Unternehmerregress entlang der Lieferkette: Deutscher Gesetzgeber stärkt Rechte von Werkunternehmern

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veröffentlicht am 30. Mai 2018
 
Dem zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Gesetz zur „Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung” liegt im Kern ein bereits 15 Jahre zurückliegender Sachverhalt zugrunde, der in der deutschen Jurisdiktion auch als der „Fliesenfall” bekannt wurde.1 
   

 

Ausgangssituation

Das heimische Badezimmer geziert mit echten italienischen Marmorfließen – das war die Wunschvorstellung eines Käufers, Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, der im örtlichen Baustoffhandel polierte Bodenfliesen eines italienischen Herstellers erwarb und sie sodann in seinem Haus verlegen ließ. Doch die Freude über das neue mediterrane Badezimmerglück währte nicht lange. „Die Fliesen” – so heißt es in den Ausführungen des vom Bundesgerichtshof in der Revision nicht beanstandeten Sachverständigengutachtens – „wiesen her­stellungs­bedingte Polierfehler auf, die insbesondere bei Tageslichteinfall in der Fläche sichtbar” waren.
 
Die ihre Einstandspflicht unter Berufung auf den klaren Wortlaut und den mit dem Primäranspruch korre­lierenden Umfang des Nacherfüllungsanspruchs aus § 439 I BGB a.F.2   verneinende Beklagte verlor den Prozess auch in letzter Instanz. Diese rechtliche Bewertung, so die Richter in Karlsruhe, sei maßgeblich der norm­konformen Auslegung des § 439 I BGB a.F. im Spiegel des Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG, der die Unentgeltlichkeit aller innerhalb der Nacherfüllung anfallenden Aufwendungen für den Käufer vorschreibe, geschuldet.

 

Im Ergebnis musste der beklagte Händler dem Käufer also nicht nur neue, mangelfreie Fliesen liefern, sondern darüber hinaus auch die Kosten für den Ausbau der alten, mangelhaften sowie den (zweiten) Einbau der neuen, mangelfreien Fliesen tragen. Für den beklagten Händler stellte sich nun die Frage, ob, wie und in welchem Umfang er seinen Verkäufer in Regress nehmen konnte.
 

Gesetzeslage vor der Reform

Das grundlegende Problem, das sich am Beispiel des Fliesenfalls im Zusammenhang mit der alten Gesetzeslage zeigte, war, dass ein Werkunternehmer (z.B. in Gestalt eines Einzelhändlers) die Erstattung sämtlicher mit der Nacherfüllung verbundenen Kosten von seinem Lieferanten nur dann – verschuldensunabhängig – verlangen konnte, wenn dem Rechtsgeschäft, aufgrund dessen der Werkunternehmer zur Nacherfüllung in Anspruch genommen wurde, ein Verbrauchsgüterkauf zugrunde lag (§ 478 I u. II BGB a.F.3 ). Über einen Unternehmer­regress, bei dem das Endglied der Erwerbskette ebenfalls ein Unternehmer war (B2B), hatte der BGH zwar nie zu entscheiden, ließ aber in Form eines Obiter Dictums verlautbaren, dass grundsätzlich keine nationale Pflicht zu einer normüberschießenden Auslegung europäischer Richtlinien bestehe. Mit anderen Worten galt somit der Grundsatz, dass in den Fällen ein Verkäufer im Sinne seines verschuldensunabhängigen Nacherfüllungs­an­spruchs gegen seinen Verkäufer (nur) die kostenfreie Nachlieferung neuer, mangelfreier Ware verlangen konnte. Die Ein- und Ausbaukosten hingegen waren vom Umfang des Nacherfüllungsanspruchs nicht erfasst, mit der Konsequenz, dass der Letztverkäufer regelmäßig auf den Kosten sitzen blieb. Das erschien dem deutschen Gesetzgeber unter Wertungsgesichtspunkten so nicht länger hinnehmbar. ​
 

