Umsatzsteuer aktuell: EuGH-Urteil zum sog. E-Charging von Elektrofahrzeugen – Bestätigung unserer deutschen Idee in Beratungen zum EMSP- und CPO-Geschäft

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​veröffentlicht am 1. Juni 2023 | Lesedauer ca. 6 Minuten

 

Der EuGH hat in seinem jüngsten Urteil vom 20. April 2023 (Rs. C-282/22, P.w.W.) zur Einheitlichkeit einer Leistung beim Aufladen von Elektrofahrzeugen mit technischer Unterstützung und IT-Diensten Stellung genommen. Die Rechtssache betrifft den Bereich Elektrofahrzeuge und bringt Klarheit für die umsatzsteuerliche Einstufung des sog. E-Charging, d.h. der Bereitstellung von Vorrichtungen zum Aufladen von Elektro­fahrzeugen, der Lieferung der erforderlichen Elektrizität sowie der Leistung von technischer Unterstützung und von IT-Diensten als „Lieferung von Gegenständen” oder „Dienstleistung”.

 

 

 

Ausgangsfrage: E-Charging als Lieferung oder sonstige Leistung?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 20.4.2023 in der Rechtssache C-282/22 (P.w.W.) zu einer polnischen Vorlagefrage erstmals zu E-Charging-Leistungen Stellung genommen. Er bestätigte unsere – in bestimmten Fällen bereits beratene Auffassung und Auslegung –, dass eine sogenannte einheitliche kom­plexe Leis­tungen eines Betreibers von Ladestationen für Elektrofahrzeuge (mit technischer Unterstützung und IT-Diensten) anzunehmen ist, die insgesamt umsatzsteuerlich als Lieferung im Sinne des Umsatzsteuerrechts gilt, hier also die Lieferung von Strom (Elektrizität).

Die Vorlage betraf die Frage, ob die europäische Richtlinie 2006/112/EU (MwStSystRL) dahingehend auszu­legen ist, ob eine komplexe einheitliche Leistung im Sinne einer Lieferung von Gegenständen gemäß Art. 14 Abs. 1 der MwStSystRL (im deutschen Gesetz § 3 Abs. 1 UStG) oder eine Dienstleistung nach Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL (sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9 UStG im deutschen Gesetz) anzunehmen ist, wenn sich diese Leistung zusammensetzt aus der
  • Bereitstellung von Ladevorrichtungen (einschließlich der Verbindung des Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs),
  • Sicherstellung der Übertragung von Elektrizität mit entsprechend angepassten Parametern an die Batterien des Elektrofahrzeugs,
  • notwendigen technischen Unterstützungen für die Fahrzeugnutzer,
  • Bereitstellung einer speziellen Plattform, Website oder Anwendungssoftware für die Nutzer, mit der der be­tref­fende Anschluss reserviert werden kann und der Umsatzverlauf sowie getätigte Zahlungen eingesehen werden können, wobei auch die Nutzung einer sog. elektronischen Geldbörse angeboten wird, mit der für die einzelnen Ladevorgänge gezahlt werden kann.
Interessant ist, dass der Steuerpflichtige im vorgelegten Fall diese Leistungselemente insgesamt als Dienst­leistung qualifiziert haben wollte. 

Ein untergeordnetes polnisches Gericht vertrat die Ansicht, dass die primäre Absicht der Nutzer von Lade­sta­tionen darin bestehe, Geräte zu nutzen, die es ihnen ermöglichten, ihr Fahrzeug schnell und effizient aufladen zu können. Damit bestünde die Hauptleistung aus Sicht des betreffenden Nutzers im Zugang zu einer Lade­station und in der notwendigen Verbindung eines Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs. Ziel eines solchen Umsatzes sei es nicht, Elektrizität anzubieten/zu verkaufen, sondern den betreffenden Nutzern die hochentwickelten Ladevorrichtungen zur Verfügung zu stellen, mit denen die Ladestationen ausgestattet seien. 

