Also alles in Ordnung nach der Entscheidung des BVerfG? – Nein, denn es droht eine Verschlechterung der Gesetzeslage auf breiter Front!

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von Dr. Hans Weggenmann und Tanja Creed
 
Die Vorgaben des BVerfG und deren Interpretation und Umsetzung durch die Politik werden entgegen aller Beteuerungen, den Erhalt der mittelständischen Unternehmen und deren Arbeitsplätze zu schützen, zu einer schmerzhaften Hypothek für zukünftige Unternehmensnachfolgen führen.
 
Die Zahl und die Struktur der Vorschläge für eine Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes sind nach der Veröffentlichung des BVerfG-Urteils beinahe unüberschaubar geworden. Bisher ist nur eins klar: es wird keine neue Grundsatzdiskussion über die Berechtigung einer Erbschaft- und Schenkungsteuer an sich und deren sinnvolle Struktur geben, also auch keinen Ansatz für ein richtiges Flat Tax-Modell. Leider ist es den Wirtschaftsverbänden und Interessenvertretern nicht gelungen, eine einheitliche Linie für die notwendigen Nachjustierungen zu finden. Das hat es dem BMF leicht gemacht, in seinem Eckpunktepapier vom 27. Februar 2015 eine eigene, bereits sehr restriktive Linie vorzugeben, noch bevor die Diskussionen zwischen den politischen Lagern und zwischen Bund und Ländern richtig Fahrt aufgenommen haben. Die Vorstellungen des BMF sind hoch umstritten und haben breiten Widerstand der Wirtschaft und auch in Teilen der Politik hervorgerufen. Klarheit über den endgültigen Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuerreform wird es erst im Verlauf des Frühjahres geben. Aber: Setzt sich das Konzept des BMF durch, wird sich die weitgehende Erbschaft- und Schenkungsteuerfreiheit der Unternehmensnachfolge für viele der erfolgreichen mittelständischen Familienunternehmen vom Regel- zum Ausnahmefall umkehren.
 
Besonders problematisch sind die Ausführungen des BVerfG gerade für die großen, wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen. Da mit zunehmender Größe auch das Ausmaß der steuerlichen Begünstigung durch die Steuerbefreiung in §§ 13 a, b ErbStG steigt, stellen die Richter in Karlsruhe an die Begünstigung großer Unternehmen besondere Anforderungen. Zwar besteht auch hier die Möglichkeit einer umfangreichen Steuerbefreiung, allerdings dürfe die Notwendigkeit hierzu nicht ohne weiteres unterstellt werden. Große Unternehmen müssten daher im Rahmen einer individuellen Bedürfnisprüfung nachweisen, dass die Steuerbegünstigung im Sinne einer zielgerichteten Förderung von Unternehmens- und Arbeitsplatzerhalt berechtigt ist.
 
Das BVerfG hat damit große Unternehmen zwar nicht generell von der Betriebsvermögensbegünstigung ausgeschlossen, aber hohe Hürden für einen weiteren Zugang aufgebaut – diese aber selbst nicht klar benannt! Sowohl zu den Kriterien für eine Abgrenzung „großer” Unternehmen als auch für die konkrete Durchführung der Bedürftigkeitsprüfung macht das Gericht keine Vorgaben, sondern äußert nur Anregungen und stellt die Ausgestaltung im Übrigen in das Ermessen des Gesetzgebers.
 
Das vom BMF veröffentlichte Eckpunktepapier lässt für das anstehende Gesetzgebungsverfahren nichts Gutes erwarten: das BMF schlägt darin eine erwerbsbezogene (Frei)Grenze von 20 Millionen Euro vor. Bei Übertragungen unterhalb dieses Wertes bleibt es bei den bisherigen Regelungen (Wahlrecht zwischen Regel- und Optionsverschonung). Bei auch nur geringfügiger Überschreitung greift das neue Regime der Bedürfnisprüfung ein. Dies bedeutet, dass sich weite Teile des erfolgreichen Mittelstandes einer individuellen Bedürfnisprüfung mit ungewissem Ausgang unterziehen müssen, um noch eine – dann nach Maßgabe des vorhandenen Privatvermögens eingeschränkte – Betriebsvermögensbegünstigung zu erhalten. Man mache sich bewusst: seit 1. Januar 2015 soll nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren bereits ein Unternehmen mit einem durchschnittlichen Gewinn von ca. 1,1 Millionen Euro die Wertgrenze von 20 Millionen Euro übersteigen! Von dieser Bedürfnisprüfung wären damit deutlich mehr Unternehmen betroffen als die „klassischen” großen Unternehmen. Das BVerfG selbst hatte mit dem Hinweis auf den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge vom 30. Mai 2005 (BT-Drucks. 15/5555, S. 10) eine Höchstgrenze von 100 Millionen Euro ins Spiel gebracht – zwar im Zusammenhang mit einem alternativen Kappungsmodell, jedoch lässt sich hieraus ableiten, welche Größenordnung wohl den Karlsruher Richtern bzgl. der notwendigen Abgrenzung vorschwebte.
 
