Neues vom EuGH zur Unabhängigkeit der deutschen Regulierungsbehörden

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Nach einem aktuellen Urteil des EuGH sind die deutschen Staatsanwaltschaften aufgrund eines gesetzlichen Weisungsrechts nicht ausreichend unabhängig, sodass die von diesen ausgestellten europäischen Haftbefehle deshalb unwirksam sind. Zwar ist das zur Zeit noch beim EuGH anhängige Verfahren zur fehlenden Unabhängigkeit der deutschen Energieregulierungsbehörden anders gelagert. Gleichwohl könnte auch die Frage der Weisungsunabhängigkeit dort aufgegriffen werden und zur formalen Unwirksamkeit sämtlicher Regulierungsentscheidungen führen.

 

Europarecht fordert hohes Unabhängigkeitsniveau von Justizbehörden


Die deutschen Staatsanwaltschaften bieten keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive, um zur Ausstellung eines europäischen Haftbefehls befugt zu sein. Das hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in einem aktuellen Urteil (Urt. v. 27.05.2019, Az. C-508/18) festgestellt.


In Deutschland ist die Staatsanwaltschaft als Behörde mit der Ausstellung des europäischen Haftbefehls betraut, der dann in allen EU-Mitgliedstaaten vollstreckt werden muss. Dabei ist nach deutschen Strafprozessrecht Voraussetzung, dass der europäische Haftbefehl auf einem nationalen Haftbefehl beruht, der zuvor von einem Richter oder einem Gericht erlassen wurde. Insofern war die Bundesregierung davon ausgegangen, dass keinerlei strukturelle Gefahr drohe, dass die Entscheidung durch Weisungen oder Anordnungen der Exekutive beeinflusst werden könne.


Ansatzpunkt für die diese Auffassung zurückweisende Entscheidung des EuGH ist jedoch eine Formulierung in Art. 6 Abs. 1 des entsprechenden EU-Rahmenbeschlusses zum europäischen Haftbefehl (2002/584/JI), nach welcher der Haftbefehl nur von einer "Justizbehörde" in einem Mitgliedstaat ausgestellt werden darf. Der Begriff „Justizbehörde“ impliziert nach Auffassung des EuGH, dass diese unabhängig von politischen Einflüssen der Exekutive arbeiten können muss. Dabei stand nach Auffassung des EuGH die in § 147 GVG festgelegte Aufsicht und Leitung der deutschen Staatsanwaltschaften durch das Bundesministerium der Justiz und durch die deutschen Landesjustizverwaltungen, die mit einem Weisungsrecht der Aufsichtsbehörden nach § 146 GVG durchgesetzt werden kann, den europarechtlichen Grundsätzen eines hohen Unabhängigkeitsniveaus durch eine strikte Trennung von Exekutive (Landesjustizministerium und Landesregierung) und Judikative (Staatsanwaltschaft/Strafgerichte) entgegen. Für die Staatsanwaltschaften in Deutschland sei nicht gesetzlich ausgeschlossen, dass im Einzelfall doch eine Weisung eines Bundes- oder Landesjustizministers Einfluss auf ihre Arbeit nehmen könnte, so die Richter in Luxemburg.

 

Einflussnahme auf Energieregulierung durch Verordnungen ?


Insofern stellt sich die Frage, wie sich das aktuelle Urteil auf das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesregierung wegen der fehlenden Unabhängigkeit der deutschen Regulierungsbehörden auswirkt. Das zur Zeit noch anhängige Vertragsverletzungsverfahren ist allerdings etwas anders gelagert:


Die Kommission hat beim Gerichtshof der EU (EuGH) Klage gegen Deutschland erhoben, um sicherzustellen, dass die nach Art. 35, Art. 37 Abs. 6 der EU-Strom- und der der EU-Gasrichtlinie geforderte Unabhängigkeit bei der Festlegung der Netzentgeltberechnungsmethodik und Netzzugangsbedingungen ordnungsgemäß umgesetzt wird. Deutschland habe nicht dafür gesorgt, dass die Vorschriften zu den Befugnissen und zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur und der Landesnetzagenturen als nationale Regulierungsbehörden in vollem Umfang eingehalten würden. Insbesondere könne die Regulierungsbehörde nicht völlig unabhängig die Tarife und andere Vertragsbedingungen für den Netzzugang und Ausgleichsleistungen festlegen, da viele Elemente für die Festlegung dieser Tarife und Vertragsbedingungen bereits in den detaillierten Vorschriften der Strom- und Gas-Netzentgeltverordnung (StromNEV und GasNEV) und der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) geregelt sind, die von der Bundesregierung erlassen worden sind.


