verabschiedet wurde. Es sieht vor, dass der grenzüberschreitende Sitzstaatwechsel durch Verschmelzung einer deutschen Gesellschaft auf eine ausländische, europäische Gesellschaftsform, ab dem Erreichen der deutschen Mitbestimmungs-Schwellenwerte nur unter Absolvierung eines Verhandlungsverfahrens zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensführung erfolgen darf (sog. „Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren”).

 

Eine Verschmelzung vor Erreichen der (deutschen) Schwellenwerte auf eine ausländische, mitbestimmungsfreie Gesellschaftsform, tangierte das alte MgVG nicht. Der Zustand der Mitbestimmungsfreiheit konnte „eingefroren“ werden, indem Unternehmen rechtzeitig vor der Umwandlung den Satzungssitz durch Verschmelzung wechselten.

 

Neuerungen

Das UmwG sieht in dem neu geschaffenen sechsten Buch in §§ 320 bis 345 UmwG nun konkrete, insbesondere gesellschaftsrechtlich relevante Verfahrensregelungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel und der grenzüberschreitenden Spaltung vor. Grenzüberschreitende Verschmelzungen werden nun auch in §§ 320 ff. UmwG geregelt und nicht mehr in §§ 122a ff. UmwG a.F.

 

Das im sechsten Buch geschaffene Recht für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel baut auch die Informations- und Konsultationsrechte der Arbeitnehmer durch längere Zugänglichmachung des Umwandlungsberichts und erweiterte Darstellungspflichten der Auswirkungen der Umwandlung auf die Arbeitnehmer aus.

 

Das bereits aus der Mitbestimmung der SE sowie dem alten MgVG bekannte Verhandlungsmodell wird im MgFSG auf grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen erstreckt.

 

Neu ist die 4/5-Regelung. Sie findet sich im MgFSG und wurde auch ins neue MgVG übertragen. Sie regelt, dass die Verhandlungslösung nicht erst greift, wenn die beteiligten Gesellschaften die nationalen Schwellenwerte für unternehmerische Mitbestimmung vor der Umwandlung übersteigen, sondern bereits dann, wenn die Beschäftigtenzahl vor der Umwandlung über 4/5 des festgelegten Schwellwertes liegt. Damit werden auch zum Umwandlungszeitpunkt noch mitbestimmungsfreie Gesellschaften der Verhandlungslösung unterworfen.

 

Kritik: Während im MgVG die Option beibehalten wurde, dass die Unternehmensführung das Verhandlungsverfahren mit dem besonderen Verhandlungsgremium abbedingt und direkt das bisher bestehende Mitbestimmungsrecht des Wegzugstaates anwendet (sog. „Auffanglösung”), wurde diese Option nicht ins MgFSG aufgenommen. Gesellschaften, die nur unter die 4/5-Regelung fallen, werden hierdurch zu zeit- und kostenaufwendigen Verhandlungen gezwungen, obwohl an deren erfolglosem Ende weiterhin die Mitbestimmungsfreiheit steht.

 

Ein weiterer Unterschied zwischen dem MgVG und MgFSG ist, dass bei letzterem das vor der Umwandlung geltende Mitbestimmungsregime streng geschützt wird – ein Herunterhandeln der Mitbestimmung ist nicht möglich. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen hingegen kann die bisherige Mitbestimmung durch Verhandlungen reduziert oder sogar wegverhandelt werden.

 

Um das übernommene Mitbestimmungsregime des Wegzugstaates nicht durch direkt anschließende innerstaatliche Umwandlung ablegen zu können, sehen MgVG und MgFSG weiter vor, dass für den Fall einer anschließenden nationalen Umwandlung innerhalb von vier Jahren erneut ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen wäre.

 

Ausblick

Allgemein ist die gewonnene Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen zu begrüßen. Gerade der grenzüberschreitende Formwechsel wird in vielen Fällen eine Alternative zur praktisch bisher einzigen Option der grenzüberschreitenden Verschmelzung darstellen.

 

Das sechste Buch des UmwG und das MgFSG lässt sich in der Praxis gut umsetzen. Die meisten Regelungen sind bereits bekannt und bewährt.

 

Die teilweise Ungleichbehandlung zwischen grenzüberschreitenden Verschmelzungen einerseits und Formwechseln sowie Spaltungen andererseits wirkt allerdings unberechtigt und unglücklich.

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Juliane Grimm

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