Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses

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Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 1. März 2012 hat die Eigenverwaltung sprunghaft an Popularität gewonnen und wird seither in einer Vielzahl von Verfahren angestrebt. Neben dem Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ist die Bildung eines Gläubigerausschusses der häufigste Weg zur Eigenverwaltung. Seit Inkrafttreten des ESUG stieg damit auch die Zahl der Gläubigerausschüsse. Somit gewinnt die Frage nach den Pflichten als Mitglied im Gläubigerausschuss und damit die Frage nach der Haftung zunehmend an Bedeutung. Der nachfolgende Beitrag soll daher einen Überblick über die Haftungsrisiken bieten. Vorab sollen jedoch die unterschiedlichen Arten von Gläubigerausschüssen betrachtet werden.
 
Die Insolvenzordnung kennt drei Arten von Gläubigerausschüssen, die einander zeitlich nachfolgen. An letzter Stelle folgt dabei der endgültige Gläubigerausschuss im eröffneten Insolvenzverfahren. Der endgültige Gläubigerausschuss wird im eröffneten Verfahren von der Gläubigerversammlung beschlossen (§ 68 Abs. 1 InsO). Bereits vor der Gläubigerversammlung kann das Insolvenzgericht im eröffneten Insolvenzverfahren einen Gläubigerausschuss einsetzen (eingesetzter Gläubigerausschuss nach § 67 Abs. 1 InsO). Mit dem ESUG wurde zudem der vorläufige Gläubigerausschuss eingeführt (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO), den das Insolvenzgericht bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte einsetzen muss (§ 22a Abs. 1 InsO) oder auf Antrag einsetzen kann (§ 22a Abs. 2 InsO).
 
Zudem hat sich der sogenannte präsumtive Gläubigerausschuss eingebürgert. Dieser ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich geregelt. Der präsumtive oder auch vorvorläufige Gläubigerausschuss wird bereits vor dem Insolvenzantrag geschaffen. Er soll durch sein Votum sofort Einfluss auf die erste Entscheidung des Insolvenzgerichtes nehmen. Er soll mithin die Entscheidungen beeinflussen, die das Insolvenzgericht noch vor Einsetzung eines Gläubigerausschusses trifft.
 
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haften nach § 71 InsO wegen der schuldhaften Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten.
 

Anwendungsbereich des § 71 InsO

In der Insolvenzordnung ist nicht ausdrücklich bestimmt, ob die in § 69 InsO bestimmten Pflichten und die in § 71 InsO bestimmte Haftung auch im Fall der Eigenverwaltung Anwendung findet. In § 276 InsO sind allein die Zustimmungserfordernisse für besonders bedeutsame Rechtshandlungen geregelt. Hinzu kommt, dass nach § 270c InsO an die Stelle des Insolvenzverwalters der Sachwalter tritt. Die Überwachung des Sachwalters erscheint in der Eigenverwaltung jedoch nicht zielführend. Schließlich obliegt in der Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO die Verfahrensabwicklung weitgehend dem Schuldner. Der Schuldner wird vom Sachwalter nur überwacht. Eine Überwachung lediglich des überwachenden Sachwalters erscheint ineffektiv.
 
Vor diesem Hintergrund muss § 276 InsO dahingehend verstanden werden, dass auch die in § 69 InsO bestimmten Pflichten und die in § 71 InsO bestimmte Haftung im Fall der Eigenverwaltung Anwendung finden. Entsprechend dem Sinn und Zweck dieser Regelung hat der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung sowohl den Sachwalter als auch den Schuldner zu unterstützen und zu überwachen.
 
In der Eigenverwaltung wie auch im Regelinsolvenzverfahren gelten die §§ 69 und 71 InsO für den endgültig bestellten und eingesetzten Gläubigerausschuss. Ebenso gelten sie gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO für den vorläufigen Gläubigerausschuss. Für den präsumtiven Gläubigerausschuss, der außerhalb der Insolvenzordnung als letztlich bloß informelles Gremium stattfindet, gelten die §§ 69 und 71 InsO indes nicht.
 

Haftungsvoraussetzungen

Bestellung zum Mitglied

Haftungsvoraussetzung ist zunächst die wirksame Bestellung zum Mitglied des Gläubigerausschusses, wobei der gerichtliche Einsetzungsbeschluss allein nicht genügt. Erforderlich ist zudem die Annahme des Amtes, was jedoch auch durch die tatsächliche Aufnahme der Tätigkeit erfolgen kann. Die mit der Annahme des Amtes beginnende Haftung endet mit der Beendigung des Amtes. Das Amt im vorläufigen Gläubigerausschuss endet mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Amt im eingesetzten Gläubigerausschuss endet mit dem Verzicht der Gläubigerversammlung auf einen Ausschuss. Das Amt im endgültigen Gläubigerausschuss endet mit der Entlassung des Mitglieds bzw. mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass eine Entlassung des Mitglieds aus dem Gläubigerausschuss nur bei wichtigem Grund zulässig ist. Auch das Mitglied selbst kann sein Amt nur aus wichtigem Grund niederlegen.
 

