Insolvenzsteuerrecht: Tax Compliance und Furore in der Sanierungspraxis

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Interview mit Norman Lenger, LL.M.

 

veröffentlicht am 28. Juni 2017


Herr Lenger, Sie leiten das Beratungsfeld Insolvenzsteuerrecht bei Rödl & Partner. Geben Sie uns bitte einen Überblick über Ihre tägliche Arbeit und die aktuellen Hot Topics.

Das Insolvenzsteuerrecht beschäftigt sich mit unterschiedlichen Fragestellungen an der Schnittstelle des Insolvenz- und Steuerrechts. Bei Unternehmens­krisen und Restrukturierung­sverfahren – sowohl bei einem formalen Insolvenzverfahren als auch außergerichtlich – ergeben sich aufgrund des Spannungsver­hältnisses zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht eine Fülle von Herausforderungen. Das gilt insbe­sondere für steuerrechtliche Sachverhalte im Zusammenhang mit der Sanierungs­gewinnbesteuerung, Besteuerungsfragen in der Eigenverwaltung sowie bei Sachverhalten, in denen die persönliche Haftung der beteiligten Akteure im Fokus der Finanzverwaltung steht. So hat der Bundesfinanzhof in den letzten Jahren zum Nachteil der Insolvenz­verwalter durch eine Reihe von Urteilen den Bereich der Masseverbindlich­keiten erheblich ausgedehnt und gleichzeitig mit einer aktuellen Entscheidung des Großen Senats zur Sanierungs­gewinnbesteuerung für Furore in der Sanierungspraxis gesorgt. Die Neuerungen des Insolvenzrechts haben darüber hinaus neue Sachlagen betreffend der umsatzsteuerlichen Behandlung von Lieferungen und Leistungen in der vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. in der Eigenverwaltung oder im Schutzschirm­verfahren sowie die damit verbundenen steuerlichen Haftungsfragen aufgeworfen. Wir unterstützen daher bundesweit Unternehmen und Insolvenz­verwalter bei der Bearbeitung steuerrechtlicher Themen in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren bzw. Insolvenzplan- und Eigenverwaltungsverfahren. Dazu gehört z.B. die Einholung verbindlicher Auskünfte zur Frage der Besteuerung von Sanierungsgewinnen in Insolvenzplanverfahren, die Begutachtung insolvenz­steuerrechtlicher Fragestellungen sowie die Steuergestaltung zur Vermeidung von Haftungs­sachverhalten zu Lasten der Insolvenzmasse. Mit Blick auf das aktuelle Schreiben des BFM vom 23. Mai 2016 implementieren wir moderne Tax Compliance Management Systeme (kurz Tax CMS) bei Insolvenzverwaltern und helfen so bei der Abwehr von steuerstrafrechtlichen Risiken und Vermeidung von Haftungsinanspruchnahmen nach §§ 60, 61 InsO.

 

Sie sprechen das Thema Tax Compliance für Insolvenzverwalter an. Welche Fragestellungen sind typischerweise damit verbunden und wie werden Sie für Ihre Mandanten tätig?

Mit dem Schreiben vom 23. Mai 2016 hat das Bundesfinanzministerium (BMF) den Anwendungserlass zu § 153 der Abgabenordnung angepasst. Fraglich war, wie mit Fehlern in bereits abgegebenen steuerlichen Erklärungen umzugehen war. Hier bewegt sich der Insolvenzverwalter bei der Berichtigung einer steuer­lichen Erklärung auf dem schmalen Grat zwischen Steuerhinterziehung bzw. leichtfertige Steuerver­kürzung und einfacher verfahrensrechtlicher Berichtigung. Das hängt davon ab, ob dem Steuerpflichtigen Vorsatz oder Leichtfertigkeit bei seinen Erklärungen gegenüber dem Fiskus nachgewiesen werden kann. Das Problem: Der Insolvenz­verwalter hat kraft Amtes eine besondere Stellung in der Gesellschaft sowie Vermögens­betreuungs­pflicht bei dem von ihm verwalteten Vermögen. Die Finanzverwaltung hat die Insolvenzverwalter derzeit daher verstärkt im Fokus. So ist z.B. eine mögliche Unkenntnis von falschen Angaben im Zeitpunkt der Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Fiskus einem Steuerpflichtigen zuzurechnen, sofern er sie billigend in Kauf genommen hat. Der Vorwurf des „billigend in Kauf nehmen” trifft den Insolvenzverwalter als kundige und hochqualifizierte Persönlichkeit viel einfacher als einen normalen Steuerpflichtigen. Durch die Einrichtung eines steuerlichen CMS bzw. eines steuerlichen Internen Kontrollsystems (IKS) kann der Insolvenz­verwalter dem Vorwurf einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerhinterziehung sehr gut entgegen wirken. Durch die entsprechende Zertifizierungen durch einen externen steuerlichen Berater kann hierbei die Aussagekraft des steuerlichen IKS erhöht und so die Gefahr einer unbeabsichtigten Steuerverkürzung deutlich reduziert werden. Gleichzeitig wird auch die Haftung nach §§ 60, 61 InsO signifikant reduziert.