Zum Sachverhalt interessant ist, dass laut Vortrag der den Nutzern in Rechnung gestellte Preis insbesondere von der Ladezeit, ausgedrückt in Stunden für Langsam-Ladeanschlüsse bzw. in Minuten für Schnell-Lade­an­schlüsse, sowie von der von dem betreffenden Nutzer gewählten Art des Anschlusses abhängen soll. Die Zah­lungen könnten nach jedem Ladevorgang oder am Ende eines vereinbarten Abrechnungszeitraums geleistet werden, ohne dass die Möglichkeit ausgeschlossen würde, ein System einzurichten, das den Kauf von Gut­haben ermögliche, die in einer elektronischen Geldbörse angesammelt werden und zum Aufladen des betref­fenden Elektrofahrzeugs verwendet werden könnten. 

Die bei jedem Ladevorgang erbrachte Leistung könne grundsätzlich je nach dem Bedarf des betreffenden Nut­zers folgende Umsätze umfassen, also auch ein Entgelt damit für die Stromlieferungen selbst:

Bereitstellung von Ladevorrichtungen, einschließlich der Verbindung des Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs, Übertragung von Elektrizität mit entsprechend angepassten Parametern an die Batterie des Elektrofahrzeugs sowie notwendige technische Unterstützung. P. w W. beabsichtige auch, eine spezielle Platt­form, Website oder Anwendungssoftware bereitzustellen, über die die jeweiligen Nutzer einen bestimmten Anschluss reservieren und den Verlauf der getätigten Umsätze und der erfolgten Zahlungen einsehen könnten.

Hinweis für die Praxis: 

Die Sachverhaltsbeschreibungen – soweit vorab erwähnt – sowie die Erarbeitung, ggf. Gestaltung, für was/welches Leistungselement auch ein Entgelt gezahlt wird und wofür nicht, ist in bisherigen Beratungen wichtig, zudem zu den jeweiligen vertraglichen Leistungsinhalten im EMSP- oder CPO-Geschäft.

 

E-Charging als einheitliche Leistung

Nach dem vorliegenden Sachverhalt und den Sachverhaltsinformationen hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die beschriebenen Umsätze eine Kombination von Umsätzen sind, die in der Lieferung von Elektrizität zum Aufladen von Elektrofahrzeugen und der Erbringung verschiedener Dienstleistungen/Dienstleistungselemente, wie der Einrichtung des Zugangs zu Ladepunkten und der Erleichterung ihrer Nutzung, der notwendigen tech­ni­schen Unterstützung und IT Anwendungen, die die Reservierung eines Anschlusses, die Verfolgung des Umsatz­­verlaufs und die Bezahlung der Umsätze ermöglichen, bestehen.

Zur Wiederholung: Es wurde dafür ein Preis alle Leistungselemente umfassend festgelegt. Wie dieser sich im Einzelnen kalkulatorisch/betriebswirtschaftlich zusammensetze, ob manches nicht eingepreist wurde, ist soweit nicht ausgeführt. Unterstellt werden könnte daher, dass das nicht weiter relevant ist und damit (bis­herige) Diskussionen und Überlegungen in der Praxis zu etwaigen bewussten Nichtbepreisungen (etwa für eine Finanzierungskomponente beim Bezahlen) nicht mehr relevant erscheinen können.

Nach Ansicht des EuGH stellen die Lieferung von Strom und alle weiteren Dienstleistungselemente, um die es geht, für die Zwecke der Umsatzsteuer einen Umsatz im Sinne einer einheitlichen komplexen Leistung dar, für die (nur) eine umsatzsteuerliche Behandlung zu finden ist. Eine einheitliche Leistung liegt dann vor, wenn zwei oder mehr Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander ver­bunden sind, dass sie aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

Da die übertragene Elektrizität (Strom) als Hauptleistung einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt ist, teilen die als solche qualifizierten Nebenleistungen (alle weiteren angebotenen und erbrachten Dienst­leist­ungen), die für die Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellen, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, das sog. umsatzsteuerliche Schick­sal der Hauptleistung, hier der Lieferung. Damit sind alle Leistungselemente insgesamt umsatzsteuerlich als eine Lieferung in Bezug v.a. auf den Leistungsort und etwaige Übergänge der Steuerschuldnerschaft auf einen Unternehmerkunden (Reverse Charge) zu beurteilen.

