Off-Label-Use bei Zwangsbehandlung? Nicht ohne medizinisch-wissenschaftlichem Konsens!

PrintMailRate-it

​​​veröffentlicht am 30. Juni 2025

Eine Betreuerin beantragte die Genehmigung einer zwangsweisen medikamentösen Behandlung einer Betroffenen, die an einer wahnhaften Störung leidet, unter anderem mittels intramuskulärer Verabreichung von Haloperidol (Off-Label-Use). Das Amtsgericht genehmigte dies, während das Landgericht den Antrag teilweise zurückwies. Zu Recht, wie der Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen der Rechtsbeschwerde feststellte!​


Hintergrund

Nach den Feststellungen des Landgerichts fehle es bei der intramuskulären Verabreichung von Haloperidol an einer fachgerechten, leitliniengetreuen Anwendung, da das Medikament für diese Applikationsform bei der vorliegenden Indikation nicht zugelassen sei. Die S3-Leitlinie „Schizophrenie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) fordere für einen Off-Label-Use die Erfüllung bestimmter Kriterien: nachgewiesene Wirksamkeit, günstiges Nutzen-Risikoprofil und fehlende Alternativen. Zudem sei eine gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient erforderlich, die laut Landgericht nicht durch den Betreuer ersetzt werden könne, insbesondere bei potenziell lebensgefährlichen Nebenwirkungen.

Der BGH korrigierte diese Auffassung teilweise durch Beschluss vom 7. Mai 2025 (XII ZB 361/24). Entgegen der Ansicht des Landgerichts könne die gemeinsame Entscheidungsfindung auch zwischen Arzt und Betreuer erfolgen. Allerdings setze eine zwangsweise Off-Label-Anwendung eine medizinisch-wissenschaftlich konsentierte Grundlage voraus, und zwar sowohl hinsichtlich der ärztlichen Maßnahme als solcher auch hinsichtlich ihrer zwangsweisen Durchsetzung. Diese Grundlage könne sich aus Leitlinien oder Empfehlungen nationaler und internationaler medizinischer Fachgesellschaften ergeben. Das Landgericht habe versäumt, zu prüfen, ob ein solcher Konsens vorliege, etwa durch Bewertungen von Expertengruppen nach § 35c SGB V oder durch Fachgesellschaftsempfehlungen. Gleichwohl führe das Unterlassen der vollständigen Aufklärung nicht zu der begehrten Feststellung, da der angestrebte Behandlungserfolg auch durch eine alternative orale Medikation, die die Betroffene bisher zugelassen habe, erreicht werden könne.

Was bedeutet das für die Praxis?

Ärzte und Betreuer sollten bei der Planung einer zwangsweisen Off-Label-Behandlung sicherstellen, dass ein medizinisch-wissenschaftlicher Konsens vorliegt, etwa durch Leitlinien oder Fachgesellschaftsempfehlungen. Eine sorgfältige Prüfung der Notwendigkeit, des Nutzen-Risikoprofils und fehlender Alternativen ist unerlässlich. Zudem muss die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Betreuer dokumentiert werden. Gerichte werden solche Maßnahmen nur genehmigen, wenn die strengen Voraussetzungen des § 1832 BGB erfüllt sind und keine weniger einschneidenden Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Im Zweifelsfall ist eine rechtliche Beratung ratsam, insbesondere bei potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen.

Fazit

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die hohen Anforderungen an zwangsweise Off-Label-Behandlungen. Nur mit einer soliden medizinisch-wissenschaftlichen Grundlage und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit kann eine solche Maßnahme gerechtfertigt werden. Eine genaue Kenntnis der rechtlichen und medizinischen Vorgaben ist entscheidend, um die Rechte der Betroffenen zu wahren und gerichtliche Genehmigungen zu erhalten.


AUTOR

Jonas Kabus

FOLGEN SIE UNS!


Kontakt

Contact Person Picture

Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

Partner

+49 911 9193 3713

Anfrage senden

Profil

WIR BERATEN SIE GERN!

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu