Kindergeld – mehr als nur ein nationaler Anspruch

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​veröffentlicht am 29. Juni 2017

 

Das Kindergeld ist eine Familienleistung, die zwar in Deutschland – bei Vorliegen der erforderlichen Tatbestandsmerkmale – gewährt wird, jedoch nicht zwingend im europäischen oder außer­eu­ro­päischen Ausland.

 

    

Das deutsche Recht differenziert zwischen dem steuerlichen (EStG) und dem sozialrechtlichen Kin­der­geld­an­spruch (BKGG). Bei internationalen Mitarbeitereinsätzen ist es für den „Expatriate” i.d.R. sehr wichtig, einen ihm als Elternteil bereits zustehenden Kindergeldanspruch nicht zu verlieren bzw. bei einem existierenden Verlust einen entsprechenden Ausgleich von seinem Arbeitgeber zu erhalten. Beide sollten sich daher die Frage stellen, ob das deutsche Recht zum Thema Kindergeld überhaupt zur Anwendung kommt, wenn sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit im Ausland aufhalten muss.

  

Anwendung geltender Kindergeld-Vorschriften durch die Familienkassen

Die Familienkassen scheinen bei der Ermittlung der anwendbaren Vorschriften unterschiedlich vorzugehen. Zur Beantwortung der Frage, ob im Rahmen weltweiter Mitarbeitereinsätze ein deutscher Kindergeldanspruch besteht, sollte folgende Vorgehensweise gelten:

 

Im Bereich der EU/EWR/Schweiz ist die Verordnung (EG) 883/04 heranzuziehen. Sie dient der Koordination der anwendbaren Sozialvorschriften. Nach Art. 11 der Verordnung können die Sozialvorschriften nur eines Mitgliedstaates Anwendung finden. Zum Zwecke ihrer Ermittlung muss zwischen unterschiedlichen Personengruppen differenziert werden:

  • Personen, die einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen (Besonderheiten gelten bei Seeleuten und Flug- oder Kabinenbesatzungsmitgliedern),
  • Beamte,
  • Personen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten,
  • Personen, die zum Wehr- oder Zivildienst einberufen sind und
  • andere Personen.

 

Bei der Gruppe der Erwerbstätigen folgt die Verordnung dem sog. Territorialitätsprinzip. Demnach finden grds. die Vorschriften zur sozialen Sicherheit des Mitgliedstaates Anwendung, in dem die Tätigkeit physisch erbracht wird. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind die Tatbestände der Entsendung, der gewöhnlichen Er­werbs­tä­tig­keit in mehreren Mitgliedstaaten und der Ausnahmevereinbarung.

 

Sind die anwendbaren Sozialvorschriften und der zuständige Mitgliedstaat ermittelt, muss letzterer Fa­mi­li­en­leis­tun­gen im Sinne der Verordnung erbringen. Unter den Begriff der Familienleistungen fällt dabei nicht nur der sozialrechtliche, sondern auch der steuerrechtliche Kindergeldanspruch.

  

Besonderheiten beim Kindergeld-Anspruch

  • Nun kann die Situation eintreten, dass Eltern für ein Kind Kindergeld nach dem Recht mehrerer Mitgliedstaaten beanspruchen können, weil z.B. auf die Leistungsberechtigten (i.d.R. Vater und Mutter) unterschiedliche Sozialvorschriften Anwendung finden. Wie diese Kollision aufzulösen ist, beantwortet ebenfalls die Verordnung (EG) 883/04: 
     
    Im Ergebnis führt das dazu, dass Kindergeld nach den Rechtsvorschriften des nachrangigen Mitgliedstaates bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt werden darf; falls erforderlich ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren (sog. Differenzkindergeld).

    Beispiel: Der Vater arbeitet in Österreich, die Mutter ist Hausfrau und lebt mit dem Kind in Deutschland. In solch einem Fall ist Österreich vorrangig für die Leistung des Kindergelds zuständig. Deutschland zahlt gegebenenfalls einen Unterschiedsbetrag.
       
  • In Fällen, in denen es zu keiner europarechtlichen Kollision mehrerer Kindergeldansprüche kommt (weil z.B. auf beide Elternteile die Rechtsvorschriften desselben Mitgliedstaates Anwendung finden) kann aufgrund des EuGH-Urteils vom 12. Juni 2012 dem eigentlich unzuständigen Staat die Zahlung des nationalen Kindergelds nicht verwehrt werden, wenn die nationalen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.

    Beispiel: Vater und Mutter arbeiten in Österreich, der Wohnsitz der Familie ist in Deutschland. In dem Fall ist Österreich vorrangig für die Gewährung der Familienleistungen zuständig. Deutschland kann die Leistung des deutschen Kindergeldes nicht verwehrt werden, wenn die nationalen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Für die Höhe des Kindergeldes ist es jedoch relevant, ob in Österreich ein Anspruch besteht und welcher Betrag gezahlt wird.
      
  • Bei internationalen Mitarbeitereinsätzen ins außereuropäische Ausland ist zunächst zu ermitteln, ob bilaterale Sozialversicherungsabkommen existieren. Sofern das der Fall ist, sind sie zunächst darauf zu prüfen, welche Zweige und Leistungen umfasst sind. Bestehen keine bilateralen Abkommen oder enthalten bestehende Abkommen keine Regelung zu Familienleistungen, so sind die jeweiligen nationalen Vorschriften zu prüfen.

    Beispiel:Der Vater ist in Russland, also im Ausland tätig, die Mutter ist Hausfrau und lebt mit dem Kind in Deutschland. Für den Vater gelten die russischen Sozialvorschriften. Ob ein Anspruch auf Familienleistungen nach russischen Vorschriften besteht, ist zu prüfen. Für die Mutter gelten die deutschen Vorschriften. Sofern sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, besteht Anspruch auf deutsches Kindergeld. In solch einem Fall wird sich die zuständige Familienkasse danach erkundigen, ob der Vater aus Russland vergleichbare Leistungen erhält. Ist das der Fall, wird deutsches Kindergeld grds. nicht gewährt. Ob ein Differenzkindergeld gezahlt wird, ist im Einzelfall zu prüfen.

  

Fazit

Die Praxis zeigt, dass trotz entsprechender Durchführungsanweisungen der Familienkasse-Direktion die Vorgehensweise nicht immer abgestimmt ist. Daher ist bei Mitarbeitereinsätzen im Ausland der Anspruch auf Kindergeld und auch auf andere Familienleistungen im Einzelfall zu prüfen. Andernfalls kann es zu Rück­for­de­rungs­an­sprüchen kommen, wenn ein Sachverhalt nicht richtig mitgeteilt wurde oder dem Berechtigten entgehen die Leistungen trotz Vorliegens entsprechender Voraussetzungen.

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