OLG Braunschweig: Keine ESG-Berichtspflichten einer Aktiengesellschaft durch die Hintertür

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veröffentlicht am 7. März 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Eine Satzungsänderung, die den Vorstand einer Aktiengesellschaft zu einer um ESG-spezifische Themen erweiterten Nachhaltigkeitsberichtserstattung verpflichtet, ist unzulässig, da hierdurch unverhältnismäßig in die Geschäftsführungsautonomie des Vorstands eingegriffen wird (Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 8.5.2023, Az. 2 W 25/23).



Seit längerer Zeit wird in der juristischen Fachwelt darüber diskutiert, ob und in welchem Umfang in Hauptversammlungen klimapolitisch motivierte Beschlussgegenstände (Say-on-Climate) auf die Tagesordnung gesetzt werden und damit Einfluss auf die Geschäftsführung der Aktiengesellschaft genommen werden kann. Denn solche Beschlüsse bewegen sich im Spannungsfeld der aktienrechtlichen Kompetenzordnung. Zwar hat die Hauptversammlung die Kompetenz, die Satzung der Gesellschaft zu ändern, gleichzeitig ist aber eine direkte Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Gesellschaft untersagt. Erstmals hat sich nun ein deutsches Gericht – das Oberlandesgericht Braunschweig - mit dieser Frage beschäftigt und ein rechtskräftiges Urteil gefällt. Das Gericht stärkt hierbei die Position des Vorstands und schiebt der Einflussnahme durch „aktivistische Aktionäre” einen Riegel vor.

Zum Fall:


Im konkreten Fall hatten institutionelle Anleger aus dem Bereich der öffentlichen Altersvorsorge als Minderheitsaktionäre eines internationalen Automobilkonzerns aus Niedersachsen einen Ergänzungsantrag zur Tagesordnung der Hauptversammlung der Gesellschaft gestellt. Der Ergänzungsantrag war darauf gerichtet, die Hauptversammlung über eine Änderung der Satzung der Gesellschaft abstimmen zu lassen. Die Satzung sollte dahingehend geändert werden, dass die Nachhaltigkeitsberichtserstattung gemäß §§ 289b, 315 Handelsgesetzbuch auch sämtliche direkten und indirekten Lobbyaktivitäten des Konzerns im Themenkomplex des Klimawandels offenzulegen hat.

Die Verwaltung der Gesellschaft wies diesen Ergänzungsantrag als unzulässig zurück. Sie argumentierte, dass eine derartige Satzungsänderung gegen die Satzungsstrenge des Aktiengesetz (§ 23 Absatz 5 Aktiengesetz) verstoßen würde. Im Aktienrecht darf von den Regelungen des Aktiengesetzes nämlich nur dann durch die Satzung der Gesellschaft abgewichen werden, wenn das Aktiengesetz dies vorsieht. Im hier vorliegenden Fall würde diese weitreichende Offenlegungspflicht in die Geschäftsführungsautonomie des Vorstands, die insbesondere in § 76 Absatz 1 AktG geregelt ist, eingreifen. Diese Geschäftsführungsautonomie sehe jedoch keinen entsprechenden Raum für eine konkretisierende Satzungsregelung vor. 

Daraufhin griffen die institutionellen Anleger die Entscheidung der Verwaltung der Gesellschaft gerichtlich an, unterlagen jedoch sowohl erstinstanzlich vor dem Amtsgericht Braunschweig als auch in der zweiten Instanz vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. 

Die Entscheidungsgründe:


Das Oberlandesgericht hat den Antrag der institutionellen Inverstoren als unzulässig abgewiesen. Es hat sich hierbei der Argumentation der Gesellschaft angeschlossen, wonach diese Satzungsänderung gegen die gesetzliche Kompetenzordnung des Aktienrechts verstoßen würde. 

Das Gericht legte zwar dar, dass durch die Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichtserstattung um die Pflicht der Offenlegung sämtlicher direkter und indirekter Lobbyaktivitäten des Konzerns im Themenkomplex des Klimawandels keine direkte Verhaltenspflicht des Vorstands der Gesellschaft entstehen würde. Es würde nämlich nur eine bereits bestehende Berichtspflicht des Vorstands erweitert werden. Allerdings resultierte aus dieser erweiterten Berichtspflicht ein mittelbarer Zwang für den Vorstand jedweden Lobbyismus dieser Art zu unterlassen. Denn der Vorstand könnte sich aufgrund etwaiger negativer Reaktionen der Öffentlichkeit und der damit verbundenen Unannehmlichkeiten dazu gezwungen sehen, derartige Handlungen zu unterlassen. Es handele sich daher nur vordergründig um eine Transparenzvorschrift. Das eigentliche Anliegen der institutionellen Anleger sei es hingegen, den Vorstand zu einer Änderung seiner Unternehmenspolitik zu veranlassen. Dies laufe aber der Leitungs- und Geschäftsführungsautonomie des Vorstands, die in § 76 Absatz 1 AktG gesichert ist, zuwider.

Fazit

Die Bewertungen des bereits rechtskräftigen Urteils gehen in der juristischen Fachwelt auseinander. Formaljuristisch vor dem Hintergrund der Satzungsstrenge und der Kompetenzverteilung des Aktienrechts vermag es jedoch wohl zu überzeugen. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat die Beschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Themenkomplex bleibt somit vorerst aus. Dies wäre im dynamischen Umfeld des Say-on-Climate wünschenswert gewesen.

Es lässt sich festhalten, dass die Leitungsautonomie des Vorstands durch das Urteil bestätigt wird. Damit verbunden werden die Möglichkeiten der Aktionäre, auf die direkte Leitung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, verringert und der Raum für sogenannten shareholder activism eingeschränkt. Lediglich der Gesetzgeber kann dem Vorstand den Umfang und die Art der Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgeben. 

Sollte eine Aktiengesellschaft sich einem entsprechenden Ergänzungsantrag in der Hauptversammlung gegenübersehen, so kann sie diesen nach entsprechender Prüfung des Einzelfalls, daher in den meisten Fällen wohl als unzulässig zurückweisen. Allerdings sollte man sich im Klaren sein, dass eine derartige Zurückweisung gegebenenfalls auch nicht zu einer vorteilhaften Berichterstattung führt.  

Im vorliegenden Fall war der Druck der institutionellen Anleger nicht vollends vergebens. Die Gesellschaft ist den Antragstellern entgegengekommen und hat zumindest teilweise die vorgeschlagenen Berichtspflichten in einem „Association Climate Review” erfüllt. In einem ähnlich gelagerten Fall ist der Vorstand dem Antrag nachgekommen und hat einen vergleichbaren Gegenstand in die Tagesordnung aufgenommen. 

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