Pflichtverletzung

Erforderlich für die Haftung ist zudem, dass das Mitglied eine insolvenzspezifische Pflicht verletzt. Erfasst werden dabei nicht nur die in § 69 InsO bestimmten Pflichten, sondern alle in der Insolvenzordnung bestimmten Pflichten des Gläubigerausschusses. Der Pflichtenkreis ist nicht dispositiv und kann selbst von der Gläubigerversammlung nicht eingeschränkt werden.
 
Wenn die Mitglieder des Gläubigerausschusses ihre Pflichten verletzen, geschieht dies zumeist durch eine Vernachlässigung der Überwachungs- und Kontrollpflichten. Nach § 69 InsO hat der Gläubigerausschuss den Insolvenzverwalter nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu überwachen. Im Fall der Eigenverwaltung besteht diese Überwachungspflicht ebenso, und zwar als Pflicht zur Überwachung der Schuldnerin und des Sachwalters.
 
Der Gläubigerausschuss ist verpflichtet, nicht nur nachträglich, sondern auch begleitend und vorausschauend zu überwachen und zu kontrollieren. Dabei hat der Gläubigerausschuss nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Art und Umfang der Überwachungspflicht sind in der Insolvenzordnung nicht konkretisiert. Gesondert hervorgehoben sind jedoch in § 69 Satz 2 InsO die Pflichten, sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen.
 
Die Pflicht, sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten, konkretisiert sich gerade im Fall der Eigenverwaltung bei der Überwachung der Betriebsfortführung. Zwar ist der Gläubigerausschuss im Fall der Betriebsfortführung nicht verpflichtet (und auch nicht berechtigt), sich um jede einzelne Maßnahme des Tagesgeschäfts zu kümmern, jedoch hat er sich regelmäßig zu informieren. Dies umfasst zum einen das Einholen von Informationen über den Stand der Betriebsfortführung, z.B. durch Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen oder Prüfung von Kennzahlen, die insbesondere Auskunft über den Bestand der Insolvenzmasse geben. Zum anderen hat sich der Gläubigerausschuss über den Fortgang der Betriebsfortführung zu unterrichten, z.B. durch die Kontrolle entsprechender Planungsrechnungen. Dies gilt vor allem, wenn der Gläubigerausschuss Entscheidungen über die Weiterführung des Schuldnerunternehmens trifft.
 
Von besonderer Bedeutung gerade im Fall der Eigenverwaltung ist die Pflicht zur turnusmäßigen Prüfung des Geldverkehrs und -bestandes. Schon der Wortlaut des Gesetzes stellt klar, dass diese vielfach mit „Kassenprüfung” umschriebene Pflicht nicht nur die Prüfung der Barbestände umfasst. Vielmehr sind sämtliche Konten und Belege des Schuldners zu prüfen. Dies umfasst auch hinterlegte Wertpapiere und Kostbarkeiten sowie angelegtes Geld und Anderkonten. Dabei sind die Konten und Belege vollständig zu prüfen. Eine stichprobenartige Überprüfung genügt nicht. Bestimmte Prüfungszyklen bestimmt das Gesetz hingegen nicht. Diese kann der Gläubigerausschuss selbst unter Beachtung der Zahl und des Umfangs der Kontobewegungen festlegen. Jedoch handelt der Gläubigerausschuss pflichtwidrig, wenn die Zeitabstände zu lang bemessen sind. Nach der bisherigen Rechtsprechung erscheinen aber Prüfungszyklen von drei bis sechs Monaten je nach Stand der Verfahrensabwicklung angemessen, wobei gerade zu Beginn des Verfahrens ein deutlich kürzerer Zyklus angebracht sein kann.
 
Der Gläubigerausschuss kann die Pflicht zur Kassenprüfung delegieren. Die Einschaltung eines Dritten ändert jedoch nichts an der Überwachungspflicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Diese können sich nicht durch die Beauftragung eines sachkundigen Dritten entlasten, wenn dieser bei der Kassenprüfung nicht die erforderliche Sorgfalt einhält. Die Ausschussmitglieder haften für ein etwaiges Auswahlverschulden und haben zudem den Dritten bei seiner Prüfung zu überwachen. Sie müssen sich von der Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt und letztlich auch von der Richtigkeit des Prüfungsergebnisses überzeugen.
 
Neben der Vernachlässigung der Überwachungs- und Kontrollpflicht handeln die Mitglieder des Gläubigerausschusses pflichtwidrig, wenn sie ihre Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflicht verletzen, indem sie z.B. Bezugsquellen, Geschäftsbeziehungen, Patente, Verfahren zur Fertigung bestimmter Produkte oder in der Entwicklung begriffene Neuheiten preisgeben. Auch ist jedes Mitglied zur Neutralität verpflichtet und verstößt gegen diese Neutralitätspflicht, wenn es z.B. die im Gläubigerausschuss erfahrenen Interna für eigene Zwecke ausnutzt oder wenn es im Gläubigerausschuss in eigener Sache abstimmt bzw. eine Interessenkollision nicht anzeigt.
 
Jede Pflichtverletzung kann sowohl durch Handeln als auch durch Unterlassen erfolgen.
 

