Winterdienst – Anforderungen zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten

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​veröffentlicht am 02. November 2020

 

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Der Herbst beginnt, die Bäume verlieren ihre Blätter und die Temperaturen nähern sich den Minusgraden. Für Grundstückseigentümer ist dies der Zeitpunkt, zu überprüfen, ob der Reinigungs-, Streu- und Räumdienst auf dem Grundstück sowie den angrenzenden öffentlichen Verkehrswegen ausreichend organisiert ist. Es existieren in diesem Kontext eine Fülle an Einzelfragen und zahlreiche Gerichtsentscheidungen. Als Hilfestellung hierfür soll im Folgenden ein kurzer Überblick über wesentliche Fragestellungen gegeben werden.


Wer ist für den Winterdienst verantwortlich?

Die Zuweisung der Verantwortlichkeit ist öffentlich-rechtlich determiniert. In Art. 14 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes heißt es „Eigentum verpflichtet”. Somit ergibt sich auch eine grundsätzliche Zuweisung der Grundstücksverantwortlichkeit an den Grundstückseigentümer. Er hat dafür zu sorgen, dass von seinem Grundstück keine Gefahren für Dritte ausgehen. Die Reinigungs-, Streu- und Räumpflicht auf den an das Grundstück angrenzenden öffentlichen Verkehrswegen obliegt hingegen dem Träger der Straßenbaulast, also meistens der Gemeinde. Diese macht jedoch für gewöhnlich von ihrem Recht Gebrauch, die Pflicht zur Reinigung bzw. Räumung des angrenzenden Gehwegs durch Satzung oder Verordnung auf den Grundstückseigentümer zu übertragen. Für den Grundstückseigentümer ergibt sich hieraus ebenfalls eine Verkehrssicherungspflicht.


Ist die Winterdienstpflicht delegierbar?

Der Verkehrssicherungspflichtige hat die Möglichkeit, seine Pflichten auf einen Dritten (z. B. auf einen Mieter) zu übertragen. Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung, dass die Übertragung so klar und eindeutig vereinbart wird, dass die Ausschaltung von Gefahren sichergestellt ist. Die Pflicht zur Reinigung, Bestreuung und Räumung wandelt sich dann für den Grundstückseigentümer in eine Kontroll- und Überwachungspflicht um. Erforderlich sind regelmäßige, auch unangekündigte Kontrollgänge zu verschiedenen Uhrzeiten. Diese sollten zu Beweiszwecken ausführlich dokumentiert werden. Auch Beschwerden ist nachzugehen und für Abhilfe zu sorgen.


Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht?

Ist eine Streupflicht gegeben, so richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streuplicht besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Sie steht wie so oft in der Rechtsprechung zu den Verkehrssicherungspflichten unter dem Vorbehalt des „Zumutbaren”, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Eine absolute Sicherheit kann und muss nicht erreicht werden. Was das im Einzelnen im Fall der Reinigungs-, Streu- und Räumpflicht heißt, sollte sich zunächst ausführlich aus der jeweiligen gemeindlichen Satzung ergeben. Nur, wenn keine Satzung erlassen wurde oder diese keine Regelung enthält, ist auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurückzugreifen.

 

In welchem Zeitraum besteht die Winterdienstpflicht?

Die Räum- und Streupflicht besteht ab „Einsetzen des Verkehrs”. Dies wird werktags ab ca. 7 Uhr morgens angenommen. An Sonn- und Feiertagen besteht die Räum- und Streupflicht dagegen erst ab 9 Uhr. Sie besteht bei Wohnhäusern bis ca. 20 Uhr abends. Vorbeugend ist nur ausnahmsweise zu streuen. Die Regelungen der Länder variieren jedoch im Einzelnen bei den Zeiten. Grundsätzlicher Gedanke ist jedenfalls, dass die Räum- und Streupflichten regelmäßig für die Zeit des „normalen Tagesverkehrs”
bestehen (BGH, Urteil vom 12.6.2012 – VI ZR 138/11). Ferner sei dem Streupflichtigen ein „angemessener Zeitraum“ zuzubilligen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der Glätte zu treffen.