  

Sie erwähnten ebenfalls eine Entscheidung des Großen Senats zum Thema Sanierungsgewinnbesteuerung. Was hat es damit auf sich und wo liegen hier die Probleme?

Vollkommen zutreffend. Das Problem der Sanierungsgewinnbesteuerung ist aktuell ein nicht zu unter­schätzendes Thema. Mit Beschluss vom 28. November 2016 - 1 GrS 1/15 hat der Große Senat des BFH festgestellt, dass der Billigkeitserlass von Steuern auf einen Sanierungsgewinn gemäß BMF-Schreiben vom 27. März 2003 - IV A 6-S 2140-8/03 gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstanden, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen wurden, von der Einkommensteuer befreit. Diese Vorschrift wurde 1997 ausdrücklich aufgehoben und letztmals bei Erhöhungen des Betriebs­vermögens, die in vor dem 1. Januar 1998 endenden Wirtschaftsjahren entstanden sind, eingesetzt. Zur einheitlichen Anwendung der Billigkeits­regeln auf Sanierungsgewinne hat das BMF sodann im Einvernehmen mit den obersten Finanz­behörden der Länder mit Schreiben vom 27. März 2003 eine Verwaltungsvorschrift erlassen, die mit Ausnahme einer modifizierten Verrechnung vorhandener Verluste und negativer Einkünfte die alte Rechtslage im Wege der Billigkeit wieder in Kraft gesetzt hat. In der Praxis konnten somit insbesondere in Insolvenz­plan­verfahren die Steuern auf den Sanierungsgewinn unter Hinweis auf den Sanierungserlass erlassen werden. Dem Erlass hat der Große Senat nun eine Absage erteilt.

  

Das bedeutet, die Sanierungsmöglichkeiten – gerade in Insolvenzplanverfahren – werden für krisenbehaftete Unternehmen schlechter, weil zu befürchten ist, dass künftig statt der Sanierung des gesamten Unternehmens eine Zerschlagung gewählt werden muss, um die negativen steuerlichen Folgen zu umgehen?

Das wird zwar aktuell vielfach postuliert und dürfte ohne vernünftige Vorbereitung tatsächlich der Fall sein. Aber ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtsfindung. § 163 AO beinhaltet eine gesetzliche Grundlage für eine Erlassmöglichkeit. Wir verhandeln daher nach wie vor verbindliche Auskünfte mit der Finanzverwaltung im Hinblick auf die gesetzliche Regelung des § 163 AO. Danach kann die Finanzverwaltung Billigkeits­entscheidungen aus sachlichen Gründen treffen und von einer Sanierungsbesteuerung absehen. Hier muss aber zwingend ein dezidierter Sachvortrag zum konkreten Einzelfall erfolgen. Ein pauschaler Verweis auf den Sanierungserlass wäre erfolglos. Eine gut vorbereitete verbindliche Auskunft kann die Finanzverwal­tung z.B. davon überzeugen, dass sog. Gruppenverzichte in Insolvenzplanverfahren die im Rahmen des § 4 Abs. 1 EStG grundsätzlich vorgesehene und gewollte Besteuerung des Vermögenszuwachses weit übersteigt. Damit kommt es zu einem sog. „ungewollten Überhang des gesetzlichen Tatbestandes”. D.h., das Ergebnis ist mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbar, was an der Steuergerechtigkeit zweifeln lässt.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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