Tschechien: Vollstreckung von Entscheidungen nach Brüssel Ia

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veröffentlicht am 8. November 2021 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Einbringlichkeit von Forderungen gegen einen Schuldner im Ausland

In unserer Praxis haben wir festgestellt, dass wenig Bewusstsein darüber besteht, wie innerhalb der Europäischen Union die (unfreiwillige) Bezahlung von Forderungen durchgesetzt werden kann, die von einem Gericht im Ausland festgestellt wurden. Das kann dazu führen, dass der Gläubiger seine Forderung zu früh abschreibt. Um die Bei­treibung von Forderungen zu erleichtern, erging bereits im Jahr 2012 die Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend auch „Brüssel Ia“ oder nur „Verordnung“).


 

 
Brüssel Ia vs. Brüssel I

 

„(Es) lässt sich in einem Binnenmarkt ohne Grenzen Bürgern und Unternehmen nur schwer vermitteln, dass es sowohl zeitaufwändig als auch kostspielig sein kann, seine Rechte im Ausland geltend zu machen.“

 

Grünbuch zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

  • Die Verordnung Brüssel Ia (auch „Verordnung“), durch welche die Verordnung Brüssel I aufgehoben wurde, gilt mit Ausnahme der Artikel 75 und 76 mit Wirkung seit dem 10. Januar 2015. Die Verordnung Brüssel Ia ist gemäß Art. 66 Abs. 1 nur auf Verfahren, öffentliche Urkunden oder gerichtliche Vergleiche anzuwenden, die am 10. Januar 2015 oder danach eingeleitet, förmlich errichtet oder eingetragen bzw. gebilligt oder geschlossen worden sind. Für Entscheidungen, die in vor dem 10. Januar 2015 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind, für vor diesem Zeitpunkt förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden sowie für vor diesem Zeitpunkt gebilligte oder geschlossene gerichtliche Vergleiche, sofern sie in den Anwendungsbereich der genannten Verordnung fallen, gilt weiterhing die Verordnung Brüssel I (Art. 66 Abs. 2).
  • Der Ausdruck „Entscheidung“ bezeichnet gemäß Artikel 2 der Brüssel Verordnung Ia jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten.
  • In Artikel 39 der Verordnung Brüssel Ia sind zwei grundlegende Bedingungen festgelegt, deren kumulative Erfüllung eine Voraussetzung für die Vollstreckung einer Entscheidung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ist:
    1. Die Entscheidung fällt in den Anwendungsbereich der Verordnung Brüssel Ia und
    2. die Entscheidung ist gleichzeitig im Ursprungsmitgliedsstaat vollstreckbar.
  • Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden gemäß Artikel 36 Abs. 1 in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.
  • Im Gegensatz zu Brüssel Ia ist nach Brüssel I für die Vollstreckung von Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat keine vorherige Vollstreckbarerklärung (Exequatur) mehr erforderlich. Diese erfolgt von Rechts wegen, wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, und die betroffene Partei kann dann ohne weitere Verzögerung die Vollstreckung der Entscheidung im ersuchten Staat beantragen. Dem Antrag sind eine Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung, die eine Beglaubigung zulässt, und eine vom Ur­sprungsgericht ausgestellte Vollstreckbarkeitsbescheinigung in der in Anhang I der Verordnung wiederge­gebenen Form beizufügen (es handelt sich um dieselben Unterlagen, die auch für die Vollstreckbarerklärung erforderlich waren).
  • Die Entscheidung kann dann unter denselben Bedingungen vollstreckt werden wie im ersuchten Mitglied­staat ergangene Entscheidungen.
  • Obwohl Brüssel Ia Gläubigern im Vergleich zu Brüssel I eine gewisse administrative Entlastung und damit Zeit- und Kostenersparnis gebracht hat, enthält diese Verordnung auch Instrumente, die es den Schuldnern ermöglichen, das gesamte Verfahren zu verlangsamen. In erster Linie handelt es sich um einen Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung aus einem der Gründe, die die Nichtanerkennung einer Entscheidung ermöglichen (ein nicht nur in der tschechischen Rechtspraxis häufig genutzter Grund ist der Ordre-public-Vorbehalt).
  • Die Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Verweigerung der Vollstreckung kann anschließend mit einem Rechtsbehelf angefochten werden. Hat der betreffende Mitgliedstaat der Kommission mitgeteilt, bei welchem Gericht ein solcher weiterer Rechtsbehelf eingelegt werden kann, so kann die Entscheidung über diesen Rechtsbehelf auch mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf angefochten werden. Laut einer Mitteilung der Tschechischen Republik handelt es sich dabei um eine Revision, eine Nichtigkeitsklage und einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, die bei dem Gericht eingereicht werden, das in erster Instanz über den Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung (oder das Verfahren auf Anerkennung oder Verweigerung der Anerkennung) entschieden hat. Es liegt auf der Hand, dass die Vollstreckung selbst erheblich verzögert werden kann, wenn der Schuldner anschließend ebenfalls eine Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens gemäß Artikel 44 der Verordnung beantragt und das Gericht dem Antrag stattgibt.

