BAG-Urteil: Kein Equal-Pay für Leiharbeitnehmer – Ein Urteil zugunsten des Fachkräftemangels?

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veröffentlicht am 29. Juni 2023

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat, nach mehreren Vorinstanzen und Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, mit seinem Urteil vom 31.05.2023 (Az. 5 AZR 143/19) entschieden, dass Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer für die gleiche Tätigkeit nicht das gleiche Arbeitsentgelt erhalten müssen. Eine Abweichung „nach unten” sei laut BAG nach § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) möglich, sofern die Ungleichbehandlung durch den Tarifvertrag ausgeglichen werde. Ein Verstoß gegen den in § 8 Abs. 1 AÜG verankerten Gleichstellungsgrundsatz („equal pay”) sei dadurch nicht anzunehmen.

 

Übersicht über das Urteil: 

Das BAG-Urteil befasste sich mit einem Fall, der weitreichende Auswirkungen auf die Rechte von Leiharbeitnehmern hat. Geklagt hatte eine Leiharbeitnehmerin gegen ihren Arbeitgeber (Verleiher) auf gleichwertige Bezahlung wie die festangestellten Mitarbeiter des entleihenden Unternehmens. Bei Verrichtung derselben Tätigkeit erhielt sie einen Stundenlohn von 9,23 Euro, die Stammarbeitnehmer hingegen 13,64 Euro. Sie machte daher einen Verstoß gegen den Gleichstellungsgrundsatz gem. § 8 Abs. 1 AÜG, bzw. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG a.F. geltend und verklagte ihren Arbeitgeber auf Zahlung des Differenzbetrages. Diesbezüglich führte sie aus, dass das auf ihr Leiharbeitsverhältnis anzuwendende Tarifwerk des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und der Gewerkschaft ver.di mit Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort vorgeschriebenen Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar sei.

Bereits die Vorinstanzen hatten diese Klage abgewiesen und auch das BAG entschied nun, dass die Klägerin keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt habe.


Denn aufgrund des Tarifwerks von iGZ und ver.di, welches hier wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung fände, sei der Verleiher nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG nur verpflichtet die tarifliche Vergütung zu zahlen. Das Tarifwerk in Kombination mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer genüge daher den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL. Denn danach sei die Schlechterstellung unter Beachtung des „Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ geschehen, da Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Vorliegend habe die (Vereinbarung der) Fortzahlung des Entgelts auch in der verleihfreien Zeit nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG einen solchen Ausgleichsvorteil dargestellt.


Was Arbeitgeber beachten müssen:

Dem neuesten Urteil des BAG folgend müssen Arbeitgeber sich zwingend an die geltenden Tarifwerke halten und die dort festgelegten geschuldeten Arbeitsbedingungen gewähren (§8 Abs. 2 Satz 2 AÜG), wobei sie die nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte nicht unterschreiten dürfen. Der geforderte Ausgleich bei nachteiliger Entgeltzahlung muss außerdem unter Beachtung der in Art. 3 Abs. 1 lit. F) Leiharbeits-RL definierten wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährt werden.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass „verleihfreie Zeiten” nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich sind, was jedoch nicht in allen europäischen Ländern der Fall ist.

Letztlich gilt zu beachten, dass laut BAG seit 01.04.2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG nur in den ersten neun Monaten des Leiharbeitsverhältnisses möglich ist.


Kritik an dem Urteil:

Obwohl das BAG-Urteil aus Sicht der Arbeitgeber in der Gesundheitswirtschaft positive Auswirkungen hat, gibt es auch Kritik an dieser Entscheidung. Gewerkschaften und einige Arbeitnehmervertreter argumentieren, dass die Auffassung des Gerichts zu einer Ungleichbehandlung von Leiharbeitnehmern führt und ihre Arbeitsbedingungen verschlechtert. Sie sehen darin eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte und eine Verletzung des Prinzips der Gleichbehandlung, unter anderem dadurch, dass auch Stammarbeitnehmer ihre Vergütung ebenfalls weiter erhalten würden, auch in Phasen, in denen nicht viel zu tun sei.

 

Wobei auch weitere kritische Stimmen laut werden, wonach die verleihfreie Zeit als Ausgleich als realitätsfern angesehen wird, da in der Praxis in dieser Zeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut werden müssen. Zudem wird oftmals in den Tarifverträgen geregelt, dass die verleihfreie Zeit erst nach einer Mindestbeschäftigungsdauer bei dem Verleiher überhaupt beansprucht werden darf.

Weiterhin wird durch das Urteil auch die Kritik an den Gewerkschaften laut und lässt die Frage aufwerfen, wieso sie überhaupt Tarifverträge abschließen, die eine Umgehung des „equal pay“ letztlich überhaupt ermöglichen.


Fazit für den Gesundheitssektor:

Dieses Urteil bringt erhebliche Rechts- und Planungssicherheit für Arbeitgeber im Gesundheitssektor mit sich, insbesondere im Hinblick auf den bestehenden Fachkräftemangel. Durch die Möglichkeit, Leiharbeitnehmer zu einem niedrigeren Lohn einzusetzen, können Unternehmen Personalengpässen flexibler und kosteneffizienter begegnen und ihre Personalressourcen besser planen, um auf den Fachkräftemangel reagieren zu können.

 

Allerdings wird auch die Kritik an der Ungleichbehandlung von Leiharbeitnehmern nicht durch dieses Urteil verstummen. Letztlich kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass zukünftig politische Maßnahmen ergriffen werden, um die Rechte von Leiharbeitnehmern zu stärken und sicherzustellen, dass sie angemessen entlohnt werden, sodass Arbeitgeber trotz dieses positiven Urteils nicht die Risiken aus den Augen verlieren sollten.

 

Letztlich sollten Arbeitgeber sich vor allem über die genauen Bedingungen der jeweiligen Tarifverträge informieren, um bei Gehaltsabweichungen die Ausgleichsvorteile angemessen zu berücksichtigen. Bei Unsicherheiten sollte daher unbedingt rechtliche Beratung hinzugezogen werden.

 

AUTORINNEN

​Franziska Witt​Carina Richters

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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