Was Sie beim Personalrecht für wahr halten, beruht auf Hörensagen? Fakten zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Gesundheitswesen

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veröffentlicht am 18. September 2019 | Lesedauer ca. 5 Minuten; Autoren: Norman Lenger-Bauchowitz, Lorenz Bonkhoff
Das Thema Sozialversicherungspflicht von Beschäftigten rückt immer stärker in den Fokus der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Vor allem, weil gerade die Mitarbeiter die wesentlichen Erfolgsfaktoren dafür sind, dass neue und alternative Beschäftigungsmodelle überhaupt funktionieren können. „Neu” und „alternativ” – zwei gesellschaftlich anerkannte und vor allem gewünschte Attribute, wenn es darum geht, Mitarbeiterbindung und Zufriedenheit im Arbeitsleben zu fördern und Beschäftigungsmodelle auf ein neues Level zu heben.

 

Fakt 1

Die Rechtsprechung sorgt für einen deutlichen Klimawandel

Das Bundessozialgericht (BSG) hat jüngst entschieden, dass Honorarärzte, die in einem Krankenhaus tätig sind, z.B. regelmäßig nicht als Selbstständige, sondern als abhängig Beschäftigte nach § 7 SGB IV anzusehen sind. Das BSG hat sich in einer jüngst ergangenen Entscheidung (B 12 R 11/18 R) zur Abgrenzung von selbstständiger und unselbstständiger Arbeit nach § 7 Abs. 1 SGB IV geäußert. Streitgegenständlich war vorliegend die statusrechtliche Beurteilung einer als Honorarärztin im Krankenhaus tätigen Anästhesistin.

 

Hier wurde die abhängige Beschäftigung bejaht bzw. die Selbstständigkeit verneint. Die wesentlichen Kernpunkte für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung waren die Einbindung in die Ablauforganisation des Krankenhauses und die fehlende eigene unternehmerische Entscheidungsmöglichkeit.

 

Einbindung in die Ablauforganisation

Anästhesisten – wie die Ärztin im Leitfall – seien bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Das gilt auch für die Tätigkeit als Stationsarzt, die regelmäßig voraussetze, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Im Leitfall sei die Ärztin wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und überwiegend im OP tätig gewesen.

 

Kein unternehmerischer Freiraum

Ferner sei kein (ausreichender) unternehmerischer Freiraum gegeben. Denn bei Honorarärzten sei die Honorarhöhe im Rahmen der honorarärztlichen Tätigkeit nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien, war vorliegend aber nicht ausschlaggebend. Dem unternehmerischen Freiraum kam in der Gesamtbetrachtung daher nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

 

Ressourcennutzung des „Auftraggebers”

Ferner muss berücksichtigt werden, so das BSG, dass Honorarärzte im Rahmen der Tätigkeit ganz überwiegend sowohl personelle als auch sachliche Ressourcen des Krankenhauses – und eben nicht ihre eigenen – nutzen. In der Gesamtbetrachtung sei die Ärztin daher nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Ärzte voll in den Betriebsablauf eingegliedert gewesen. Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben.

 

Heilkunde als Dienst „Höherer Art” oder „Fachkräftemangel” irrelevant

Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen oder aber die Einordnung der Heilkundetätigkeit als
Dienst höherer Art hatte interessanterweise überhaupt keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens der Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, nur um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete” und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen. Entscheidend ist damit allein, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert seien.


Die Entscheidung zeigt deutlich, dass die Problematik der Beurteilung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nicht bei den Krankenhäusern haltmacht.


Im Gegenteil: Viel gravierender stellt sich die Problematik im Bereich der Pflegewirtschaft dar, zumal hier immer mehr alternative Versorgungsformen wie z.B. Pflege zu Hause in den eigenen vier Wänden durch Angehörige und/oder durch einen Pflegedienst, eine Kombination aus Tages- oder Kurzzeitpflege, eine vollstationäre Pflege oder Wohngruppen mit angeschlossenem Pflegedienst in Betracht kommen.

 

Fakt 2

Der Gesetzgeber setzt weitere Massstäbe mit seiner „Finanzpolizei”

Auch der Gesetzgeber ist sehr rührig, was die Bekämpfung von Sozialversicherungsbetrug angeht – denn nichts anderes ist die Scheinselbstständigkeit unter Umständen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll nun die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) als Teil der Bundeszollverwaltung künftig (noch) stärkere Möglichkeiten haben, illegale Beschäftigung, Sozialleistungsmissbrauch und Schwarzarbeit zu bekämpfen. Im Koalitionsvertrag vom 16. Dezember 2013 war seinerzeit vereinbart worden, die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Denn auch die Sozialversicherung habe gravierende Beitragsausfälle zu verzeichnen.


