Der Primärenergie-Irrtum

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 26. Juni 2025
Während Deutschland bereits mehr als die Hälfte seines Strombedarfs mit Erneuerbaren deckt​1, ist der Anteil von Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch mit knapp 20 Prozent verhältnismäßig klein​2. Augenscheinlich ist eine Umstellung der kompletten Energieversorgung auf Erneuerbare also in schier unerreichbarer Ferne. Dieses Argument wird häufig verwendet, wenn es um das Potenz​​ial der Energiewende geht – die Umstellung des Stromsektors sei machbar, eine Umstellung der Primärenergieversorgung allerdings werde nicht durch Erneuerbare zu stemmen sein. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum.

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Wie Jan Rosenow es in seinem Paper „Have we been duped by primary energy fallacy?”​3 beschreibt, begeht man bei der Betrachtung der Primärenergie den entscheidenden Fehler, Unterschiede in Effizienz und Wirkungsgraden von Technologien nicht miteinzubeziehen. Vereinfacht ausgedrückt, man muss nicht die gesamte Primärenergie mit Erneuerbaren ersetzen, wenn neue Technologien dieselben Energiedienstleistungen effizienter erbringen.


Trugschluss der fossilen Abhängigkeit

Der Primärenergieverbrauch setzt sich aus den Energiegehalten von unbehandelten und naturbelassenen Energieträgern wie Kohle oder Rohöl zusammen, die zwar auch direkt genutzt werden können aber in der Regel zunächst in verbraucherfreundlichere Sekundärenergieträger wie Benzin oder Strom umgewandelt werden. Man berechnet den Primärenergieverbrauch mit der Summe aller im Inland gewonnenen Energieträger zuzüglich des Saldos der importierten und exportierten Mengen sowie der Lagerbestandsveränderungen abzüglich der auf Hochsee gebunkerten Vorräte​2. Der Trugschluss, der viele Menschen dazu kommen lässt zu glauben die Versorgung mit fossilen Energieträgern sei unüberwindbar, besteht darin Inputs (Kohle, Öl) mit Outputs (Wärme, Transport) gleichzusetzen. Die Gleichsetzung von Primärenergie-Inputs mit Energiedienstleistungen bzw. Outputs überrepräsentiert konventionelle Energieträger maßlos​3.

Folgendes Sankey Diagramm des deutschen Energiesystems zeigt den komplexen Weg verschiedener Energieträger zur schlussendlichen Dienstleistung.

Abbildung 1: Energieflussbild de​r Bundesrepublik Deutschland 2023​4

Das Diagramm zeigt deutlich, dass Deutschland nicht nur den Großteil seines Primärenergiebedarfs importiert (links eingekreist), sondern das bis zur Bereitstellung der Energiedienstleistung (rechts eingekreist), fast 20 Prozent der Energie während Umwandlungsprozessen verloren geht (mittig eingekreist). Der Grund für diese Verluste liegt vor allem in der Technologie. Während erneuerbare Quellen wie Solar und Wind Strom direkt bereitstellen, müssen fossile Energieträger erst umgewandelt werden. Durchschnittlich beträgt der Wirkungsgrad von fossilen Kraftwerken in Deutschland lediglich 45 Prozent​5. Behörden wie IEA oder EIA haben früher Anteile von erneuerbaren Primärenergieträgern wie Wasserkraft sogar mit einem sogenannten Fossil Fuel Equivalency Factor von etwa 3 multipliziert (partial substitution method)​6, um deren theoretische Primärenergiewirkung vergleichbar mit fossilen Energiequellen zu machen. Diese Ineffizienz ist nicht nur umweltschädlich, sondern auch teuer –​​​​​​ Deutschland importierte allein 2024 Gas im Wert von 19 Milliarden Euro und Öl im Wert von 45 Milliarden Euro​7. Der Volkswirtschaft Deutschland kostet der Verlust während der Energieumwandlung also über 10 Milliarden Euro jährlich. Zwar kann man den Gesamtwirkungsgrad mit Kraft-Wärme-Kopplung deutlich verbessern, trotzdem jagen wir immer noch im aktuellen fossilen System 10 Mrd. jährlich durch Schornsteine und Kühltürme, oder heizen damit Flüsse auf.

