Auswirkungen des BAG-Urteils zur Zeiterfassungspflicht auf Einrichtungen des Gesundheitssektors

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​veröffentlicht am 31. Januar 2023

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 03.12.2022 seine lang erwarteten Gründe zum BAG-Beschluss vom 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21 veröffentlicht. Darin stellt es klar, dass Arbeitgeber zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit ihrer Arbeitnehmer ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem einführen müssen, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit erhoben und aufgezeichnet werden kann. Diese Aufgabe kann der Arbeitgeber auch an seine Angestellten delegieren, wenn er vorher entsprechende Vorgaben zur Erfassung trifft; er muss die Nutzung aber sicherstellen und kontrollieren. Bußgelder bei Verletzung der arbeitsschutzrechtlichen Pflicht sind nicht vorgesehen, allerdings ist Arbeitgebern, darunter auch Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen, zu empfehlen, ein geeignetes Zeiterfassungssystem einzuführen.

 

Auswirkungen der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf den Gesundheitssektor Gründe zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, BAG, Beschl. V. 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21

In dem vom BAG entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob dem Betriebsrat einer vollstationären Wohneinrichtung ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht zur Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems zusteht. Der Betriebsrat hatte die Feststellung des Rechts zur Einführung einer digitalen Stechuhr begehrt, um der Gefahr unbezahlter Überstunden, Verletzung von Ruhepausen und Kappung von Arbeitszeitguthaben entgegenzuwirken. Das BAG lehnte den Antrag grundsätzlich ab. Es bestehe zu Gunsten des Betriebsrates kein Mitbestimmungsrecht, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt sei und bereits eine bindende gesetzliche Verpflichtung zur Vornahme einer bestimmten betrieblichen Maßnahme bestehe.

 

Der Senat stützt diese Pflicht auf eine europarechtskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz. Danach sind Arbeitgeber verpflichtet, zur Wahrung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten für eine „geeignete Organisation" zu sorgen und die „erforderlichen Mittel" bereitzustellen. Dazu gehöre auch, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer, einschließlich der Überstunden, zu erfassen. Das System dürfe sich auch nicht darauf beschränken, die Zeiten lediglich zu „erheben", vielmehr müsse die Arbeitszeit auch erfasst und damit aufgezeichnet werden. Andernfalls seien weder die Lage der täglichen Arbeitszeit noch die Einhaltung der täglichen und der wöchentlichen Höchstarbeitszeit innerhalb eines Bezugszeitraums überprüfbar und eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden nicht möglich. Der Senat stellt darüber hinaus klar, dass eine Pflicht zur elektronischen Erfassung nicht bestehe. Dem Arbeitgeber komme hinsichtlich der Form ein Spielraum zu. Sie sei unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und der Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere der Größe – zu bestimmen.

 

Der Beschluss beruht auf den europäischen Grundlagen des sog. Stechuhr-Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 14.5.2019,  C- 55/18. Das Urteil verpflichtete die Mitgliedstaaten bereits ein System zur Arbeitszeitenerfassung einzuführen.

 

Auswirkungen der Verpflichtung auf Akteure des Gesundheitssektors

Auch Krankenhäuser, Universitäten und sonstige Arbeitgeber des Gesundheits- und Sozialsektors im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes sind von der Entscheidung betroffen. Dies gilt umso mehr als aufgrund der hohen Auslastung bestimmter Bereiche eine besonders hohe Gefahr von Überstunden und Verletzungen von Ruhepausen besteht. Arbeitgeber müssen sich, sofern noch nicht geschehen, mit der Einführung eines Zeiterfassungssystems grundsätzlich auseinandersetzen.

 

Der Beschluss stellt allerdings klar, dass das Erfassungsmodell lediglich für Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG gilt. Damit erstreckt es sich nicht auf Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmern selbst bestimmt werden kann. Nach § 18 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz trifft dies insbesondere auf leitende Angestellte, Chefärzte sowie auf häusliches Pflegepersonal zu.

 

Auch wenn Bußgelder bei Nichtbeachtung (noch) nicht zu erwarten sind, sollten die Vorgaben zur Sicherung des Arbeitsschutzes und zur Vermeidung von etwaigen Schadensersatzprozessen der Arbeitnehmer Beachtung finden.

 

 

Sie möchten wissen, welche Änderungen der BAG Beschluss für Sie mit sich bringt und was bei einem Zeitenerfassungssystem zu beachten ist? Nehmen Sie Kontakt zu uns auf, wir beraten Sie gerne.

 

 

 


 

Quelle:

Leitsatzzettel (bundesarbeitsgericht.de), BAG Erster Senat, Beschluss vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21

 

Autoren

​Carina Richters​Pauline Rauch

 

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