Die unternehmerische Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Formwechseln, Spaltungen und Verschmelzungen

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veröffentlicht am 20. Oktober 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Mit der Richtlinie (EU) 2019/2121 vom 27. November 2019 (Umwandlungsrichtlinie) wurde erstmals ein unionsrechtlich einheitlicher Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen von Kapitalgesellschaften geschaffen. Inhalt der Umwandlungsrichtlinie sind dabei auch Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung bei grenzüberschreitenden Formwechseln, Spaltungen und Verschmelzungen. Hinsichtlich der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie in nationales Recht hat die Bundesregierung am 6. Juli 2022 einen Regierungsentwurf verabschiedet. Ein Beschluss des Bundestages über den Gesetzesentwurf wurde bislang noch nicht gefasst. Die Neuerungen sollen jedoch mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 31. Januar 2023 in Kraft treten.

 

Gesetzliche Neuerungen und Anwendungsbereich


Der Regierungsentwurf sieht zum einen für grenzüberschreitende Verschmelzungen eine Änderung des bereits vorhandenen Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) vor. Darüber hinaus soll für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen ein neues Gesetz (MgFSG) über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer eingeführt werden. Relevant werden die jeweiligen Regelungen vor allem in Fällen der sog. „Herein-Umwandlung” und „Herein-Spaltung”, also in Fällen, in denen aus einem grenzüberschreitenden Vorhaben eine Gesellschaft mit Sitz im Inland hervorgeht.


Auswirkungen auf die Unternehmensmitbestimmung

Wurde eine grenzüberschreitende Verschmelzung oder Spaltung oder ein grenzüberschrei-tender Formwechsel durchgeführt, sollen nach dem Regierungsentwurf grundsätzlich die Regelungen zur unternehmerischen Mitbestimmung des Sitzstaats der hervorgehenden (inländischen) Gesellschaft gelten. Um dabei zu verhindern, dass die jeweiligen nationalen Mitbestimmungsregeln kurz vor Erreichen des jeweils relevanten Schwellenwerts (in Deutschland bspw. nach dem Mitbestimmungs- bzw. Drittelbeteiligungsgesetz) umgangen werden, wurden drei weitreichende Ausnahmen von diesem Grundsatz geschaffen. Diese Ausnahmen bilden (i) die sog. 4/5-Regelung, (ii) die Mitbestimmungsminderung und (iii) die Benachteiligung ausländischer Arbeitnehmer. Ist einer dieser Ausnahmetatbestände einschlägig, soll zwingend ein sog. besonderes Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer (BVG) zu bilden sein. Die Leitungen der beteiligten Unternehmen haben sodann mit dem BVG Verhandlungen über die Ausgestaltung der Unternehmensmitbestimmung in der hervorgehenden Gesellschaft zu führen.


Erforderlichkeit eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens

Vorgesehen ist die Bildung eines BVG entsprechend des ersten Ausnahmetatbestandes zum einen bereits dann, wenn die Ausgangsgesellschaft innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor der Offenlegung des Umwandlungsplans für das grenzüberschreitende Vorhaben eine durchschnittliche Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens 4/5 des nationalen Schwellenwerts der formwechselnden oder der sich spaltenden Gesellschaft entspricht, der die Anwendbarkeit der nationalen Mitbestimmungsregelungen auslöst. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen ist die Bildung eines BVG erforderlich, wenn mindestens eine der beteiligten Gesellschaften den oben genannten Schwellenwert erreicht. Bei der Berechnung des Schwellenwerts sind auch Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften einzubeziehen, wenn dies im Mitbestimmungsrecht des Wegzugsmitgliedsstaats vorgesehen ist.

Ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren soll darüber hinaus entsprechend des zweiten Ausnahmetatbestandes auch dann eingeleitet werden, wenn in der hervorgehenden Gesellschaft verglichen mit der Ausgangsgesellschaft bzw. den verschmelzungsbeteiligten Gesellschaften eine Mitbestimmungsminderung eintreten würde.