Neben den Umweltschäden und Kosten sorgt diese Ineffizienz jedoch auch für ein verzerrtes Bild des deutschen Energiesystems. Von den verbrauchten 10.600 PJ (Petajoule) Primärenergie werden nur etwa 8100 PJ schlussendlich genutzt​4. Erneuerbare Energien sind in der Primärenergie-Betrachtung folglich unterrepräsentiert. Da sie praktisch keinen Umwandlungsverlust zu verbuchen haben und keine Energie für Brennstofflieferungen​8 verbraucht wird, können regenerative Stromquellen wie Solar und Wind das Dreifache an Primärenergie ersetzen.
 

Effizienzsteigerungen durch Elektrifizierung

Aus dieser Perspektive ist es offensichtlich, dass bei Bestehen von Alternativen es keinen Sinn macht, an den extrem ineffizienten Technologien festzuhalten. Eine Effizienzsteigerung würde den Gesamtenergieverbrauch reduzieren, das Erreichen der Klimaziele deutlich vereinfachen und am letztendlichen Nutzen (der Energiedienstleistung) für den Verbraucher (oder Unternehmen) keine Abstriche fordern.

Ein anschauliches Beispiel für die Effizienzvorteile neuer Technologien ist die Wärmepumpe. Während konventionelle Heizungen, wie Gas- oder Ölkessel, aus einer Einheit Energie etwa eine Einheit Wärme erzeugen, liefern moderne Wärmepumpen aus einer Einheit Strom typischerweise vier Einheiten Wärme​9. Diese hohe Effizienz bedeutet, dass mit deutlich weniger Primärenergieeinsatz dieselbe Heizleistung erreicht werden kann, wie sogar mit den effizientesten Brennwertkesseln.

Ein weiterer Bereich, in dem die Effizienzvorteile durch Elektrifizierung deutlich werden, ist die Elektromobilität. Elektromotoren wandeln etwa 80 Prozent der zugeführten Energie in Bewegung um. Berücksichtigt man zusätzliche Verluste, beispielsweise beim Laden der Batterie, erreichen Elektroautos einen Gesamtwirkungsgrad von rund 65 Prozent. Im Vergleich dazu liegt der Wirkungsgrad von Dieselmotoren bei etwa 45 Prozent und von Benzinmotoren unter optimalen Bedingungen bei 30–35 Prozent​10. Der niedrige Wirkungsgrad des Verbrenners wurde auch bei der Angabe zur mechanischen Energie im Verkehrssektor in Abbildung 1 übersehen. Berücksichtigt man zudem die Energieverluste bei der Kraftstoffbereitstellung, also der Schritte vom Bohrloch bis zum Fahrzeugtank, so wird nur rund 20 Prozent der ursprünglich eingesetzten Energie wirklich genutzt​11. Wie in Abbildung 1 offensichtlich, wird ein Großteil der im Verkehr genutzten Energie immer noch aus fossilen Energieträgern gewonnen, eine Umstellung des etwa 2.500 PJ großen Sektors auf E-Mobilität würde den sektoralen Energiebedarf folglich drastisch senken. Eine Umstellung des Sektors auf Wasserstoff oder auf sog. E-Fuels stellt im Übrigen keine realistische Alternative dar. Wie Wien Energie in einem Vergleich von Elektrofahrzeugen, Wasserstoffantrieben und neuartigen E-Fuels aufzeigt, befinden sich sowohl Wasserstoff mit 22 Prozent als auch E-Fuels mit 13 Prozent Wirkungsgrad fern ab der Effizienz moderner E-Fahrzeuge​12. Wasserstoff und E-Fuel Technologien haben das umgekehrte Problem konventioneller Energien – sie müssen nicht den Energieträger wie Öl oder Gas verstromen, sondern energietechnisch hochwertigen Strom in energieintensiven Umwandlungsprozessen zum minderwertigeren aber leicht transportierbaren flüssigen Energieträger machen. 