Dass es sich bei der 20 Millionen Euro-Grenze um eine Freigrenze (und nicht um einen Freibetrag) handelt, erscheint doppelt hart. Damit hängt die Entscheidung, ob ein Unternehmen völlig steuerfrei übergehen kann oder der Erwerber eigenes Vermögen für die Erbschaft- und Schenkungsteuerzahlungen einsetzen muss, bereits von geringfügigen Schwankungen (oder Meinungsverschiedenheiten mit der Finanzverwaltung!) in der Unternehmensbewertung ab. In Kombination mit der verwaltungsseitig völlig überzogenen Bewertung von Familienunternehmen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist dies für den Mittelstand nicht tragbar.
 
Zudem wird die Bedürfnisprüfung nach den Vorstellungen des BMF abhängig von den individuellen Familienverhältnissen gemacht. Ein Unternehmer, dessen Unternehmen einen durchschnittlichen Jahresertrag von 1,1 Millionen Euro erzielt, müsste bei der Übertragung auf seinen einzigen Sohn mit einer Bedürfnisprüfung und je nach Privatvermögen und dessen Verteilung in der Familie mit einer deutlichen Schenkungsteuerbelastung rechnen. Hätte er zwei Nachfolger, auf die er das Unternehmen übertragen könnte, würde es bei der bisherigen Möglichkeit zur Optionsverschonung bleiben. Eine Bedürfnisprüfung würde bei Übertragung auf zwei Nachfolger erst ab einem Unternehmenswert von 40 Millionen Euro eingreifen.
 
Erschwerend kommt hinzu, dass die vom BVerfG für möglich, aber bei weitem nicht für zwingend gehaltene Einbeziehung des eigenen Vermögens eines Erwerbers in die Bedürfnisprüfung im Eckpunktepapier des BMF als zentrales Kriterium einer eventuellen Steuerverschonung bei „großen” Unternehmen aufgegriffen wurde. Danach soll das Privatvermögen, das der Erwerber – aus eigener Arbeit oder aus vorhergehenden anderen Zuwendungen – bereits besitzt oder mit dem Unternehmen zusammen erbt, Maßstab für die Bedürftigkeit und damit das Ausmaß einer Steuerverschonung für die Unternehmensnach-folge sein. In die Mithaftung für die Erbschaft- und Schenkungsteuer auf Betriebsvermögen einbezogen werden 50 Prozent dieses „verfügbaren” Vermögens: bis zu diesem Eigenbeitrag des Erwerbers muss die auf das begünstigte Betriebsvermögen entfallende Erbschaft- und Schenkungsteuer bezahlt werden, auch wenn das Unternehmen unverändert fortgeführt wird. Nur eine darüberhinausgehende Erbschaft- und Schenkungsteuer wird erlassen, wenn die bisherigen Haltefristen und Lohnsummenkriterien eingehalten werden. Soweit für die Begleichung der Erbschaft- und Schenkungsteuer erst noch eine Liquidierung privater Vermögenswerte erforderlich ist, kommt eine Stundung der Steuer in Betracht. Unklar ist, ob und wie das Verwaltungsvermögen sowohl im übertragenen Unternehmen als auch in anderen Betrieben des Erwerbers bei der Bedürfnisprüfung berücksichtigt wird.
 
Nicht nur der Verwaltungsaufwand für diese Regelung ist enorm, wenn man die Notwendigkeit der Bewertung vorhandener privater Vermögen bedenkt. Es stellt sich auch die Gerechtigkeitsfrage, wenn dem Nachfolger zugemutet wird, die Hälfte seiner vor Übernahme des Betriebs persönlich erarbeiteten Lebensabsicherung wie Wohnimmobilie und Altersversorgung zur Begleichung der Erbschaftsteuer auf die hochrisikobehaftete Unter-nehmensbeteiligung einzusetzen. Dies dürfte dem Engagement der Nachfolgergeneration für die Erhaltung ihrer Familienunternehmen einen herben Schlag versetzen. Die Anreizwirkung dieser Art der Bedürftigkeitsprüfung für Vermögensbildung und -verteilung in einer Unternehmerfamilie ist kontraproduktiv und fordert zugleich Gestaltungen geradezu heraus: die vorweggenommene Übertragung des Unternehmens an einen weitgehend vermögenslosen Nachfolger kann gegenüber dem Erbfall oder der Vorwegübertragung von Privatvermögen Erbschaftsteuer in Millionenhöhe sparen. Die Nachfolgeplanung wird vor ganz neue Herausforderungen gestellt.
 

