Sind Zinsen von 6 Prozent auf Steuernachzahlungen gerecht(fertigt)?

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​veröffentlicht am 2. Juli 2018

 

Aufgrund der gesetzlich in den §§ 233a iVm § 238 AO vorgesehenen Vollverzinsung werden Steuernachforderungen aber auch Steuererstattungen ab dem 16. Kalendermonat nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes mit 0,5 Prozent pro Monat, mithin mit 6 Prozent pro Jahr verzinst.

 

BFH hat schwerwiegenden Zweifel an Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von 6 Prozent für die Vollverzinsung ab 2015

 

Für viele Steuerpflichtige ist diese Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von 6 Prozent ein Dorn im Auge. Übermaß und Wucher, verfassungsrechtlich bedenklich – um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Bislang haben Finanzgerichte und insbesondere der BFH selbst die Verzinsung von Steuernachforderungen mit 6 Prozent verfassungsrechtlich für unbedenklich gehalten.

 

Der BFH hatte mit Urteil vom 20. April 2011 (Az.: I R 80/10) (Streitjahre 1998 bis 2006) diesen hohen Zinssatz noch bestätigt. Im Beschluss vom 3. September 2009 (1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115) hatte auch das BVerfG die Zinshöhe für die Jahre 2001 bis 2006 nicht beanstandet. In weiteren Verfahren war der BFH auch nicht von der Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe für Zeiträume bis 2011 überzeugt (Urteil vom 1. Juli 2014, Az.: IX R 31/13, Urteil vom 14. April 2015, Az.: IX R 5/14).

 

Durch Allgemeinverfügung vom 16. Dezember 2015 (koordinierter Ländererlass, Az.: 3-S046.0a/75) wurden alle Einsprüche gegen die Festsetzung von Zinsen betreffend die Zeiträume vor dem 1. Januar 2012 zurückgewiesen.

 

Das FG Münster hielt in seinem Urteil vom 17. August 2017 (10 K 2472/16) den Zinssatz im Rahmen der Vollverzinsung nach § 233a AO für verfassungsgemäß. Betroffen waren die Jahre 2011 bis 2015. Das Gericht hatte sich sehr intensiv mit der bisherigen BFH-Rechtsprechung und verschiedenen Zinsszenarien auseinandergesetzt und einige überlegenswerte Argumente vorgebracht, die für eine Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung sprechen könnten.

 

Zuletzt hatte der III. Senat BFH mit Urteil vom 9. November 2017 im Verfahren III 10/16 entschieden, dass die Vollverzinsung nach § 233a AO sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und auch nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.

 

Anderer Senat, anderes Jahr, und schon sieht der Beitrag des BFH zur Höhe der Nachzahlungszinsen anders aus:

 

Der IX. Senat des BFH hat für Zeiträume ab 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungszinsen nach § 238 AO von 0,5 Prozent pro Monat. Mit Beschluss vom 25. April 2018 (Az.: IX B 21/18, veröffentlicht am 14. Mai 2018) hat der BFH einem Antrag auf AdV eines Zinsbescheids über Nachzahlungszinsen nach § 233a i.V.m. § 238 AO in einem summarischen Verfahren stattgegeben. Die Vollziehung des Zinsbescheides wurde in vollem Umfang ausgesetzt.

 

  • Der BFH sieht die Bemessung des Zinssatzes als realitätsfern und dadurch den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG als verletzt an. Im betroffenen Zeitraum habe sich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt.
  • Für die gesetzliche Zinshöhe gebe es auch keine sachliche Rechtfertigung. Das Argument der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung stehe aufgrund der modernen Datenverarbeitungstechnik einer Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S.d. § 247 BGB nicht mehr entgegen.
  • Eine derart realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke damit wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung. Der BFH hat daher schwerwiegende Zweifel, ob der Zinssatz dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche.

 

Die Entscheidung ist umso beachtenswerter, als sie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes getroffen wurde. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit reichen hier normalerweise für die Gewährung der AdV nicht aus, da einem formell rechtmäßig zustande gekommenem Gesetz die Gültigkeit nur durch das BVerfG genommen werden kann und das Interesse des Staates am Vollzug der Gesetze und damit einer geordneten Haushaltsführung gegenüber dem Einzelinteresse des Steuerpflichtigen, finanziell nicht belastet zu werden, meist überwiegt.

 

Unter den Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 sind bereits Verfahren beim BVerfG anhängig.

Die Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben vom 14. Juni 2018 bereits reagiert. Das BMF hat angeordnet, dass für Verzinsungszeiträume ab dem 1. April 2015 auf Antrag bei wirksamen Einspruch gegen die Zinsfestsetzung Aussetzung der Vollziehung zu gewähren sei, unerheblich, zu welcher Steuerart und für welchen Besteuerungszeitraum die Zinsen festgesetzt worden sind.

 

Das BMF unterstreicht aber, dass es vorerst aber keine Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe hat. Für Verzinsungszeiträume vor dem 1. April 2015 sei hingegen keine generelle Vollziehungsaussetzung zu gewähren, so das BMF.

 

Die Frage der Vollverzinsung betrifft nicht nur Nachzahlungen, sondern auch Steuererstattungen. Entsprechende Zinsfestsetzungen auf Steuernachforderungen sollten daher mit dem Einspruch offen gehalten werden. Hierbei kann sich die öffentliche Hand als Steuerzahler auf die oben genannten anhängigen Verfahren vor dem Verfassungsgericht berufen und ein sogenanntes Ruhendstellen des (Einspruchs-)Verfahrens beantragen. Damit bleibt der Rechtschutz gewahrt, ohne dass es einer tiefgreifenden Begründung bedarf. Sollte das Verfassungsgericht zu Gunsten der Steuerpflichtigen entscheiden, werden die Zinsen erstattet.

 

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Maik Gohlke

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