Ferner ist entsprechend des dritten Ausnahmetatbestandes vorgesehen, dass Verhandlungen mit dem BVG auch dann zu führen sind, wenn das Sitzstaatsrecht der hervorgehenden Gesellschaft für Arbeitnehmer von Betrieben in anderen Mitgliedstaaten nicht den gleichen Anspruch auf Mitbestimmung vorsieht wie für inländische Arbeitnehmer.


Abschlussmöglichkeiten der Verhandlungen

Ist einer der drei genannten Ausnahmetatbestände einschlägig und fehlt es dennoch an einem abgeschlossenen Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren, soll die grenzüberschreitende Umwandlung, Spaltung oder Verschmelzung nicht eingetragen werden dürfen.

Ein Abschluss eines solchen Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens ist zunächst grundsätzlich dergestalt möglich, dass eine Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung und dem BVG getroffen wird. Ist eine solche Vereinbarung beabsichtigt, ist allerdings zu beachten, dass bei grenzüberschreitenden Formwechseln und Spaltungen eine Absenkung des Mitbestimmungsniveaus nicht zulässig sein soll. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen soll eine solche Absenkung hingegen weiterhin möglich sein.

Für das BVG soll darüber hinaus die Möglichkeit bestehen, mit einer 2/3-Mehrheit die Nichtaufnahme oder den Abbruch von Verhandlungen zu beschließen. In diesem Fall findet wiederum das Mitbestimmungsrecht des Sitzstaats Anwendung.

Ist die Frist für die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern (6 Monate) ergebnislos verstrichen und wurde kein Beschluss über den Abbruch den Verhandlungen gefasst, ist vorgesehen, dass die Auffangregelungen des MgFSG und des MgVG Anwendung finden. Diese Auffangregeln setzen das sog. „Vorher-Nachher-Prinzip” um. Demnach wird das vor dem grenzüberschreitenden Vorhaben geltende Mitbestimmungsniveau nach der umwandlungsrechtlichen Maßnahme aufrechterhalten. Konsequenz dieses Prinzips ist jedoch auch, dass die 4/5-Regelung in einer Gesellschaft, die vorher nicht mitbestimmt war, auch nicht zu einer Unternehmensmitbestimmung führen kann. Durch einen Beschluss des BVG, das Mitbestimmungsrecht des Sitzstaats anzuwenden, ist es für die Arbeitnehmer somit möglich, eine dauerhafte Mitbestimmungsfreiheit zu vermeiden.

Ein einseitiger Verzicht der Unternehmensleitungen auf Verhandlungen soll bei einem grenz-überschreitenden Formwechsel und bei einer grenzüberschreitenden Spaltung nicht möglich sein. Eine solche Möglichkeit ist demgegenüber bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen vorgesehen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn für mindestens eine der beteiligten Gesellschaften ein System der Arbeitnehmermitbestimmung gilt. Hintergrund dieser Einschränkung ist, dass die Leitungen nicht die Möglichkeit haben sollen, eine Perpetuierung der Mitbestimmungsfreiheit einseitig herbeizuführen.


Nachfolgende Umwandlungsmaßnahmen

Zu beachten ist, dass auch bei innerstaatlichen Formwechseln, Spaltungen und Verschmelzungen, die innerhalb von vier Jahren nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Maßnahme erfolgen, die Vorschriften des MgFSG bzw. MgVG entsprechende Anwendung finden sollen, wenn in der hervorgehenden Gesellschaft eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht. Auch bei nachfolgenden innerstaatlichen Umwandlungsmaßnahmen kann also die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens erforderlich werden. Bei einem nachfolgendenden grenzüberschreitenden Formwechsel bzw. einer grenzüberschreitenden Spaltung oder Verschmelzung sollen die Gesetze hingegen zeitlich unbegrenzt gelten, wenn die aus dem Vorhaben hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz im Inland hat.


Fazit

Aufgrund der Vierjahresfrist für nachfolgende innerstaatliche Umwandlungsmaßnahmen wird zukünftig die Historie einer Gesellschaft auch bei rein innerstaatlichen Formwechseln, Spaltungen und Verschmelzungen genauer zu untersuchen sein.

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