Urteil des EuGH im Rettungsdienstrecht – Vergabe von Rettungsdienstleistungen an gemeinnützige Hilfsorganisationen auch ohne europaweite Ausschreibung möglich

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veröffentlicht am 28. März 2019

Autoren: Norman Lenger, Holger Schröder und Jana Wollmann

 

In einem Verfahren über die Vergabe von Rettungsdienstleistungen rief das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Vorabentscheidungsersuchen den EuGH an. Es soll geklärt werden, ob und wenn ja, welche Rettungsdienstleistungen vergabepflichtig sind. Denn nach Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU2 besteht eine Bereichsausnahme für öffentliche Aufträge, die bestimmte von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbrachte Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr zum Gegenstand haben. Am 21. März 2019 hat der EuGH entschieden.

 

I. Sachverhalt

Zwei private Rettungs- und Krankendienstunternehmen, rügten 2016 bei der Vergabekammer Rheinland, die Vergabepraxis der Stadt Solingen. Ihr wird vorgeworfen, dass die Auftragsvergabe von Rettungsdienstleistungen in einem unionsrechtskonformen öffentlichen Verfahren hätte erfolgen müssen. Die in diesem Verfahren aufgeworfenen Fragestellungen liegen nun dem EuGH vor: Dieser soll klären unter welchen Voraussetzungen Rettungsdienstleistungen vergabepflichtig sind. Denn nach Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU2 besteht eine Bereichsausnahme für öffentliche Aufträge, die bestimmte von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbrachte Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr zum Gegenstand haben.

 

II. Entscheidung des EuGH vom 21. März 2019

 

1. Bereichsausnahme des Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24

Einleitend und in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht (OLG Düsseldorf) hat der EuGH entschieden, dass es sich bei der Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter sowie beim qualifizierten Krankentransport, also Transport von Patienten in einem Krankenwagen, der mit ordnungsgemäß in erster Hilfe geschultem Personal besetzt ist, um Gefahrenabwehr handelt, die von Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 umfasst ist. Weder handelt es sich um „Dienstleistungen des Katastrophenschutzes” noch um „Dienstleistungen des Zivilschutzes”.


Darüber hinaus falle die Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten, die außerdem in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter geleistet werde, unter den CPV-Code 75252000-7 (Rettungsdienste).


Der qualifizierte Krankentransport falle dann unter den CPV-Code 85143000-3 „Einsatz von Krankenwagen” gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24, wenn

1. der Transport im Krankenwagen zum einen tatsächlich von ordnungsgemäß in erster Hilfe geschultem Personal durchgeführt wird und


2. zum anderen einen Patienten betrifft, bei dem das – objektiv zu beurteilende –  Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert.


Daraus folgt, dass die Nichtanwendbarkeit der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie untrennbar mit dem Vorhandensein eines Notfalldienstes verknüpft ist. Da der Krankentransport in Deutschland ohnehin dadurch gekennzeichnet ist, dass erst aufgrund des Gesundheitszustands des Patienten, bei dem jederzeit ein Notfall eintreten könnte, ein Krankenwagen zum Einsatz kommt, hat die Verknüpfung aus unserer Sicht lediglich eine klarstellende Bedeutung, insbesondere in Bezug auf die Abgrenzung zum „einfachen” Krankentransport. Dieser liegt im Umkehrschluss nur dann vor, wenn gerade kein Notfallrisiko für den transportierten Patienten besteht, wie dies z. B. der Fall bei Patienten ist, die in ein Krankenhaus gefahren werden, um sich z.B. einer routinemäßigen Dialyse, mehr oder weniger regelmäßigen Untersuchungen, Diagnoseverfahren, klinischen Analysen oder sonstigen medizinischen Kontrollen zu unterziehen.

 

2. Gemeinnützigkeitsbegriff geklärt – Vorlegende Gericht hat eigenen Auslegungsspielraum !

Ferner hat sich der EuGH dazu geäußert, wann eine „Gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen” im Sinne des Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 vorliegt.


Gemeinnützig sind danach solche Organisationen und Vereinigungen, deren Ziel in der Erfüllung sozialer Aufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und etwaige Gewinne reinvestieren, um ihr Ziel zu erreichen. Insoweit stellt der EuGH klar, dass maßgeblich für die Gemeinnützigkeit die fehlende Gewinnerzielungsabsicht im Sinne einer selbstlosen Förderung der Allgemeinheit. Die Definition entspricht in wesentlichen Teilen unserem deutschen Steuerrecht (§ 52 Abgabenordung).
Ob § 107 Abs. 1 Nr. 4, 2.Halbsatz GWB in Verbindung mit § 52 der Abgabenordnung, der für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nicht die fehlende Gewinnerzielungsabsicht, sondern in erster Linie die Selbstlosigkeit der Unternehmung verlangt, im Einklang mit den Erfordernissen von Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 ausgelegt werden kann, hat der EuGH selbst nicht entschieden. Vielmehr lässt er dem OLG Düsseldorf als vorlegendes Gericht die Möglichkeit offen, diese Frage unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils zu beantworten.


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