Connected Liability: Produkthaftung geht viral

PrintMailRate-it

veröffentlicht am 6. Dezember 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Die rechtlichen Anforderungen an die Sicherheit unserer Produkte nehmen stetig zu. Die kürzlich veröffentlichte Verordnung (EU) 2023/988 über die allgemeine Produkt­sicherheit wird Ende Dezember 2024 in Kraft treten. Zeitgleich wird der Erlass einer Neufassung der allgemeinen Produkthaftungsrichtlinie erwartet, mit der die Haftung für fehlerhafte Produkte im Zeitalter der Digitalisierung und der Kreislaufwirtschaft „ein Update“ erfahren soll. Relevant wird dies insbesondere für Softwareanbieter, aber auch für Geschäftsmodelle, die wiederaufbereitete Produkte zum Verkauf anbieten. Zeit, sich vorzubereiten. Jetzt.



Die europäischen Vorschriften zur Produkthaftung zielen darauf ab, ein EU-weites System zur Entschädigung von Personen zu schaffen, die durch fehlerhafte Produkte Körper- oder Sachschäden erlitten haben. Die derzeit geltende Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG stammt aus dem Jahr 1985. Sowohl die Produkte selbst als auch die Art und Weise, wie sie hergestellt, vertrieben und betrieben werden, hat sich in den vergangenen 38 Jahren erheblich verändert. Vernetzung und künstliche Intelligenz sind zwischenzeitlich genauso allgegenwärtig wie innovative neue Geschäftsmodelle rund um Re-Furbish, Re-Use und Upcycling, die ganz im Sinne des Green Deal die Lebensdauer von Produkten und Materialen verlängern sollen. All dies bringt aber auch neue und andere Risiken mit sich – die 1985 vermutlich noch undenkbar waren.
 
So war zuletzt lange Zeit unklar, wie die bereits seit Jahrzehnten geltenden Definitionen und Konzepte der Produkthaftungsrichtlinie auf Software oder auf solche Produkte anzuwenden sind, für deren Betrieb Software oder digitale Dienstleistungen erforderlich sind, wie intelligente Geräte und autonome Fahrzeuge. Die zu­neh­men­de Komplexität machte es vielen Geschädigten immer schwerer, nachzuweisen, dass ein Produkt feh­ler­haft war und dass eben dieses den erlittenen Schaden verursacht hat.
 
Die Europäische Kommission hat deshalb bereits am 28. September 2022 ihren Vorschlag für eine neue Pro­dukt­haf­tungs­richt­li­nie (2022/0302 (COD)) veröffentlicht, um das Funktionieren des Binnenmarkts, den freien Warenverkehr, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern und ein hohes Maß an Schutz der Gesundheit und des Eigentums der Verbraucher zu gewährleisten.


Erweiterter Anwendungsbereich

Nach dem Entwurf unterliegen künftig nicht mehr nur „bewegliche Sachen“ der verschuldensunabhängigen Produkthaftung, sondern auch Software und digitale Produktionsdateien (Art. 4 Abs. (1) des Ent­wurfs­vor­schlags). Erwägungsgrund Nr. 12 nennt dabei ausdrücklich Betriebssysteme, Firmware, Computerprogramme, Anwendungen oder KI-Systeme und zwar unabhängig davon, ob sie auf einem Gerät gespeichert oder über Cloud-Technologien abgerufen wird. 


Gesteigerte Sicherheitserwartung

Nach Artikel 6 Abs. 1 des Entwurfs gilt ein Produkt als fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die die breite Öffentlichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der nachfolgenden, erwarten darf:

  • der Aufmachung des Produkts, einschließlich der Anweisungen für Installation, Verwendung und Wartung;
  • der vernünftigerweise vorhersehbaren Nutzung und missbräuchlichen Nutzung des Produkts;
  • der Auswirkungen einer etwaigen Fähigkeit, nach Einsatzbeginn weiter zu lernen, auf das Produkt (KI-Systeme);
  • der Auswirkungen anderer Produkte auf das Produkt, bei denen nach vernünftigem Ermessen davon aus­ge­gangen werden kann, dass sie zusammen mit dem Produkt verwendet werden;
  • des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurde, oder, wenn der Hersteller nach diesem Zeitpunkt die Kontrolle über das Produkt behält, des Zeitpunkts, ab dem das Produkt nicht mehr unter Kontrolle des Herstellers steht;
  • der Sicherheitsanforderungen des Produkts einschließlich sicherheitsrelevanter Cy­ber­sicher­heits­an­for­der­ungen;
  • Eingriffe einer Regulierungsbehörde oder eines in Artikel 7 genannten Wirtschaftsakteurs im Zusammenhang mit der Produktsicherheit;
  • der spezifischen Erwartungen der Endnutzer, für die das Produkt bestimmt ist.

