Die richtige Mischung – Hybride Modelle bieten den passenden Mix im Business Process Outsourcing

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veröffentlicht am 1. Juni 2021 / Lesedauer ca. 5 Minuten
 

Den Begriff „Shared Services Center” hat man in der Vergangenheit eher mit inter­nat­ionalen Konzernen in Verbindung gebracht. Mittlerweile bündeln jedoch auch mittel­ständische Unternehmen ihre Dienstleistungen an einer zentralen Stelle, um u.a. Transparenz zu schaffen, Kosten zu senken, Synergieeffekte zu nutzen und Prozesse zu standardisieren, zu digitalisieren sowie zu automatisieren. Ist das für mittel­ständische Unternehmen der richtige Weg und welche Rolle spielen Fachkräfte?

  

  
Zentrale Service-Einheiten, Shared Services Center, regionale Cluster – all diese Begriffe spielen in der Organisationsentwicklung eine wichtige Rolle und sind mittlerweile auch im Mittelstand angekommen. Dabei war es in der Vergangenheit immer von Bedeutung, ob bei mittelständischen Unternehmen sowie bei den großen internationalen Familienunternehmen überhaupt eine kritische Masse an Transaktionen vorliegt, um solche Konzepte ökonomisch umsetzen zu können. Denn Haupttreiber der Reorganisationen waren regelmäßig die erwarteten Kostensynergien. Rückblickend ist tatsächlich ein gewisser Trend festzustellen, der zu besonders knapp berechneten Konzepten geführt hat, die retrospektiv keine Kostenvorteile gegenüber dezentralen Strukturen erreicht haben.
 

Zentralisierung versus Lokalisierung

Dennoch lässt sich beobachten, dass der Trend anhält, denn immer größere Mengen an Daten werden mehr und mehr digital verarbeitet, was wiederum den Gedanken an möglichst zentrale Strukturen nahelegt. Dem entgegen arbeiten die Gesetzgebungen einzelner Länder. Selbst innerhalb der EU ist kein auch nur annähernd einheitlicher oder ähnlicher Prozess in der Finanzverwaltung abzusehen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Selbst EUweit abgestimmte Konzepte, wie die durch DAC 6 eingeführte Berichtspflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen oder potenziellen Gestaltungen, sind in den Ländern so individuell geregelt und ausge­staltet, dass prozessual und systemseitig für jeden Buchungskreis in jedem Land eigene Konzepte und Regeln erarbeitet werden müssten, wenn man etwas automatisieren möchte (z. B. in Form eines systemgestützten Tax Compliance Management-Systems). Von der konkreten Umsetzung in den jeweiligen Landessprachen einmal ganz zu schweigen. Mühsam aufgebaute Prozesse werden so schnell wieder durch lokale und manuelle Bypässe ergänzt und dadurch undurchsichtig bzw. kompliziert.
 
Ein weiterer Hemmschuh für die Bündelung administrativer Prozesse an einem Ort sind außerdem technische Individualisierungen der Steuerberichterstattung. In einigen Ländern der EU laufen z.B. bereits sämtliche Ein- und Ausgangsrechnungen über zentrale Behördensysteme. Diese Plattformen, die Umsatzsteuerbeträge exakt zuordnen sollen und somit Betrug vorbeugen oder aufdecken können, schaffen enormen Schnittstelle­naufwand, weil sie nicht nur einmalig eingerichtet, sondern auch regelmäßig gepflegt werden müssen. Die Einführung solcher Systeme, wie in Italien, hat sogar zu einer Rückführung von Prozessen in das Land geführt. Selbst die großen,  internationalen ERP-Systeme bieten in ihren Länderversionen oft keine funktionsfähigen Module an, die die Themen für alle Länder abdecken. Am Ende muss nicht nur einmalig, sondern laufend Know-how lokal eingekauft werden. Und das ganz unabhängig von den Fragen wo, wie und von wem ein bestimmter Buchungskreis grundsätzlich betreut wird.
  
