Deutschland als moderner Schiedsstandort

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veröffentlicht am 22. Mai 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Am 18. April 2023 hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) Eckpunkte zur Moder­ni­sierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts vorgelegt. Angegebener Grund ist, dass es für einen starken Rechtsstandort Deutschland neben einer modernen und effektiven Ziviljustiz auch hochentwickelter alternativer Streitbeilegungsreformen bedarf. Um die Hintergründe des Vorhabens des Justizministeriums zu beleuchten, ist es zunächst notwendig, zu verstehen, worum es beim Bestreben des Justiz­minis­teriums im Kern geht.


Juristen unterscheiden zwischen Schiedsverfahren und Verfahren vor den ordentlichen Gerichten. „Ordentlich“ werden die Gerichte hierbei genannt, weil sie Gerichte sind, die vom Staat in einem ordentlichen rechts­staat­lichen Verfahren eingerichtet werden. Das beinhaltet ihre Einrichtung an sich, aber auch ihren Aufbau, ihre Zusammensetzung und ihre Verfahrensordnung, die Zivilprozessordnung (ZPO). Die Gerichte leiten ihre Legiti­mation und ihre Berechtigung vom Staat ab. Ein Urteil eines deutschen Gerichts ist deswegen immer ein staat­licher Akt, ein Hoheitsakt.

Damit ein Urteil eines staatlichen Gerichts in anderen Ländern vollstreckt werden kann, muss der ausländische Staat sich zur Vollstreckung des Urteils bereit erklären. Urteile, die innerhalb der Europäischen Union ergangen sind, werden von allen Mitgliedstaaten anerkannt und können dort vollstreckt werden. Außerhalb der EU ist es nicht selbstverständlich, dass Entscheidungen staatlicher Gerichte vollstreckt werden können. Hierzu schließen Staaten Verträge über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Ent­schei­dungen, die im jeweils anderen Vertragsstaat ergangen sind. Nicht mit jedem Staat allerdings sind solche Vereinbarungen getroffen worden. So gibt es zum Beispiel mit der Volksrepublik China keinen diesbezüglichen Vertrag, so dass deutsche Urteile in China genau so wenig vollstreckt werden können, wie chinesische Urteile in Deutschland.

Das ist einer der Gründe, warum im internationalen Bereich oftmals vertragliche Schiedsvereinbarungen von den Vertragsparteien getroffen werden. Sie unterstellen die Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen den Parteien der bindenden Entscheidung eines frei von den Parteien bestimmten Spruchkörpers, dem Schieds­gericht. Der auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennbare Unterschied zwischen einer schiedsgerichtlichen Entscheidung und einer gerichtlichen Entscheidung ist nicht die Bindungswirkung des Urteils, sondern die Legitimation der zur Entscheidung berufenen Personen. Wogegen ein ordentliches Gericht diese Legitimation aus seiner staatlichen Berufung herleitet, wurzelt die Legitimation des Schiedsgerichts in der unmittelbar freien Entscheidung der Parteien, die ihren Richter, das Schiedsgericht selbst bestimmen. Die Benennung eines Schiedsgerichts ist letztendlich Ausfluss der Vertragsfreiheit der Parteien. Das ist einer der Gründe dafür, dass bereits 1958 die New York Convention verabschiedet wurde. Sie betrifft insbesondere die gegenseitige Aner­kennung und Vollstreckung von Schiedsurteilen, die im Gebiet der Vertragsstaaten der New York Convention erlassen worden sind. Mittlerweile gibt es mehr als 170 Vertragsstaaten, so dass Schiedsurteile nahezu überall auf der Welt anerkannt und vollstreckt werden können. Im internationalen Geschäft sind Schieds­ver­ein­barungen daher mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Die Vollstreckung von Schiedsurteilen erfolgt vom jeweils für die Vollstreckung im Staat der Vollstreckung vorgesehenen Verfahren und Organ. Ein Schiedsurteil wird im ersten Schritt für vollstreckbar erklärt, und dann im zweiten Schritt vollstreckt. Die deutsche Zivilprozessordnung trifft hierzu, aber auch zur Schiedsgerichtsbarkeit im Ganzen, Regelungen. 

Die letzte grundlegende Änderung der Regelungen zum Schiedsverfahren in der deutschen Zivilprozessordnung fanden vor ca. 25 Jahren, im Dezember 1997, statt. Wie in allen Bereichen der Wirtschaft haben sich auch im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit in diesem Zeitraum Änderungen ergeben. Das haben sowohl die Gesetz­geber verschiedener Staaten, als auch einige Träger verschiedener institutioneller Schiedseinrichtungen zum Anlass genommen, ihre Regelungen zur Schiedsgerichtsbarkeit zu überarbeiten.