Das bereits im April 2016 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren und seit dem 19.07.2018 beim EuGH anhängige Gerichtsverfahren steht deshalb zur Entscheidung an. Dabei ist noch unklar, inwieweit ein entsprechendes Verfahren des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 26.04.2018 – VI-5 Kart 2/16 (V)) rechtskräftig geworden ist oder ob noch ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen der Revision beim BGH ebenfalls zur Rechtsfrage anhängig ist.

 

Unabhängigkeit von politischem und wirtschaftlichem Einfluss?


Die in den Energiebinnenmarktrichtlinien statuierte Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde dürfte wohl vor allem als Unabhängigkeit von politischem und wirtschaftlichem Einfluss  und erst an zweiter Stelle als Unabhängigkeit von Recht und Gesetz zu verstehen sein (ER 2018, 201, 203 f.). Das Verfahren vor dem EuGH ist deshalb auch noch vor dem Hintergrund der erheblichen Zweifel an der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Landesregulierungsbehörden in Deutschland kritisch:


In einigen Bundesländern (z.B. Baden Württemberg, Hamburg, Berlin, etc.) ist der Staat durch Beteiligungen an Energieversorgungsunternehmen selber Akteur in der Energiewirtschaft und profitiert durch die Querfinanzierung öffentlicher Aufgaben (z.B. ÖPNV, Bäderbetrieb, etc.) aus den Gewinnen der Energieversorgung von diesen Beteiligungen. Gleichzeitig sind die Landesregulierungsbehörden, die neben der Entgeltregulierung auch wettbewerbsaufsichtsrechtliche Aufgaben wahrnehmen (z.B. besondere Missbrauchsverfahren nach § 31 EnWG), für die Regulierung und wettbewerbsrechtliche Kontrolle dieser Unternehmen zuständig. Dieser Missstand wurde schon im Geltungszeitraum der staatlichen Festlegung von Strom- und Gastarifen als eine der Ursachen für Ineffizienzen und überhöhte Lieferentgelte, mithin für ein Versagen des Regulierungskonzepts, verantwortlich gemacht.


Anders als die Beschränkung der Eingriffsbefugnisse des Bundeswirtschaftsministerium für das Bundeskartellamt auf ein allgemeines Weisungsrecht (§ 52 GWB) unterliegt die Bundesnetzagentur der unbeschränkten Aufsicht und Leitung durch das Bundeswirtschaftsministerium, da im EnWG oder Gesetz über die Bundesnetzagentur eine entsprechende Regelung fehlt. Nach § 61 EnWG darf das BMWi sogar allgemeine Weisungen für den Erlass oder die Unterlassung von Verfügungen erteilen. Die Landesregulierungsbehörden sind darüber hinaus sogar überwiegend organisatorisch in die Landesministerien integriert. Im Telekommunikationsrecht wird das entsprechende allgemeine Weisungsrecht nach § 117 TKG seit langem als europarechts- und verfassungswidrig kritisiert. Auch das Verbot gleichzeitiger Tätigkeit für Unternehmen und Regulierungskammer (§ 59 Abs. 3 EnWG) wird kaum zur Überwindung von Unabhängigkeitszweifeln beitragen können, da die in der Praxis vorwiegend übliche Anschlusstätigkeit nicht verboten und diese nicht weniger wettbewerblich problematisch ist. Ähnlich problematisch ist der in den Behördenlaufbahnen häufige personelle Wechsel zwischen Regulierungsbehörde und Aufsichtsbehörde, der zu kaum kontrollierbaren informellen Einflussnahmestrukturen führt.


Auch wenn der Entscheidung des EuGH zu den Unabhängigkeitsanforderungen von Strafjustizbehörden ein anderer Sachzusammenhang und ein anderer rechtlicher Anknüpfungspunkt zugrunde liegt, macht das Urteil für die Frage der Unabhängigkeit von Energieregulierungsbehörden deutlich, dass der EuGH bei Fragen der Unabhängigkeit strenge Anforderungen stellt und nicht davor zurückschreckt, die etablierten Systeme von Vorzeigeländern wie Deutschland einer grundlegenden Umgestaltung zu unterwerfen.


Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die europäische Rechtsprechung noch zu Überraschungen führen kann. Damit stehen alle Entscheidungen der Regulierungsbehörde unter dem Damoklesschwert, europarechtswidrig zu sein. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Wink aus Straßburg aufgreift und mit einer proaktiven Regelung für Rechtssicherheit sorgt.

 

 

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