 

E-Charging ist eine Lieferung von Strom

Infolgedessen wurde auf die Vorlagefrage geantwortet – der EuGH bestätigt damit unsere, wie bei der Lieferung von Kraftstoff seither im Reihengeschäft übertragene (deutsche) Auffassung und regelmäßigen Beurteilung –, dass eine komplexe einheitliche Leistung mit beschriebenen Umsätzen eine Lieferung von Gegenständen darstellt, da
  • die Bereitstellung von Ladevorrichtungen den Nutzer des Ladegeräts ermächtigen, die übertragene Elek­tri­zität zum Zweck des Antriebs seines Fahrzeugs zu verbrauchen,
  • eine Versorgung der Batterie eines Elektrofahrzeugs mit Elektrizität den Einsatz einer geeigneten Lade­vor­rich­tung voraussetzt, die ein mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs zu verbindendes Ladegerät einschließen kann,
  • die technische Unterstützung, die für die betreffenden Nutzer notwendig sein kann, ihrerseits keinen eigenen Zweck darstellt, sondern das Mittel, um die Lieferung der für den Antrieb des Elektrofahrzeugs erforderlichen Elektrizität unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt auch, wenn IT-Anwen­dungen zur Verfügung gestellt werden.
Dieses Ergebnis wird laut EuGH auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass bei der Berechnung des für das Auf­laden eines Elektrofahrzeugs geschuldeten Betrags nicht nur die Menge der übertragenen Elektrizität, sondern auch eine Gebühr für die Abstellzeit während des Aufladens berücksichtigt werden kann. 

Insbesondere bedeutet das lediglich, dass sich der Preis je Einheit des gelieferten Gegenstands, d.h. der Elek­trizität, nicht nur aus den Kosten für die Elektrizität als solche zusammensetzt, sondern auch aus der Nutz­ungs­­zeit der den betreffenden Nutzern zur Verfügung gestellten Geräte. Und das wird weiter auch nicht da­durch entkräftet, wenn der betreffende Wirtschaftsteilnehmer den Preis allein auf der Grundlage der Dauer des Aufladens (Schnellladen mit Gleichstrom oder langsames Aufladen mit Wechselstrom) berechnet. Da nämlich die Menge der gelieferten Elektrizität von der während der Zeit der entsprechenden Übertragung übertragenen Leistung abhängt, spiegelt auch eine solche Berechnung den Preis je Einheit dieser Elektrizität wider.
 

Auswirkungen und Hinweise für die Praxis

Die Ausführungen des EuGH zur Beurteilung der Lieferung von Strom über Ladestationen für Elektrofahrzeuge ist erheblich praxisrelevant und akut hilfreich. Aus unserer Sicht ist die Rechtsprechung positiv und steht im Einklang mit den bisherigen Annahmen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten (z.B. in Deutschland oder Italien). In den Niederlanden werden für EMSP- und CPO-Geschäfte derzeit seitens der Finanzverwaltung bereits mit Blick auf die Rechtsprechung proaktiv angesprochen zu den jeweils vorliegenden Sachverhalten/Business Modellen.

Auch hier wird die Lieferung von Strom als Hauptleistung gesehen, die von den für den Ladevorgang notwen­digen Diensten als Nebenleistungen ergänzt werden. Gleichwohl sehen wir die fehlende Harmonisierung in diesem Bereich immer noch als kritisch an – eine länderspezifische Abfrage der jeweiligen Regelungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ist auch heute noch unumgänglich. Erste Schritte zu einer harmonisierten und einheitlichen Sichtweise sind durch das Urteil des EuGH nun getan.

Da ein Urteil des EuGH jedoch grundsätzlich nur Wirkung für den jeweiligen Einzelsachverhalt entfaltet, ist in der Praxis eine genaue Sichtung und Beurteilung anhand der jeweiligen Sachverhaltskonstellation und der zu­grun­deliegenden Verträge von den Leistungsbeziehungen und -inhalten her angeraten, so z.B. wie die Zah­lung der Leistungen vereinbart ist, wie die entsprechende IT-Unterstützung gestaltet ist („App mit Bezahl­funktion”) oder welche (Vertrags-)Parteien insgesamt in den Vorgang (z.B. nur Ladestellenbetreiber und damit Vermietung der Ladesäule/Wallbox, nur Stromanbieter und damit Stromlieferungen, dazu oder nur „App” zum Laden und/oder Bezahlen) eingebunden sind. Gerne unterstützen wir Sie bei Ihren diesbezüglichen Frage­stel­lungen.
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