Während E-Autos und Wärmepumpen – obwohl nicht ausschließlich – mehrheitlich Effizienz in den Privatsektor bringen, ist es die Industrie, welche in Deutschland noch zum Großteil abhängig von konventioneller und damit ineffizienter Energie ist​4. Elektrodenheizkessel bieten für die Industrie ein enormes Potenz​​ial zur Dekarbonisierung von Prozesswärme. Viele industrielle Anwendungen, etwa in der Chemie-, Lebensmittel- oder Papierindustrie, benötigen große Mengen Wärme bei hohen Temperaturen – bisher meist gedeckt durch Erdgas oder andere fossile Brennstoffe. Elektrodenheizkessel oder Kolbenverdichteranlagen ermöglichen es, diese Prozesswärme effizient und emissionsfrei bereitzustellen, sofern sie mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben werden. Stromkessel erreichen beinahe 100 Prozent Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Strom in Wärme und bieten durch ihre kurze Reaktionszeit große Flexibilität für industrielle Prozesse mit wechselnden Lastanforderungen. Mit Wärmepumpen verbessert sich der Wirkungsgrad deutlich. Anders als bei klassischen Kesselsystemen entfallen Brennstofflagerung, Emissionsschutzmaßnahmen und lange Anfahrzeiten. Zudem können Stromkessel gezielt eingesetzt werden, um Netzengpässe zu entlasten, indem überschüssiger Strom in Wärme umgewandelt und vor Ort genutzt oder in Wärmespeichern zwischengespeichert wird. Die Kopplung von Strom- und Wärmesektoren ist ein wichtiger Baustein für die Transformation der deutschen Industrie, deren Nutzen in der herkömmlichen Primärenergiebilanz bisher kaum berücksichtigt wird​13. Aber auch ohne Strom kann mit Umweltwärme, vor allen Dingen Geothermie durch direkte Nutzung oder durch Kombination (also mit Wärmepumpe) sehr effizient Wärme produziert werden. Die Bohrungen sind natürlich eine hohe Anfangsinvestition, werden allerdings auch stark durch das Programm BEW unterstützt​14.

Elektrifizierung in Zahlen

Mit Blick auf Abbildung 1, lässt sich erkennen, dass in Deutschland mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs auf Haushalt und Verkehr entfallen. Besonders Raumwärme und mechanische Energie (Mobilität) fallen hier als größte Positionen ins Auge.

Das wissenschaftliche Paper des Oxford Professors Nick Eyre zeigt, dass eine vollständige Umstellung des weltweiten Energiesystems eine Reduktion des Verbrauchs von 40 Prozent mit sich bringen könnte – der weltweite Jahresverbrauch würde von 416 EJ (Exajoule) auf 247 EJ fallen.

Transport und Gebäude, in denen die eben genannten Positionen mechanische Energie und Raumwärme zu verorten sind, machen in dieser Projektion über die Hälfte der Reduktion aus. Wärmepumpen (ggf​. mit Geothermie) und E-Mobilität würden, aufgrund ihrer besseren Effizienz, Treiber des Wandels sein. In der Industrie würde sich der Prozentsatz des genutzten Stroms verdoppeln, im Gebäudesektor fast verdreifachen und im Transportbereich etwa 30-mal so groß sein wie aktuell​15. Durch fortschreitende Elektrifizierung ließe sich also die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schmälern und das Gesamtenergiesystem deutlich effizienter und durch dezentrale Erzeugung auch sicherer gestalten.

 
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A​bbildung 2: Globaler Endenergieverbrauch nach Sektor – Aktuell und Post-Transformation​12


Fazit

Die weit verbreitete Vorstellung, dass eine Umstellung auf erneuerbare Energien nicht möglich sei, weil ihr Anteil an der Primärenergie gering ist, verkennt die grundlegende Ineffizienz konventioneller Technologien. Der Fokus auf Primärenergie vermittelt ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Energieströme, da er Umwandlungsverluste und Effizienzgewinne durch neue Technologien ignoriert. Mit dem zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen, Geothermie, E-Mobilität und elektrifizierten industriellen Prozessen wie Elektrodenheizkesseln wird sich der Gesamtenergieverbrauch deutlich reduzieren – ohne dass dies mit einem Verlust an Komfort oder Leistung einhergeht. Die Primärenergiekennzahl wird dabei zwangsläufig sinken, nicht weil weniger Energie „bereitgestellt“ wird, sondern weil dieselben Dienstleistungen mit weniger Input erbracht werden können. Der vermeintlich geringe Anteil Erneuerbarer an der Primärenergie darf daher nicht als Argument gegen die Energiewende herhalten – vielmehr zeigt er, wie überholt und irreführend die herkömmliche Energiebilanzierung ist. Eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems bedeutet nicht, 100 Prozent der heutigen Primärenergie zu ersetzen, sondern durch Elektrifizierung und Effizienz einen Bruchteil davon viel klüger zu nutzen.

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Quellen:


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