Das alles sind klassische Aufgaben für Steuerberater, für die es alsdann eine Herausforderung ist, rechtliche Anforderungen in technische Informationen zu übersetzen, um bspw. den SAP FI-Berater in Deutschland dazu zu befähigen, entsprechende Einstellungen vorzunehmen. Erfolgreich sind solche Konstellationen i.d.R. dann, wenn auf lokales ERP-Know-how zurückgegriffen wird. Denn es muss meist nicht nur eine Sprache übersetzt, sondern auch ein zwischen Steuerberater und IT-Berater abweichender Wissenshorizont überwunden werden.
  
Aber nicht nur die technischen Aspekte zeigen die Grenzen von rentablen Shared Services für mittelständische Unternehmen auf. Alleine die unterschiedlichen Regelungen und Auslegungen bestimmter Transaktionen innerhalb der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erlauben häufig keine länderübergreifende einheitliche Betreuung. Oft wird sich damit beholfen, dass innerhalb eines Shared Services Centers besonders qualifizierte (und teure) Teams aufgebaut werden, die sich daraufhin mit solchen Spezialfällen beschäftigen. Wie einzelne komplexe Transaktionen dann aber im Topf des Teams landen, wie sie schon vorher entdeckt und umgeleitet werden können, ist eine Kunst für sich und scheitert häufig an der fehlenden Menge und damit Auslastung. Gleichzeitig sind es aber genau diese Transaktionen, die häufig das größte Steuerrisiko darstellen und in einer Risiko-Matrix eines Tax Compliance Management-Systems in der Priorität ganz oben stehen.
 

Die Lösung: „Hybride Modelle“

Hybride Modelle können Abhilfe schaffen: mit der richtigen Mischung aus „zentral“ und „lokal“. Im Cloud-Zeitalter und erst recht in der Zeit der Pandemie spielt die Kompetenz eine wesentlich wichtigere Rolle als der Ort. Und so lassen sich Prozesse nicht nur auf verschiedene Orte aufteilen, sondern auch auf mehrere Mitarbeiter und sogar über die Unternehmensgrenzen hinweg auf unterschiedliche Unternehmen – z.B. mit Business Process Outsourcing-Modellen. Diese Modelle, die früher meist aus Kostengesichtspunkten entwickelt wurden (Fokus auf Kernkompetenzen, Economies of Scale, etc.) puffern heute ein ganz anderes Problem ab: die Verfügbarkeit von Fachpersonal im Bereich Buchhaltung, Finanzen, Steuern und Controlling. Vielen Unternehmen bleibt oftmals nichts anderes übrig, als die Organisation hin zu solchen Modellen zu entwickeln, da selbst in klassischen Shared Services-Standorten wie Rumänien, Polen oder Indien die verfügbaren Fachkräfte weniger werden und die Kosten laufend steigen.
 

Der Mensch als strategischer ‚Faktor‘

Das Humankapital, v.a. hochqualifizierte Mitarbeiter mit entsprechendem Fachwissen und Know-how, ist der wichtigste Input für Unternehmen. Die Qualität des Humankapitals ist entscheidend für jedes Geschäft, wobei hochqualifizierte und erfahrene Fachkräfte einen definitiven Wettbewerbsvorteil darstellen können. Aus dem Grund konzentrieren sich die Unternehmen auf die Mitarbeiterbindung und -entwicklung. Kostenerwägungen fallen in den entwickelten Märkten der europäischen Regionen wie Großbritannien, Deutschland und Frank­reich aufgrund der hohen Lohnkosten noch stärker ins Gewicht. Die Unternehmen sind auf die kontinuierliche Beschäftigung von qualifizierten Mitarbeitern angewiesen; eine hohe Personalfluktuation kann sich nachteilig auf das Geschäft auswirken. Das betrachtet man als hohe Wechselkosten. Dabei werden Mitarbeiter als Lieferanten von Fachwissen angesehen werden.
 