Ziel ist es, Deutschland nicht nur als Standort der staatlichen Gerichtsbarkeit wettbewerbsfähig zu halten, son­dern auch als Standort für nationale und internationale Schiedsverfahren. Das Vorhaben des Bundes­minis­teriums für Justiz greift gute Ansatzpunkte heraus. Da jeder Ansatz einer Gesetzesänderung oftmals kritisiert wird, ist es sinnvoll, sich von den zwölf Eckpunkten zumindest mit drei ausgewählten Änderungsvorhaben auseinanderzusetzen.

Künftig soll es zum Beispiel möglich werden, in Verfahren auf Vollstreckbarerklärung oder Aufhebung von Schiedssprüchen zumindest teilweise Englisch als Verfahrenssprache zuzulassen. Demnach sollen sowohl die Schiedssprüche selbst, als auch die betreffenden bedeutsamen Schriftstücke in englischer Sprache vorgelegt werden können. Das mag für Teilnehmer am internationalen Wirtschaftsverkehr überraschend sein. Denn dort ist Englisch die vorherrschende und von der überwiegenden Vielzahl von Vertragsverhandlungen und Verträgen verwendete Sprache. Doch in Deutschland ist die gesetzlich vorgesehene Gerichtssprache Deutsch. Schieds­sprüche müssen daher übersetzt werden, und das bedeutet den Verlust von Zeit und das Entstehen von Kosten. Die Absicht, dieses Erfordernis entfallen zu lassen, ist daher vorbehaltlos zu begrüßen. Derzeit muss eine Schieds­vereinbarung, um wirksam zu sein, schriftlich geschlossen worden sein. Schriftform bedeutet hierbei in Deutschland, dass beide Parteien die Vereinbarung körperlich unterzeichnet haben müssen. Spätestens in Zei­ten nach der COVID-19-Pandemie ist das Festhalten am Schriftformerfordernis daher starken Bedenken ausge­setzt. Denn oftmals werden Vereinbarungen nunmehr nur noch in Textform, also auch durch Austausch von E-Mails, abgeschlossen. Das Bundesministerium der Justiz möchte auch hier Abhilfe schaffen. Auch das ist zu begrüßen, weil zumindest international das strenge Schriftformerfordernis für die Schiedsabrede im Gegenteil zum restlichen Vertrag schwer zu vermitteln ist.

Einer der geäußerten Kritikpunkte an der Schiedsgerichtsbarkeit ist es stets, dass das Schiedsgericht falsch entschieden hat und die Parteien hiergegen kein Rechtsmittel haben. Ausländische Schiedssprüche, die in Deutschland vollstreckt werden sollen, können nach der oben erwähnten New York Convention nur einge­schränkt überprüft werden, so zum Beispiel auf die Frage hin, ob den Parteien rechtliches Gehör gewährt wur­de, oder auf die Frage hin, ob das Schiedsurteil grundlegenden Ansichten über die rechtsstaatliche Ord­nung (ordre public) schlechthin zuwiderläuft. So wird ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit sichergestellt, ins­be­son­dere die Möglichkeit, sich gegen das Schiedsurteil zu wehren. Auch deutsche Schiedssprüche können im Grun­de bei solchen Verletzungen mit dem Ziel der Aufhebung des Schiedsspruches aufgehoben werden, vgl. § 1059 ZPO. Um einem in Deutschland ergangenen Schiedsspruch noch mehr Akzeptanz zu verschaffen, beab­sichtigt das BMJ nun, zusätzlich einen Rechtsbehelf zuzulassen, der dann eingreift, wenn in einem ver­gleich­baren Ur­teil eines staatlichen Gerichts eine Restitutionsklage zulässig wäre. Als Fallbespiel wird eine Be­stech­ung der Richter oder eine Rechtsbeugung genannt. Die Intention des BMJ ist also auch hier zu begrüßen. Wer allerdings meint, dass das Vorhaben des Ministeriums zu kurz greift, weil es sich nur auf ein zusätzliches Rechts­mittel gegen deutsche Schiedsurteile beschränkt, und nicht auf ausländische, greift zu kurz. Es mag sein, dass ein solches Rechtsmittel auch für ausländische Schiedsurteile wünschenswert wäre. Aber die New York Con­ven­tion trifft hierfür abschließende Regelungen. Das BMJ kann also solche Regelungen gar nicht ein­sei­tig ändern oder einseitig deren Änderung anstreben. Allerdings würde eine Überprüfbarkeit eines deutschen Urteils dann, wenn auch andere Staaten eine solche vorsehen, mittel- oder langfristig dazu führen können, dass auch die New York Convention angepasst wird, weil alle ihre Vertragsstaaten das wollen. Insoweit wäre auch dieser Ansatz des BMJ zukunftsweisend.

Bereits die drei herausgegriffenen Punkte belegen, dass das Vorhaben des BMJ im Grunde geeignet ist, Deutsch­land als Rechtsstandort weiter zu stärken, ohne hierbei einseitig auf die Interessen einer der Parteien abzustellen. Es bleibt zu beobachten, in welcher Form das Vorhaben umgesetzt werden wird.
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