Vereinfachtes Beispiel zur Bedürfnisprüfung:

Der Vater schenkt seinem Sohn 100 Prozent seines Unternehmens. Der durchschnittliche Jahresertrag der letzten 3 Jahre beträgt 1,5 Millionen Euro. Nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren beträgt der Unternehmenswert 27.322.400 Euro. Das Unternehmen verfügt über kein Verwaltungsvermögen. Der Sohn besitzt ein Reihenhaus (Verkehrswert 300.000 Euro), in dem er selbst wohnt, und liquide Mittel in Höhe von 50.000 Euro.
Nachdem der Wert des begünstigten Vermögens über 20 Millionen Euro liegt, scheiden die bisherigen Verschonungsregelungen aus. Stattdessen ist eine Bedürfnisprüfung durchzuführen.
Berechnung der tatsächlich zu entrichtenden Erbschaftsteuer: 
 
 

Abgewandeltes Beispiel zur Bedürfnisprüfung:

Der Vater verstirbt, sein einziger Erbe ist der Sohn. Neben der Unternehmensbeteiligung enthält der Nachlass das repräsentative Einfamilienhaus des Vaters (Verkehrswert 1 Millionen Euro), eine vermietete Immobilie mit einem Verkehrswert von 450.000 Euro sowie Kapitalanlagen in Höhe von 5 Millionen Euro.
 
 
Aber auch für kleine Unternehmen wird sich die Rechtslage für eine Unternehmensnachfolge mit der durch das BVerfG geforderten Erbschaft- und Schenkungsteuerreform verschlechtern. Die derzeitige Arbeitnehmer-Grenze für die Anwendung der Lohnsummen-Prüfung wird fallen. So schlägt das BMF in seinem Eckpunktepapier statt der Arbeitnehmer-Grenze vor, auf die Lohnsummenregelung bei Unternehmen mit einem Unternehmenswert bis zu 1 Millionen Euro zu verzichten (Aufgriffsgrenze) – dies entspricht nach dem aktuellen Bewertungsrecht einem Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresertrag von unter 55.000 Euro. Die Aufgriffsgrenze ist sehr niedrig bemessen und es ist zu befürchten, dass nur noch Kleinstunternehmen von der Erleichterung profitieren können. Selbst viele Handwerksbetriebe werden deshalb in Zukunft nachweisen müssen, dass sie über 5 oder 7 Jahre ihre Beschäftigung konstant gehalten haben. Es ist nicht nur der damit verbundene Verwaltungsaufwand, der schreckt. Gerade in kleinen Unternehmen können personelle oder konjunkturelle Veränderungen schnell zu extremen Schwankungen des Personalbestandes führen. Die Abhängigkeit der Betriebsvermögensbegünstigung vom standardmäßigen Nachweis der Erhaltung der Arbeitsplätze kann sich für diese Unternehmen zu einer übermäßigen Hypothek zukünftiger Nachfolgen entwickeln.
 
Einige Kritikpunkte des BVerfG an der bisherigen Betriebsvermögensbegünstigung treffen für die Zukunft alle Unternehmen, seien sie groß oder klein. In Zukunft darf Verwaltungsvermögen nicht mehr – zumindest nicht in dem Ausmaß bis zu 50 Prozent wie bisher – in die Steuerverschonung einbezogen werden. Ebenso muss eindeutig produktives Betriebsvermögen auch dann von der Verschonung profitieren, wenn ansonsten erhebliches Verwaltungsvermögen vorhanden ist – der Alles-oder-Nichts-Effekt des jetzigen Verwaltungsvermögenstests muss fallen.
 
Auch hierzu ist das BMF keinen „minimal-invasiven“ Weg gegangen. Nach dem Eckpunktepapier kommt es stattdessen zum Systemwechsel: statt Ausschluss eindeutig bestimmbarer Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens von der Begünstigung nunmehr der Versuch einer Positivdefinition dessen, was für die Unternehmensfortführung notwendig und daher begünstigtes Betriebsvermögen sein soll. Zum begünstigten Vermögen sollen alle Wirtschaftsgüter eines Unternehmens gehören, die im Erwerbszeitpunkt zu mehr als 50 Prozent (überwiegend) einer land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit (Hauptzweck) dienen. Als nicht begünstigt gelten demnach alle Wirtschaftsgüter, die dem Betrieb nur bis zu 50 Prozent oder die losgelöst vom Betrieb der Vermögensverwaltung dienen. Bei der Bestimmung des Vermögens soll es zu einer konsolidierten Netto-Betrachtung kommen. Denn die betrieblichen Schulden sollen konsolidiert und anteilig dem begünstigten und nicht begünstigten Vermögen zugeordnet werden. Unschädlich soll sein, wenn das Verwaltungsvermögen (= nicht begünstigtes Vermögen) weniger als 10 Prozent des Vermögens beträgt (= Liquiditätsreserve).
 
Es erscheint fraglich, ob das gewählte Kriterium – Nutzung zu über 50 Prozent für eine gewerbliche Tätigkeit – geeignet ist, in der vielfältigen Unternehmenslandschaft das betriebsnotwendige Vermögen eindeutig und ohne Streit mit der Finanzverwaltung zu bestimmen. Eine Vielzahl für Familienunternehmen immens wichtiger Fragen ist ungeklärt, wie z. B. die Behandlung von Sonderbetriebsvermögen, Betriebsaufspaltungen, gewillkürtem Betriebsvermögen, Aufteilung gemischtgenutzter Grundstücke, die Zuordnung von Beteiligungen und vor allem die Behandlung „neutraler” Wirtschaftsgüter wie insbesondere Finanzmitteln.

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Dr. Hans Weggenmann

Diplom-Kaufmann, Steuerberater

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