Gesetzeslage nach der Reform

Zu Jahresbeginn hat der deutsche Gesetzgeber noch unter der Ära des als besonders reformfreudig geltenden Bundesjustizministers Heiko Maas den Versuch unternommen, Rechtsklarheit zu schaffen und insbesondere mit den Neuregelungen des § 439 III BGB und des § 445a I, III BGB, die Kehrseite der ein- und derselben Medaille sind, die Rechtslage zu vereinfachen: Nunmehr soll jeder Verkäufer, der aufgrund einer mangelhaften Sache im Sinne der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche von seinem Vertragspartner auf Nacherfüllung in Anspruch genommen wird, seinerseits seinen Verkäufer vollumfänglich in Regress nehmen können und zwar auch dann, wenn entlang der Leistungskette der Sache nach nur B2B-Geschäfte geschlossen wurden, § 445a I, III BGB.4 Der Umfang des Regresses entspricht dabei folgerichtig dem Umfang des jeweiligen Vertragsver­hältnisses, aufgrund dessen der Rückgriff im Innenverhältnis erfolgen soll. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass der Anspruch des Letztkäufers auf Kostenerstattung die ganze Leistungskette beherrscht und schließlich auf Kosten des Unternehmers geht, aus dessen Sphäre die Ursache für den Mangel rührt, was im Zweifel der Produzent bzw. Hersteller der ursprünglichen Ware ist.    
 

Fazit und Ausblick

Die dargestellten Neuregelungen zur Systematik des Unternehmerregresses entsprechen unter Wertungs­gesichtspunkten der Billigkeit, tragen den Risikosphären Rechnung und dienen dem Schutz der insoweit grundsätzlich schutzwürdigeren Händler.
 
Von besonderer Bedeutung für den Geschäftsverkehr dürfte indes sein, ob künftig der in § 445a I, III BGB – gesetzlich – verankerte Unternehmerregressanspruch mittels Ausschlussklauseln in Allgemeinen Geschäfts­bedingungen (AGB) – individualvertraglich – wieder ausgehebelt werden kann. Zur Begrenzung des unternehmerischen Haftungsrisikos dürften an der wirksamen Einbeziehung solcher Ausschlussklauseln in Kauf- und Lieferverträgen insbesondere Hersteller und Lieferanten ein Interesse haben.
 
Von entscheidender Bedeutung wird dabei sein, ob die neu eingeführten §§ 439 III, 445a BGB Kardinals­pflichten und mithin wesentliche Grundgedanken manifestieren, die zum Leitbild des reformierten Kaufrechts gehören. Das wiederum wird im Wesentlichen von der Normenimplementierung abhängen, die maßgeblich durch die nationale und europäische Rechtsprechung beeinflusst wird. Generell dürfte für eine Wirksamkeit entsprechender Ausschlussklauseln jedenfalls der dem Zivilrecht immanente Grundsatz der Privatautonomie sprechen, der den Parteien die vertragliche Abschluss- und inhaltliche Gestaltungsfreiheit garantiert. Sollte aber Brüssel bzw. Luxemburg die Grenzen der Privatautonomie vor dem Hintergrund der nationalen Neu­regelungen und europäischen Wertungsmaßstäben als überschritten ansehen, dürften zumindest pauschal formulierte Ausschlussklauseln keine wirksame Geltung finden.

 

1 BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 70/08.

2 § 439 I BGB a.F.: „Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen."

3 § 478 I, II BGB a. F.: (1) Wenn der Unternehmer die verkaufte neu hergestellte Sache als Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen musste oder der Verbraucher den Kaufpreis gemindert hat, bedarf es für die in § 437 bezeichneten Rechte des Unternehmers gegen den Unternehmer, der ihm die Sache verkauft hatte (Lieferant), wegen des vom Verbraucher geltend gemachten Mangels einer sonst erforderlichen Fristsetzung nicht.; (2) Der Unternehmer kann beim Verkauf einer neu hergestellten Sache von seinem Lieferanten Ersatz von Aufwendungen verlangen, die der Unternehmer im Verhältnis zum Verbraucher nach § 439 II zu tragen hatte, wenn der vom Verbraucher geltend gemachten Mangel bereits beim Übergang der Gefahr an den Unternehmer vorhanden war.

4 § 445a I u. III BGB: (1) „Der Verkäufer kann beim Verkauf einer neu hergestellten Sache von dem Verkäufer, der ihm die Sache verkauft hatte (Lieferant), Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Verhältnis zum Käufer nach § 439 Absatz 2 und 3 sowie § 475 Absatz 4 und 6 zu tragen hatte, wenn der vom Käufer geltend gemachte Mangel bereits beim Übergang der Gefahr auf den Verkäufer vorhanden war. (3) Die Absätze 1 und 2 finden auf die Ansprüche des Lieferanten und der übrigen Käufer in der Lieferkette gegen die jeweiligen Verkäufer entsprechende Anwendung, wenn die Schuldner Unternehmer sind."

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Roman Geissler

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