 

Vollstreckung eines ausländischen Urteils gemäß der Brüssel Ia im tschechischen Recht

Die Verordnung Brüssel Ia regelt nicht das eigentliche Vollstreckungsverfahren, da dies dem geltenden Recht des ersuchten Mitgliedsstaates unterliegt.

 

Vollstreckungsordnung der Tschechischen Republik

  • Gemäß § 37 Abs. 4 der Vollstreckungsordnung der Tschechischen Republik in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung kann ein Berechtigter einen Antrag auf Vollstreckung nach diesem Gesetz unter anderem aufgrund einer ausländischen Entscheidung stellen, für die eine Vollstreckbarerklärung nach einer unmittel­bar anwendbaren EU-Vorschrift oder einem internationalen Abkommen oder einer Anerkennungs­ent­schei­dung ergangen ist.
  • Aus der oben zitierten Bestimmung geht hervor, dass der tschechische Gesetzgeber diese nach Erlass von Brüssel Ia nicht novelliert hat, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Brüssel Ia (anders als Brüssel I) keine Vollstreckbarerklärung mehr vorsieht.
  • Das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik hat jedoch in seinem Urteil Aktenzeichen IV. ÚS 2042/19, vom 20. April 2021 in Bezug auf diese Vorschrift ausdrücklich festgestellt, dass ihr Wortlaut für die Rechtsnatur der Verordnung Brüssel Ia irrelevant ist, da es sich bei Brüssel Ia um unmittelbar anwendbares und vorrangiges Recht handelt, und es betonte gleichzeitig, dass in Bezug auf die Bestimmungen der Vollstreckungsordnung eine europarechtskonforme Auslegung vorzunehmen ist (deren Unterlassung wurde dem Berufungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgeworfen).
  • Mit Wirkung vom 1. Januar 2022 wurde § 37 novelliert und an die unmittelbar anwendbare (und vorrangige) Regelung der Verordnung Brüssel Ia angepasst, so dass ein Vollstreckungsantrag unter anderem ausdrücklich auf Grundlage einer ausländischen Entscheidung gestellt werden kann, die nach einer unmittelbar anwendbaren EU-Vorschrift vollstreckbar ist, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf.

 

Praktisches Beispiel

Kürzlich wurden wir von einem deutschen Mandanten kontaktiert, für den wir einen Vollstreckungstitel gegen dessen Schuldner, ein tschechisches Unternehmen, erwirkt haben. Da der Mandant davon ausging, dass der Schuldner selbst Ansprüche gegen eigene Geschäftspartner in Deutschland und Slowenien hatte, konnten wir in Zusammenarbeit mit unseren ausländischen Kollegen die Vollstreckung der vollstreckbaren Forderung nicht nur in der Tschechischen Republik, sondern auch in diesen Ländern veranlassen. Dadurch konnte Druck auf den Schuldner ausgeübt werden, der daraufhin begann, seine Pflicht durch Ratenzahlungen zu erfüllen.      

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