In seinem Beschluss vom 11.8.2009 – VI ZR 162/08 hatte der BGH über einen Schadensersatzanspruch aus einem Unfall zu entscheiden, der sich um halb fünf Uhr morgens zugetragen hatte. Er wies die Anhörungsrüge der Klägerin zurück, da der Unfall sich außerhalb der räum- und streupflichtigen Zeit ereignet hatte. Eine vorbeugende Streupflicht zur Verhinderung von Glättebildung an bestimmten Stellen auch in den Nachtstunden, also vor allem nach 20 Uhr, ist nur ausnahmsweise dann erforderlich, wenn mit einem entsprechenden Verkehr gerechnet werden muss. Es reicht nicht, dass lediglich vereinzelte Personen, z. B. Zeitungsausträger, vor Einsetzen der allgemeinen Streupflicht unterwegs sind, zumal diese sich auf die bestehenden Witterungsverhältnisse einstellen können. Als Beispiele für eine Räum- und Streupflicht nach 20 Uhr benennt der BGH Straßen und Wege vor Theatern, Kinos und Restaurants, da dort mit einem entsprechenden Verkehr typischerweise auch nach 20 Uhr zu rechnen sei.

 

Wie häufig ist zu räumen?

Es ist so zu räumen, dass für Fußgänger keine Gefahr besteht. Demnach muss je nach Wetterlage auch mehrmals am Tag geräumt oder gestreut werden. Maßgeblich ist, wann damit zu rechnen ist, dass die Wirkung des Streugutes nachlässt. Natürlich ist nur zu räumen, wenn dies auch sinnvoll ist. Es ist erst dann zu streuen, wenn von einer allgemeinen Glättebildung auszugehen ist und nicht nur von vereinzelten Glättestellen. Bei andauerndem Schneefall darf abgewartet werden, bis der Schneefall abgeklungen ist und auch danach muss der Grundstückseigentümer erst nach einer angemessenen Wartezeit, in der er prüfen darf, ob der Schneefall tatsächlich beendet ist, tätig werden. Der Grundstückseigentümer muss hier im
Streitfall beweisen, dass die Wetterverhältnisse eine Räumung nicht zugelassen haben. Hierzu wird eine Auskunft des Deutschen Wetterdienstes herangezogen.


Wie breit und auf welchen Flächen ist zu räumen und zu streuen?

Es ist so zu streuen/räumen, dass zwei Fußgänger vorsichtig aneinander vorbeigehen können. In Zahlen bedeutet dies ca. 1 m bis 1,20 m. Ausnahmen bzw. spezielle Regelungen gibt es für bestimmte Flächen, wie bspw. Treppen, Fußgängerzonen oder Parkplätze. Es sind außerdem nur Wege zu streuen, die auch tatsächlich als Fußgängerwege gedacht sind. In einem vom Kammergericht Berlin entschiedenen Fall vom 23.4.2014 – 11 U 12/13 benutzte ein Fußgänger nicht den geräumten Gehweg, sondern die „Abkürzung”, die näher an der Hauswand entlangführte und nicht geräumt war. Der Fußgänger rutschte aus und zog sich Verletzungen zu. Die Klage des Fußgängers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wurde abgewiesen. Die Art und Wichtigkeit der Verkehrswege ist beim Streuen/ Räumen zu berücksichtigen. Eine „Abkürzung” muss nicht gestreut werden, wenn der Fußgänger bei vernünftiger Sicherheitserwartung nicht mit der Räumung weiterer Flächen rechnen darf. Das ist gerade dann der Fall, wenn in unmittelbarer Nähe ein gestreuter/geräumter Gehweg zur Verfügung steht, so das Gericht.


Was gilt auf Parkplätzen?