 
Insbesondere die Aufnahme des sogenannten Kombinationsrisikos (vorstehend vierter Spiegelstrich) und die Abschirmung gegen Cyberrisiken führt für Unternehmen zu einer erheblichen Erweiterung des derzeitigen Haftungsniveaus. Die jüngst veröffentlichte NIS2-Richtline steigert dieses Risiko auch noch dadurch, dass ein breites Spektrum der Wirtschaftsteilnehmer künftig ihre innere Organisation an einem hohen gemeinsamen Cybersicherheitsniveau ausrichten muss. Spätestens zum 17. Oktober 2024, dann endet die Umsetzungsfrist für den deutschen Gesetzgeber, gelten die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2022/2555 (NIS2-Richtlinie) (Link zu https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2022/2555) unmittelbar in den Mitgliedsstaaten. Damit wird Cybersicherheit noch mehr zu einem wichtigen Auswahlkriterium bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen. Im Ergebnis wird das dazu führen, dass der allgemeine Wettbewerb von Produkteigenschaften aus diesem The­men­seg­ment dominiert werden wird.


Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Produktfehlers

Bislang stellt das geltende Produkthaftungsregime einzig und allein auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens, mithin des erstmaligen Bereitstellens am Markt ab. Nach dem Entwurf ist das künftig nur noch der erste von mehreren relevanten Zeitpunkten, was sich aus der „oder“ Aufzählung in dem vorstehend zitierten Art. 6 fünfter Spiegelstrich) ergibt. Danach kann nun auch der Zeitpunkt der Inbetriebnahme oder der Zeitpunkt, in dem das Produkt die Kontrolle des Herstellers verlassen hat, relevant werden. So könnte ebenso ein fehlerhaftes Her­stel­ler-Update ein bei Inverkehrbringen fehlerfreies Produkt nachträglich fehlerhaft machen und im Scha­dens­fall eine verschuldensunabhängige Haftung auslösen.


Ausweitung der Verantwortlichen

Nach Artikel 7 des Entwurfs gilt künftig auch derjenige als Hersteller, der ein bereits in Verkehr gebrachtes oder in Betrieb genommenes Produkt wesentlich verändert, was insbesondere zu einer Ausweitung der Haftung für Anbieter von wiederaufbereiteten Produkten führen wird.


Offenlegungspflichten und Beweiserleichterungen

Nach Artikel 8 des Entwurfs müssen die Mitgliedstaaten schließlich Folgendes sicherstellen: Nationale Ge­rich­te müssen auf Antrag einer geschädigten Person – die Ersatz des durch ein fehlerhaftes Produkt verursachten Schadens verlangt und Tatsachen und Belege vorlegen kann, die die Plausibilität dieses Scha­den­er­satz­an­spru­ches stützen – anordnen können, dass der Beklagte in seiner Verfügungsgewalt befindliche relevante Be­weis­mit­tel offenlegen muss. Hersteller können also mitunter gezwungen sein, Geschäftsgeheimnisse über ihre Produkte und deren Funktionsweise offenzulegen. Kommt der Beklagte seiner Verpflichtung zur Offenlegung von relevanten Beweismitteln, die sich in seiner Verfügungsgewalt befinden, nicht nach, wird gemäß Artikel 9 Nr. 2 lit. a) die Fehlerhaftigkeit seines Produkts vermutet.
 
Schließlich wird künftig ebenfalls von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Fehlerhaftigkeit des Produkts und dem Schaden ausgegangen, wenn festgestellt wurde, dass das Produkt fehlerhaft und der ent­stan­de­ne Schaden von der dem betreffenden Fehler typischerweise entsprechenden Art ist.


Fazit

Unternehmen, insbesondere solche, die nun mit der Neufassung erstmalig ausdrücklich unter das Pro­dukt­haf­tungs­recht fallen, sollten das Jahr 2024 unbedingt nutzen, um entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Das beinhaltet insbesondere die Feststellung von Haftungsrisiken sowie die Ergreifung von technischen, faktischen und rechtlichen Maßnahmen zur Minimierung derselben, einschließlich der Überprüfung eines geeigneten Versicherungsschutzes.

Deutschland Weltweit Search Menu