Der Regierungsentwurf sah daher in Artikel 1 Änderungen des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (Schwarz-ArbG), in Artikel 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), in Artikel 3 der Strafprozessordnung (StPO) und in Artikel 4 Änderungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie in Artikel 5 Änderungen des SGB II vor. Das Gesetzesvorhaben soll des Weiteren Änderungen des SGB III und IV (Artikel 6, Artikel 7) sowie des Altersteilzeitgesetzes (AltTZG, Artikel 8) und des Einkommensteuergesetzes (EStG, siehe Artikel 9) nach sich ziehen. Hinzu kommen noch Anpassungen der Abgabenordnung (AO), des Telemediengesetzes (TMG), des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sowie des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), des Mindestlohngesetzes (MiLoG) und des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG).


Das Gesetzesvorhaben wurde am 6. Juni 2019 verabschiedet. Die geplanten Änderungen kommen, das Gesetz ist im Vergleich zum Regierungsentwurf weitgehend unverändert geblieben. Einige Anpassungen ergaben sich nach Verweisung an die Ausschüsse.

 

 

Wer vorausschaut hat selten das Nachsehen! HCHR-Compliance in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft

Gerade für Krankenhäuser und Pflegeheime schaffen die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Sozialversicherung zumindest Rechtssicherheit, setzen diese aber auch in Zugzwang. Gerade nach der Entscheidung des BSG wird man z.B. kaum noch einen Anwendungsbereich für die selbstständige Tätigkeit eines Mitarbeiters im Krankenhaus finden. Anders kann das schon im Pflegeheim aussehen. Neue und alternative Gestaltungsmöglichkeiten sollten und müssen hier in Betracht gezogen werden. Eine kurzzeitige Beschäftigung oder eine Arbeitnehmerüberlassung kann hier eventuell ein brauchbares Modell sein. Welche Konstellation für die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen interessengerecht ist, wird vom Einzelfall und der Gesamtstrategie des jeweiligen Hauses abhängen.


In einem ersten Schritt (Kurzfriststrategie) macht es daher jedenfalls Sinn, die aktuellen Gestaltungsvarianten auf mögliche negative Konsequenzen einer fehlerhaften sozialversicherungsrechtlichen Einordnung zu prüfen. Denn eins ist klar: Sollte es aufgrund von Fehleinschätzungen zu erheblichen Nachforderungen seitens der Deutschen Rentenversicherung und des Finanzamts kommen, so können sich diese je nach Umfang der Einsatzzeiten der Mitarbeiter auch erheblich betriebswirtschaftlich auswirken. Was dann – ggf. auch rückwirkend – in der Rechnungslegung in Form von Rückstellungen bzw. Verbindlichkeiten zu berücksichtigen ist.


In einem zweiten Schritt (Mittel- und Langfriststrategie) sollte weitergedacht werden: Die Vorteile einer proaktiven Auseinandersetzung mit dem Thema sozialversicherungspflichtige Beschäftigung liegen nämlich
auf der Hand. Zum einen geht es natürlich um die Vermeidung von Haftungsrisiken für das eigene Unternehmen, die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter. Zum anderen geht es aber um die noch wichtigeren Aspekte der Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit. Insoweit bietet sich die Einrichtung einer effizienten HCHR-Compliance für Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft an. HCHR-Compliance bezeichnet dabei eine ganzheitliche und nachhaltige, an den Anforderungen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft orientierte arbeits- und sozialrechtliche Compliance-Struktur (HealthCareHumanResources-Compliance). Im Fokus steht dabei nicht nur die abstrakte Beurteilung von Rechtsnormen, sondern auch das Hinterfragen typischer praktischer Prozesse im jeweiligen Unternehmen. Das Vorliegen eines entsprechenden Systems kann nicht nur bei einer Verteidigung gegen eine Unternehmensgeldbuße oder Schadensersatzansprüche enorm hilfreich sein. Ein solches System ist ebenfalls geeignet, die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber zu steigern und somit dem Fachkräftemangel vorzubeugen.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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