Verschulden

Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haften bereits bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung. Es gilt der Sorgfaltsmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds, wobei die persönlichen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen entscheidend sind.
 
Daher gilt für ein kundiges Mitglied oder einen Spezialisten (z.B. für einen Rechtsanwalt oder einen regelmäßigen Vertreter eines institutionellen Gläubigers) ein anderer Verschuldensmaßstab als für jemanden mit Durchschnittskenntnissen (z.B. einen Arbeitnehmervertreter). Allerdings kann sich das Ausschussmitglied nicht damit entschuldigen, es habe seine Pflichten nicht gekannt. Schon die Annahme des Amtes impliziert die Erklärung, das Ausschussmitglied habe die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Nimmt das Ausschussmitglied ohne die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten das Amt an, liegt bereits in der Annahme des Amtes das Verschulden.
 
Der Haftungsmaßstab kann nicht von der Gläubigerversammlung eingeschränkt werden. Ebenso kann die Gläubigerversammlung Ausschussmitglieder nicht entschuldigen. Auch Krankheit oder berufliche Belastungen entschuldigen das Ausschussmitglied grundsätzlich nicht. Das Ausschussmitglied handelt bereits schuldhaft, wenn es den Ausschuss nicht über eine längere Verhinderung informiert und dafür sorgt, dass ein anderes Mitglied seine Pflichten übernimmt.
 
Fraglich ist der Haftungsmaßstab bei wirtschaftlichen Fehlentscheidungen. Nach verbreiteter Auffassung soll entsprechend § 93 Abs. 1 AktG das Mitglied des Gläubigerausschusses haften, wenn es nicht vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (Business Judgement Rule).
 

Schaden

Nach § 71 InsO haften die Mitglieder des Gläubigerausschusses nur für Schäden der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger. Schäden der Massegläubiger und der Aussonderungsberechtigten sind von der Haftung nach § 71 InsO ausgenommen.
 
Die Haftung ist zudem auf das negative Interesse begrenzt. Der Ersatz möglicher Gewinne, die bei pflichtgemäßem Verhalten des Mitglieds entstanden wären, kann nicht verlangt werden.
 

Kausalität

Erforderlich für eine Haftung ist zudem, dass das pflichtwidrige Verhalten des Ausschussmitglieds für den Schaden kausal war. Dieser ursächliche Zusammenhang wird bei der Verletzung der Kontroll- und Aufsichtspflichten zugunsten des klagenden Insolvenzverwalters, Insolvenzgläubigers oder Absonderungsberechtigten vermutet (Anscheinsbeweis). So spricht der erste Anschein dafür, dass die Schädigung der Masse auf einer unzureichenden Kontrolle durch den Gläubigerausschuss beruht, wenn der Insolvenzverwalter erhebliche Geldbeträge unterschlägt. Wird z.B. die Kassenprüfung wegen ungeordneter und unvollständiger Unterlagen abgebrochen und nicht zeitnah wieder aufgenommen, so spricht der erste Anschein dafür, dass diese Pflichtverletzung ursächlich für die weiteren Untreuebuchungen des Insolvenzverwalters war. Der Insolvenzverwalter hätte es nicht weiterhin gewagt, die anvertrauten Gelder zu veruntreuen, wenn er von Beginn an einer konsequenten Kontrolle unterlegen gewesen wäre. Allerdings greift der Beweis des ersten Anscheins nicht bei kriminellem Verhalten des Insolvenzverwalters oder Schuldners. In diesem Fall kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass bei ordnungsgemäßer Kontrolle das kriminelle Verhalten ausgeblieben wäre. Auch umfassende Kontrolle schützt nicht gegen vorsätzlich strafbare Handlungen.
 
Soweit die Pflichtverletzung im kollektiven Verhalten des Gläubigerausschusses als Gremium liegt und das einzelne Mitglied allein durch Stimmabgabe handelt, ist zudem eine Kausalität zwischen Schaden und masseschädigendem Abstimmungsverhalten erforderlich. Folglich kann sich das einzelne Mitglied des Gläubigerausschusses mit dem Nachweis exkulpieren, dass es bei dem pflichtwidrigen Beschluss nicht mitgewirkt oder dagegengestimmt hat.
 

Durchsetzung der Haftung

Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses wird gemäß § 92 InsO vom Insolvenzverwalter oder ggf. von einem Sonderinsolvenzverwalter geltend gemacht, wenn aus der Pflichtverletzung ein Gesamtschaden entstanden ist, mithin ein Schaden, den die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens erlitten haben. Einen etwaigen Individualschaden, den z.B. ein absonderungsberechtigter Gläubiger durch den Verlust seiner Sicherheit erlitten hat, kann der jeweils betroffene Gläubiger geltend machen. Der Anspruch richtet sich dabei gegen das einzelne Mitglied des Gläubigerausschusses, da der Gläubigerausschuss als Gremium nicht teilrechtsfähig ist. Jedoch haften die einzelnen Mitglieder als Gesamtschuldner, wenn die Pflichtverletzung vom Gläubigerausschuss als Gremium begangen wurde.

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Raik Müller

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