EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Abschaffung der Hilfsmittelvergabe ein

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veröffentlicht am 10. März 2020 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Durch eine Gesetzesänderung wurde die Ausschreibungsoption in § 127 Abs. 1 SGB V abgeschafft. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Gesetzgeber nach Art. 168 Abs. 7 AEUV nicht dazu verpflichtet sei, Beschaffungsvorgänge wettbewerblich auszugestalten und daher ein sozialrechtliches Beschaffungsverfahren vorsehen könne, das nicht den formellen Vorgaben des Vergaberechts unterliege.

 


Am 25.7.2019 hat die Europäische Kommission beschlossen, ein zusätzliches Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Die Europäische Kommission ist der Auffassung, dass die neue Bestimmung des deutschen Rechts, wonach gesetzliche Krankenkassen verpflichtet sind, ihre Verträge über medizinische Hilfsmittel mit interessierten Anbietern auszuhandeln, den europäischen Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuwider läuft. Mit Änderung des § 127 SGB V wurde die dort normierte Ausschreibungsoption aufgehoben.

 

Mit dem am 14.3.2019 beschlossenen „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung” (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) wurde unter anderem § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V wie folgt geändert:


Statt:
„Soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, können die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften im Wege der Ausschreibung Verträge mit Leistungserbringern oder zu diesem Zweck gebildeten Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln, die Durchführung einer bestimmten Anzahl von Versorgungen oder die Versorgung für einen bestimmten Zeitraum schließen.”


Heißt es nun:
„Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften schließen im Wege von Vertragsverhandlungen Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringender Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung.”


Die Änderung des neuen Absatzes 1 des § 127 SGB V wurde durch den Ausschuss für Gesundheit empfohlen. Begründet wurde die Änderung mit den „nach wie vor bestehenden Risiken durch Ausschreibungen für die Versorgungsqualität”1:


Bereits mit dem „Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung” (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG vom 4.4.2017) hatte der Gesetzgeber den Krankenkassen und Leistungserbringern verschiedene Vorgaben zu einer stärkeren Berücksichtigung von Qualitätsaspekten beim Abschluss von Verträgen zur Hilfsmittelversorgung gemacht. Dazu gehörten insbesondere das Verbot von Ausschreibungen bei Versorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil und die Vorgabe an die Krankenkassen, dass bei Hilfsmittelausschreibungen in Leistungsbeschreibung und hinsichtlich der Zuschlagskriterien qualitative Aspekte angemessen zu berücksichtigen.


Aus Sicht des Gesetzgebers ist die intendierte Verbesserung ausgeblieben. Die wettbewerbliche Ausrichtung des Hilfsmittelbereiches habe dazu geführt, dass in der Regel das Angebot mit dem günstigsten Preis den Zuschlag erhalten habe. Daraus resultieren Qualitätsverluste und private Mehrzahlungen durch die Versicherten.2 Es habe sich gezeigt, dass die praktische Umsetzung des Gesetzes vielfach nicht den Zielen des Gesetzgebers entspräche. Zu dem erhofften Qualitätswettbewerb im Rahmen der Ausschreibungen sei es nicht gekommen. Angesichts der bestehenden Risiken für die Versorgungsqualität, die durch Ausschreibungen verursacht würden, sei die Ausschreibungsoption des § 127 Abs. 1 SGB V daher aufzuheben.3


Die Kommission ist hingegen der Auffassung, dass das Verbot den gesetzlichen Krankenkassen gegenüber, eine Ausschreibung für medizinische Hilfsmittel zu nutzen, der EU-Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge zuwiderläuft. Die Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge ermöglichen es öffentlichen Auftraggebern wie gesetzlichen Krankenkassen, hohe Qualitätsstandards zu wettbewerbsfähigen Preisen zu erreichen. Indem sie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung für alle Marktteilnehmer anwenden, gewährleisten sie einen unverfälschten Wettbewerb. Die deutschen gesetzlichen Krankenkassen geben jährlich etwa 8 Milliarden Euro für medizinische Hilfsmittel aus. Es bleibt abzuwarten, wie die Bundesrepublik Deutschland sich gegenüber der EU-Kommission positionieren wird.

 

Ablauf Vertragsverletzungsverfahren

einleiten, wenn ein Mitgliedstaat die Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung einer Richtlinie nicht mitteilt oder einen mutmaßlichen Verstoß gegen das EU-Recht nicht behebt. Das Verfahren läuft in mehreren Schritten ab:

  • Die Kommission übermittelt dem Mitgliedstaat ein Aufforderungsschreiben, in dem sie es um weitere Informationen zu dem mutmaßlichen Verstoß ersucht. Der Mitgliedstaat muss innerhalb einer festgelegten Frist von ca. zwei Monaten Stellung nehmen.
  • Gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass das Land seinen Verpflichtungen nach dem EU-Recht nicht nachkommt, gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Es handelt sich dabei um eine förmliche Aufforderung, Übereinstimmung mit dem EU-Recht herzustellen. Der Mitgliedstaat hat die Kommission binnen von weiteren zwei Monaten über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten.
  • Stellt der Mitgliedstaat keine Übereinstimmung mit dem EU-Recht her, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen.

 

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1 BT-Drucks. 19/8351, Seite 202.
2 Reh, „Die Bedeutung von Qualitätskriterien bei Ausschreibungen von Hilfsmittelverträgen nach der Einführung des § 127 Abs. 1 SGB V”, MPR 2018, 48.
3 Vgl. BT-Drucks. 19/8351, Seite 202.

 

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Freya Weber, geb. Schwering

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht, Europajuristin (Univ. Würzburg)

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