Handelsregisterpublizität und Rechtsschein des abberufenen Geschäftsführers

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​​veröffentlicht am 8. Mai 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten

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Ein rechtmäßig durch die Gesellschafterversammlung abberufener Geschäftsführer, dessen Vertretungsmacht noch nicht im Handelsregister gelöscht wurde, war nicht mehr befugt, die Gesellschaft bei einem Immobilienverkauf zu vertreten, wie der BGH im Urteil vom 9. Januar 2024 (II ZR 220/22) festgestellt hat. Der Gutglaubensschutz des Handelsregisters kann laut BGH nur durch positive Kenntnis überwunden werden oder wenn sich ein Missbrauch der Vertretungsmacht aufdrängt.


Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde

Die klagende GmbH ist eine Immobilien-Projektentwicklerin. Einziger wesentlicher Vermögensgegenstand der Klägerin ist ein 2015 erworbenes bebautes Grundstück in Berlin (Verkehrswert ca. 16 Millionen Euro). 

An der GmbH sind zwei Gesellschafter beteiligt. Im Rahmen einer Gesellschafterversammlung wird ein Geschäftsführer mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters abberufen. Die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung ist zwischen den beiden Gesellschaftern strittig.

Zwei Tage nach der Beschlussfassung, verkauft der von der Abberufung betroffene Geschäftsführer namens und für die GmbH das Grundstück für 12,2 Millionen Euro an den beklagten Käufer. Der Beklagte hatte Kenntnis von dem Abberufungsbeschluss und war zudem über die Differenzen der Gesellschafter in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Abberufung informiert.

Der Beklagte berief sich im Rahmen des Rechtsstreits auf den Gutglaubensschutz des Handelsregisters gemäß § 15 Absatz 1 HGB, wonach, solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden kann, es sei denn, dass sie diesem bekannt war.

Der BGH urteilte zu Gunsten des Beklagten, dass der Gutglaubensschutz des Handelsregisters nur durch positive Kenntnis überwunden werden kann oder wenn sich ein Missbrauch der Vertretungsmacht aufdrängt.

Erwägungen des BGH

Ausgangspunkt: Rechtsschein der Registereintragungen

Der BGH geht in seiner Entscheidung von der Rechtmäßigkeit der Abberufung des Geschäftsführers aus, so dass im Zeitpunkt der Beurkundung in der Person des Geschäftsführers keine Vertretungsmacht mehr bestand. 

Der BGH folgert, dass die Vertretung in diesem Fall nur über den Rechtsschein des § 15 Absatz 1 HGB wirksam erfolgen konnte. 

Im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB ergibt sich der Rechtsschein aus der Nichteintragung und/oder Nichtbekanntmachung einer in das Handelsregister einzutragenden Tatsache. Die Abberufung eines Geschäftsführers gemäß § 39 Absatz 1 Fall 2 GmbHG stellt eine solche einzutragende Tatsache dar. Zum Zeitpunkt der Beurkundung war die Abberufung des handelnden Geschäftsführers noch nicht im zuständigen Handelsregister eingetragen, so dass die GmbH das Handeln des Geschäftsführers grundsätzlich gegen sich geltend lassen muss.

Keine Berufung auf den Rechtsschein bei positiver Kenntnis

Der Rechtsscheinschutz des § 15 Absatz 1 HGB gilt hingegen nicht bei positiver Kenntnis. Unter positiver Kenntnis wird grundsätzlich das zweifelsfreie, wirkliche Kennen von Umständen verstanden. Positive Kenntnis liegt nicht bereits beim Kennenmüssen oder bei grob fahrlässiger Unkenntnis vor.

Vorliegend stellt der BGH bei der positiven Kenntnis auf die Umstände des Einzelfalles ab. Legen die konkreten Umstände nahe, dass der Dritte von den jeweiligen Gegebenheiten weiß, aus denen sich zwingend die Kenntnis über die Unrichtigkeit der eingetragenen Tatsache ergibt, ist von positiver Kenntnis auszugehen. Die dahin gehende Beweislast trägt der Eintragungspflichtige. 

Der Umstand, dass der Beklagte Kenntnisse über Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten über die Wirksamkeit der Abberufung zwischen den Gesellschaftern hatte, ist laut BGH geeignet, eine positive Kenntnis abzulehnen, da damit Zweifel an der einzutragenden Tatsache entstehen und für den Rechtsverkehr nicht gesichert feststeht, ob es zu einer ordnungsgemäßen Abberufung des Geschäftsführers gekommen ist oder nicht. Werden mit der Kenntnis über die Abberufung gleichzeitig Umstände bekannt, die die Wirksamkeit und den Bestand der Abberufung des Geschäftsführers zweifelhaft erscheinen lassen, liegt laut BGH somit gerade keine positive Kenntnis vor. Damit kann sich der Beklagte grundsätzlich auf den Rechtsschein des § 15 Abs. 1 HGB berufen.

Missbrauch der Vertretungsmacht

Laut BGH gelten die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Absatz 1 HGB. Mangels Regelung im Gesellschaftsvertrag ist der Geschäftsführer gemäß § 49 Absatz 2 GmbHG verpflichtet, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zum Verkauf des Grundstücks als einzigem wesentlichen Vermögensgegenstand der GmbH einzuholen.

Bei besonders bedeutenden Geschäften ist ein Dritter als Vertragspartner zwar auch unterhalb der Schwelle des kollusiven Zusammenwirkens grundsätzlich nicht schutzwürdig, wenn es sich ihm den Umständen nach aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer ohne Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung seine Vertretungsmacht überschreitet -  was entsprechend der Rechtsprechung des BGH häufig angenommen werden könne, wenn das gesamte Unternehmen in einem Gesamtvermögensgeschäft als solches übertragen werden soll - und er zugleich weiß oder es sich ihm ebenfalls aufdrängen muss, dass ein zustimmender Beschluss nicht vorliegt.

Liegt jedoch ein Rechtsirrtum über das Beschlusserfordernis im Sinne der Notwendigkeit einer Rückversicherung bei den Gesellschaftern bei dem Dritten vor, so kann er trotz positiver Kenntnis vom Fehlen des Beschlusses dennoch schutzbedürftig sein, sofern sich ihm die Notwendigkeit eines zustimmenden Beschlusses nicht aufdrängen musste. 

Im vorliegenden Urteil wurde nach Ansicht des BGH die tatrichterliche Frage, ob sich der beklagte Käufer auf einen Hinweis des beurkundenden Notars bezüglich der Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses habe verlassen können, nicht ausreichend aufgeklärt, so dass das Berufungsurteil durch den BGH aufgehoben und an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung zurückverwiesen wurde. 

Fazit​

Der BGH hat sich hier mit praxisrelevanten Fragen des Rechtsscheins und des Missbrauchs der Vertretungsmacht eines abberufenen Geschäftsführers auseinandergesetzt. 

Angesichts der hohen Anforderungen an die Überwindung des Rechtsscheins kann bei der Abberufung von Geschäftsführern nur angeraten werden, dass nach dem Abberufungsbeschluss schnellstens die Eintragung  des Erlöschens der Geschäftsführungsbefugnis zum Handelsregister erfolgt.

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Claudia Geercken

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