Auch auf öffentlichen oder privaten Parkplätzen muss regelmäßig gestreut werden. Umfang und Grenzen dieser Räumung/Bestreuung legte der BGH in seinem Urteil vom 2.7.2019 – VI ZR 184/18 dar. Die Klägerin war hier auf dem Parkplatz des Beklagten, dem Betreiber eines Lebensmittelmarktes, in der Nähe ihres PKWs ausgerutscht und hatte sich dabei Verletzungen zugezogen. Der BGH entschied, dass in dem konkreten Fall auf dem Parkplatz im Bereich der markierten Stellflächen zwischen den dort parkenden Fahrzeugen keine Streupflicht bestand. Dort konnte nämlich nicht maschinell, sondern nur händisch bestreut werden. Wegen des damit verbundenen hohen Aufwandes ist dies dem Betreiber nicht zumutbar.  In diesem Fall entschied der BGH auch, dass ein einmaliges Streuen der gesamten Parkfläche vor Öffnung des Lebensmittelmarktes nicht erfolgen konnte, da dieser Parkplatz auch außerhalb der Öffnungszeiten des Lebensmittelmarktes, insbesondere nachts, von Anwohnern zum Abstellen ihrer Fahrzeuge genutzt wurde. Daher war nicht gewährleistet, dass vor Marktöffnung die Parkstellflächen frei waren. Eine Pflicht zur nächtlichen Sperrung und ein Abschleppen verbliebener Fahrzeuge würde den Umfang der Verkehrssicherungspflicht überdehnen. Die Fahrflächen sind jedoch ausreichend und regelmäßig zu streuen und zu räumen, auch um den Kunden des Lebensmittelmarktes ein gefahrloses Verstauen von Einkäufen im Heck des Fahrzeuges zu ermöglichen. Hierbei ist der Kunde nämlich in seiner Aufmerksamkeit und Reaktionsmöglichkeit eingeschränkt. Beim Ein- und Aussteigen aus dem PKW kann der Kunde sich dagegen uneingeschränkt auf die winterlichen Wetter- und Sichtverhältnisse einstellen und sich bei Unsicherheit über die Bodenbeschaffenheit, falls notwendig, am Fahrzeug festhalten.


Muss ausgebrachtes Streugut wieder entfernt werden?

Letztendlich muss das gestreute Salz-Splitt-Gemisch nicht gleich nach jeder Verwendung wieder beseitigt werden, so entschieden vom Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht am 10.9.2020 – 7 U 25/19. Hier rutschte ein Fahrradfahrer Ende März auf einem Splitt-Salz-Gemisch aus, fiel von seinem Rad und verletzte sich. Die Temperaturen lagen an diesem Tag über dem Gefrierpunkt und mit Eis war nicht zu rechnen. Die Klage des Radfahrers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wurde jedoch abgewiesen. Das Gericht führte aus, dass ein Splitt-Salz-Gemisch nach einer einmaligen Verwendung nicht verbraucht ist, sondern dazu dient, die von künftigen Schneefällen und Eisauftritt ausgehenden Gefahren zu mindern. Abhängig von der jeweiligen Gegend kann auch Ende März noch mit Frost gerechnet werden, weswegen hier keine Pflicht zur Beseitigung des Gemisches bestand. Für den Radfahrer war die Beeinträchtigung ersichtlich, er hätte seine Fahrweise anpassen müssen. Aus diesem Urteil lässt sich jedoch auch der Rückschluss ziehen, dass Splitt-Salz-Rückstände jedenfalls dann zu entfernen sind, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit kein Frost mehr zu erwarten ist.

 

Fazit

Der Grundstückseigentümer muss seiner Pflicht zur Reinigung, Räumung und Bestreuung der Straße bzw. Wege sorgfältig und regelmäßig - abhängig von den Witterungsverhältnissen - nachkommen. Die konkreten Pflichten ergeben sich aus einer Vielzahl von Kriterien. Kommt der Verkehrssicherungspflichtige diesen nicht ausreichend nach, kann dies einen Verstoß gegen seine Verkehrssicherungspflicht darstellen. Ob schließlich Haftung (z. B. Verhängung eines behördlichen Bußgelds, zivilrechtliche Haftung) droht, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls unter Zugrundelegung der vor Ort herrschenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse. Von dem Verkehrssicherungspflichtigen wird jedoch nichts Unmögliches verlangt! Gradmesser ist die Frage nach der „Zumutbarkeit”. Zur Herstellung von Rechtssicherheit ein sicherlich nicht einfaches Kriterium.

 

 

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