In entwickelten Ländern wie den USA und Kanada, in denen es ein großes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften gibt, haben Mitarbeiter weniger Verhandlungsspielraum. Allerdings ist die Entbehrlichkeit von Arbeitgebern für Fachkräfte hoch, da sie die Möglichkeit haben, jederzeit zu anderen konkurrierenden oder nicht-auslagernden Unternehmen zu wechseln. Das können sie weitgehend uneingeschränkt tun. In Entwicklungsländern, wo das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften unzureichend sein kann, ist die Anbietermacht höher, wird aber durch eine geringere Personalfluktuation abgemildert. Eine Vorwärtsintegration von Mitarbeitern ist auch möglich, da Personen mit hohem Fachwissen und Erfahrung als unabhängige Freiberufler arbeiten können, obwohl sie wahrscheinlich nicht in der Lage sind, das Ausmaß an ausgelagerter Arbeit zu leisten, das große Unternehmen benötigen.

 

Auch in absehbarer Zeit wird der Buchhalter immer ein Mensch sein. Er ist nicht mehr die Person, die Dokumente übersetzt, in Ordner einheftet, Daten in Buchhaltungssysteme einträgt und Steuererklärungen ausfüllt. Er wird jetzt durch IT, IT-Tools und Automatisierung („Robotic Process Automation”, kurz: RPA) unterstützt. Accounting ist ein interdisziplinäres Gebiet mit hoher Dynamik. Und nicht nur das, es zählt Teamarbeit. Während immer mehr wiederholbare, standardisierte und einfache Vorgänge automatisiert und bis zu einem gewissen Grad analysierbar werden, muss man sich vor Augen halten, dass es der Mensch ist, der entwirft, aktualisiert, einstellt und Änderungen vornimmt, wo sie erforderlich sind. Die Verantwortung für Entscheidungen trifft der Mensch. Der Buchhalter ist ein Vermittler zwischen dem Gewerbetreibenden, der eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, und den Institutionen des Staates. Er ist ein Berater des Unternehmers, dem er mitteilt, was er zu tun verpflichtet ist und was er nutzen kann. Der Buchhalter wird sich stets im Dickicht der komplizierter werdenden steuerlichen Vorschriften auskennen. Denn sie sind nicht nur mehrdeutig und unpräzise, sondern ändern sich auch so häufig, dass die Anbieter von vorgefertigten IT-Lösungen nicht in der Lage sind, zeitnah darauf zu reagieren. Der Buchhalter kennt sich nicht nur mit Finanzen aus, er kann wirtschaftliche Phänomene, Dokumente und Daten richtig interpretieren. Er lernt aus ihnen, schafft Visionen und sieht die Konsequenzen. Er ist als Fachkraft unersetzlich; viele seiner Handlungen werden auch in der Zukunft nicht von einer Maschine übernommen werden können.

 

Fazit

Individuelle Geschäftsmodelle brauchen individuell zugeschnittene Prozesse. Neben dem Volumen ist es zudem immer eine Frage der Komplexität und des Risikos, wo man auf hohe Kompetenz (zu höheren Kosten) oder geringere Qualifikation (zu geringeren Kosten) setzen kann. Nach dieser Beurteilung richtet sich die Frage nach Zentralisierung oder Lokalisierung. Die in großen Konzernen gängige Praxis, eine zentrale Einheit „Shared Services Center“ zu nennen, die aber ausschließlich Stammdaten verwaltet, während die eigentliche (fachliche) Arbeit weiterhin in den Ländern erledigt wird (in sog. „Centers of Excellence”) bringt auch einem großen und internationalen Mittelständler nichts. Denn er hat oft nur ein „low risk distributer“-Modell in den einzelnen Ländern in Form von kleinen Vertriebstochtergesellschaften oder sogar nur unselbständigen Niederlassungen. Genaues Analysieren und mit dem richtigen Partner die passenden Modelle zu entwickeln kann davor schützen, falsche Annahmen bei den Kostensynergien zu treffen. Von „Copy & Paste“ ist dem Mittelstand definitiv abzuraten.

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