Arbeitsrecht im Lichte der Ampel – Koalitionsvertrag mit Potenzial für weitreichende Änderungen

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veröffentlicht am 3. Dezember 2021 | Lesedauer ca. 3 Minuten


In der letzten Woche haben die Gewinner der Bundestagswahl den „Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP)“ geschlossen und veröffentlicht (nachfolgend umgangssprachlich „die Ampel“). In dem Koalitionsvertrag konturiert die Ampel ihre Vorstellung der Politik für die kommenden Jahre und visiert zugleich einige arbeitsrechtliche Reformen.



Aus aktueller Perspektive ist selbstverständlich noch nicht final absehbar, welches der Ziele tatsächlich realisiert wird. Nichtsdestotrotz birgt der Koalitionsvertrag das Potenzial erheblicher Veränderungen und mithin auch eines Anpassungsbedarfs für Arbeitgeber. Von erheblicher Relevanz dürften etwa die anvisierten Änderungen im Bereich der betrieblichen sowie unternehmensweiten Mitbestimmung sein.
 
Aus diesem Grund soll der Beitrag einen kurzen Überblick über die – relevantesten – arbeitsrechtlichen Ziele verschaffen. Konkret hat die Ampel für die folgenden Bereiche Ziele formuliert:
 

Ausbildung und Qualifizierung

Im Bereich der Ausbildung und Qualifizierung soll das sog. „Ausstiegs-BAföG“ ausgebaut werden, ein neues „Lebenschancen-BAföG” sowie Bildungs(teil)zeit geschaffen werden und ein, an das Kurzarbeitergeld angelehntes Qualifizierungsgeld ermöglicht werden (S. 671).
 

Arbeitszeit

Im Kern soll die Arbeitszeit unverändert weiterbestehen. So soll an einer regelmäßigen Arbeitszeit von 8 Stunden pro Tag festgehalten werden. Nichtsdestotrotz sollen 

  • im Jahr 20222 (befristet) flexiblere Gestaltungen der Arbeitszeit „im Rahmen von Tarifverträgen“ ermöglicht werden,
  • eine Abweichung von der Tageshöchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz durch Tarifverträge oder Betriebs­vereinbarungen sowie aufgrund von Tarifverträgen ermöglicht werden,
  • die Arbeitszeiterfassung im Hinblick auf das Urteil des EuGH überprüft werden,
  • weiterhin flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) möglich sein und
  • europaweit mobile Arbeit unproblematisch gewährt werden (S. 68f.).

 

Homeoffice und mobile Arbeit

Eines der Resultate der Pandemie ist die Feststellung, dass eine flexible Arbeitsplatzgestaltung funktioniert. Das scheint auch die Ampel realisiert zu haben.
 

So möchte sie nunmehr Beschäftigten in geeigneten Tätigkeiten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice zugestehen. Arbeitgeber sollen einem Wunsch der Beschäftigten ausschließlich dann widersprechen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Trotz des Anspruchs soll allerdings weiterhin Raum für tarifliche und betriebliche Regelungen verbleiben.

 

Mindestlohn, Midi- und Minijob

Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 12 Euro pro Stunde angehoben werden, die Midi-Job-Grenze soll auf 1.600 Euro pro Monat erhöht und die Minijob-Grenze auf 520 Euro/Monat erhöht werden (S. 69f.).
 

Befristungsrecht

Die Möglichkeit der Haushaltsbefristung für den öffentlichen Dienst soll abgeschafft werden und die Möglichkeit der Befristung mit Sachgrund soll auf sechs Jahre begrenzt werden. Ausnahmen sollen nur in eng begrenzten Fällen möglich sein (S. 70).
 

Arbeitnehmerüberlassung

Die Arbeitnehmerüberlassung soll lediglich bei Bedarf in Abhängigkeit von europäischer Rechtsprechung geprüft werden. Es soll jedoch das Übereinkommen Nr. 184 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft ratifiziert werden (S. 70f).
 

Tarifautonomie und § 613a BGB

Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes soll an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden. Betriebsausgliederungen „bei Identität des bisherigen Eigentümers” zum Zweck der Tarifflucht sollen verhindert werden, indem die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sicher­gestellt wird.
 
§ 613a BGB soll unverändert bestehen bleiben (S. 71f.).
 

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Die künftige Bundesregierung möchte einen „Mobbing-Report“ erstellen. Ferner sollen Unternehmen kleinerer und mittlerer Größe (KMU) bei der Umsetzung des Arbeitsschutzes unterstützt und Stärken der Eingliederungs­maßnahmen genutzt werden (S. 72). 
 

Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie

Die EU-Whistleblower-Richtlinie soll nunmehr, die Umsetzungsfrist läuft im Dezember ab, umgesetzt werden. Insoweit sollen Whistleblower nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt werden, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt (S. 111).
 

Mitbestimmung im Betrieb

Die betriebliche Mitbestimmung soll aus der Perspektive der Ampel modernisiert werden. So sollen in Zukunft sowohl die analoge als auch digitale Betriebsratstätigkeit ermöglicht werden. Ob das mit einer dem § 129 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) a.F. realisiert wird, lässt sich nicht abschließend beurteilen.
 
Darüber hinaus möchte die neue Bundesregierung ein Pilotprojekt für Online-Betriebsratswahlen ins Leben rufen, kirchliche und staatliche Mitbestimmungsrechte potenziell angleichen und die Behinderung der Mitbestimmung als Offizialdelikt qualifizieren (S.71).
 

Unternehmensweite Mitbestimmung

„Last but not least“ hat sich die Ampel auf die Änderung der unternehmensweiten Mitbestimmung geeinigt. In diesem Kontext soll die vollständige Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften verhindert werden und die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) auf das Drittel­beteiligungsgesetz (DrittelbG) übertragen werden, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt. 
 
Abschließend soll die demokratische Mitbestimmung auf europäischer Ebene und Förderung europäischer Betriebsräte weiterentwickelt werden. Auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Gesellschaften sollen ferner nationale Beteiligungsrechte respektiert und gesichert werden (S. 134).
 

Gewerkschaften sollen einen digitalen Zugang in die Betriebe erhalten, welcher den analogen Rechten entspricht (S. 71).
  
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