Erbschaftsteuer: Bewertung von Anteilen an einem offenen Immobilienfonds

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Im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung stellt sich in der Praxis des Öfteren die Frage, ob Anteile an einem offenen Investmentfonds (Anteilscheine) stets mit dem Rücknahmepreis anzusetzen sind oder ob unter bestimmten Voraussetzungen der Ansatz eines niedrigeren Kurswerts denkbar ist. Mit dieser Frage hat sich das Hessiche Finanzgericht in einer Entscheidung vom 16. Februar 2016 (Az. 1-K-1161/15) auseinander gesetzt. Die Klägerin war Alleinerbin einer im Jahr 2012 verstorbenen Freundin, von der sie unter anderem Anteile an einem offenen Immobilienfonds geerbt hat. Das Fondsmanagement hatte die Rücknahme der Anteilscheine für zwei Jahre ausgesetzt und mit Schreiben vom Mai 2012 mitgeteilt, dass die fehlende Liquidität des Fonds die Kündigung nach dem Investmentgesetz in der zum Besteuerungszeitpunkt geltenden Fassung und dessen Auflösung zur Folge habe.  

Trotz dieser preisbeeinflussenden Umstände hat das zuständige Finanzamt die hinterlassenen Anteilscheine mit dem Rücknahmewert angesetzt, der den Angaben in der Anzeige nach § 33 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz der depotverwaltenden Bank entsprach. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist die Bewertung der Wertpapiere für Zwecke der Erbschaftsteuer zwingend mit dem Rücknahmepreis anzusetzen. Die Tatsache, dass die an einer Börse gehandelten Fondsanteile am Stichtag einen geringeren Kurs als den Rücknahmepreis erzielen, wäre hingegen nicht beachtlich.  

Die Klägerin hat gegen den Ansatz des Rücknahmepreises in der Erbschaftsteuerfestsetzung Einspruch eingelegt und argumentiert, dass in Folge der Aussetzung der Rücknahme der Anteilscheine der angesetzte Rücknahmewert nicht mehr realisiert werden kann, da die Rücknahme der Anteilscheine bereits seit Mai 2010 ausgesetzt gewesen sei. Maßgeblich für den Wertansatz in einem solchen Fall müsse vielmehr der Börsenwert als gemeiner Wert im Sinne des § 9 Abs. 1 BewG sein, der zum Besteuerungszeitpunkt wesentlich geringer war.  

Der zuständige Senat schließt sich der Sichtweise des Klägers an. Entgegen der Ansicht des Finanzamts sind die Anteilscheine nicht mit dem Rücknahmepreis nach § 11 Abs. 4 BewG, sondern mit dem zum Bewertungsstichtag im Rahmen des Freiverkehrs festgestellten niedrigen Börsenkurses im Sinne des § 11 Abs. 1 BewG zu bewerten. Es ist zu berücksichtigen, dass im Streitfall die Rücknahme der Anteilscheine zum Bewertungszeitpunkt ausgesetzt gewesen war. Die fehlende Möglichkeit, die Anteilscheine zum Rücknahmepreis zu liquidieren, stellt nach Ansicht des Senats einen preisbeeinflussenden Umstand im Sinne des § 9 Abs. 2 S. 2 BewG dar, der im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine geringere Anteilsbewertung eines Wertpapiers rechtfertige. Insbesondere sieht es das Gericht als nicht zwingend an, dass die Bewertungsregelung in § 11 Abs. 4 BewG (Ansatz des Rücknahmepreises) keinerlei Ausnahmen vom Ansatz des regelmäßig höheren Rücknahmepreises zulassen. Allerdings hat das Hessische Finanzgericht die Revision zugelassen, sodass das letztendliche Wort in dieser Sache der Bundesfinanzhof haben wird (Az. II R 11/16).  

Dennoch ist die vorstehende Entscheidung für den Anleger insofern bedeutsam, da das Finanzgericht Münster in seiner Entscheidung vom 15. Januar 2015 (Az. 3 K 1997/14) in einem vergleichbaren Sachverhalt eine gegenteilige Ansicht vertrat. In diesem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt ging es ebenfalls um die zutreffende Bewertung von Anteilen an einem offenen Investmentfonds (Wertpapierfonds) für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke. Das zuständige Finanzamt hat die Anteilscheine mit dem höheren Rücknahmepreis angesetzt. Hiergegen hat sich der Kläger mit dem Argument gewendet, dass die Rückgabe der Anteile an die Fondsgesellschaft aufgrund der Schließung des Fonds nicht mehr möglich sei und die Anteile somit ausschließlich über die Börse verkauft hätten werden können. In diesem Fall hätte der Kläger lediglich den niedrigeren Tageskurs realisieren können, sodass seiner Meinung nach zwingend der Kurswert nach § 11 Abs. 1 BewG anzusetzen gewesen wäre. Im Gegensatz zu dem Hessischen Finanzgericht sieht das Finanzgericht Münster durch die eindeutige gesetzliche Vorgabe der Bewertung der Anteilscheine mit dem Rücknahmepreis gemäß § 11 Abs. 4 BewG kein Spielraum und keine Rechtsgrundlage für eine abweichende Bewertung. Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes ist nach Auffassung des Senats gerade nicht geboten, auch wenn der Tagesschlusskurs, wie im Streitfall, niedriger ist als der Rücknahmepreis. Die Revision wurde zwar durch das FG zugelassen, jedoch nicht eingelegt. Damit ist das Urteil des FG Münster rechtskräftig.

Vor dem Hintergrund der derzeit bestehenden unterschiedlichen Sichtweisen der Finanzgerichte ist es nur zu begrüßen, dass der Bundesfinanzhof zu dieser in der Praxis durchaus wichtigen Fragestellung schnellstmöglich Rechtsicherheit herbeiführt. Bis dahin sollte der Steuerpflichtige mit Hinblick auf das für ihn günstigere Urteil des Hessischen Finanzgerichts gegen abweichende Erbschaftsteuerfestsetzungen des Finanzamts überlegen, Einspruch einzulegen.
 
zuletzt aktualisiert am 13.07.2016
 

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Frank Dißmann

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