Der Rechtsweg bei Streitigkeiten im SE-Recht

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aktualisiert am 13. Januar 2021 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Trotz zunehmender Beliebt­heit der europäischen Aktien­gesell­schaft (Societas Europaea, kurz SE) in der deutschen Gesell­schafts­­praxis existieren im SE-Recht bislang nur wenige Gerichts­ent­schei­­dungen. Das ist umso bedauer­licher, als dass das auf die SE anwendbare Recht ein bisweilen „schwer zu entwirrendes Knäuel” aus europäischen und nationalen Regel­ungen verschiedener Hierarchie­ebenen darstellt. Da­durch ist der rechtliche Um­gang mit der Societas Europaea komplex und führt nicht selten zu Unsicher­heiten in der Rechts­an­wendung. Die praktischen Probleme beginnen bereits bei der Bestim­mung des zu beschreitenden Rechts­wegs wie ein im Nach­gang besprochener Beschluss des Arbeits­gerichts Berlin zeigt.
 

 

 

Trotz des grenzüberschreitenden Bezugs findet für eine in Deutschland gegründete SE deutsches natio­nales Prozessrecht Anwendung. Welcher Rechtsweg bei klageweise geltend gemachten Forderungen zu beschreiten ist, richtet sich wiederrum nach dem Streitgegenstand und damit dem jeweiligen Klageantrag in Verbindung mit der Klage­begründung, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Daneben gibt es ausdrückliche Rechts­weg­zuweisungen des Gesetzgebers, die Vorrang vor der allgemeinen Formel beanspruchen (ausschließliche Zuständigkeit).

 

Ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte

Das Arbeitsgericht ist aus­schließlich zuständig im Urteilsverfahren bei allen in § 2 Abs. 1, 2 ArbGG genannten Rechts­streitigkeiten (vornehmlich Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeit­nehmern und Arbeitgebern). Eine ausschließliche Zuständigkeit des ArbG im Beschluss­verfahren ergibt sich z.B. für Streitigkeiten über Angelegenheiten aus dem BetrVG (§ 2a Abs. 1 Nr. 1), dem MitbestG (§ 2a Abs. 1 Nr. 3), sowie dem EBRG (§ 2a Abs. 1 Nr. 3b). Die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Angelegenheiten aus dem SEBG ergibt sich aus § 2a Abs. 1 Nr. 3e ArbGG. Davon ist auch die Überprüfung der Rechts­wirksamkeit von Handlungen des besonderen Verhandlungs­gremiums (kurz BVG) umfasst.

   

Arbeitsgericht Berlin (Beschl. V. 30.06.2016 – 4 BV 12102/15 „Zalando SE”)

In dem Verfahren stritt ver.di mit der Zalando SE (ein Online-Modeversender) im arbeits­gerichtlichen Beschluss­verfahren über die Wirksamkeit einer getroffenen Beteiligungs­vereinbarung, an der ver.di nicht beteiligt worden war.

 

Sachverhalt

Die Zalando SE wurde als Europäische AG (Societas Europaea, SE) durch grenzüber­schreitende Ver­schmel­zung der Zalando AG mit Sitz in Berlin und der Zalando plc mit Sitz in London gegründet. Die Beteiligungs­vereinbarung wird nach Durchführung eines entsprechenden Verhandlungs­­verfahrens zwischen den Leitungen der Gesellschaften, die an der Gründung der SE beteiligt sind und dem BVG als Vertretung der in den EU-Mitglied­staaten beschäftigten Arbeitnehmer geschlossen. In ihr wird die Mit­bestimmung der Arbeitnehmer in der SE nach der gesetzlichen Konzeption geregelt. Das Verfahren einleitend werden die Arbeitnehmer gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 SEBG durch die Leitung der an der Gründung beteiligten Gesellschaft aufgefordert, das BVG zu bilden. Sobald dem BVG mehr als zwei inländische Mitglieder angehören, ist jedes dritte Mitglied nach dem Vorschlag einer Gewerkschaft, die in einem an der Gründung beteiligten Unter­nehmen vertreten ist, zu wählen (vgl. § 6 Abs. 3, § 8 Abs. 1 Satz 2 SEBG).

  

In dem vom ArbG Berlin verhandelten Fall wurde die Beteiligungs­vereinbarung jedoch lediglich durch den Vorstand der Zalando AG, die Direktoren der Zalando plc sowie dem BVG – ohne gewerkschaftliche Beteiligung – abgeschlossen.

  

Dagegen wandte sich ver.di und beantragte die Unwirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung festzustellen, da das BVG mangels Gewerkschaftsbeteiligung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei.

  

Entscheidungsbegründung

Das ArbG Berlin lehnte den Antrag in seinem Beschluss als unzulässig mit der Begründung ab, dass der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis fehle.

 

Die Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung würde zu einer Verpflichtung der Leitung führen, das Wahl­verfahren gemäß §§ 4 ff. SEBG erneut durchzuführen. Das Ziel sei jedoch vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Statusverfahren) und nicht etwa im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu verfolgen. Zum fehlenden Rechts­schutz­bedürfnis führt das ArbG Berlin aus, dass die Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen Beteiligungs­vereinbarung lediglich die Beantwortung einer Vorfrage bzgl. des eigentlichen Ziels der Antragstellerin, die Errichtung eines SE-Betriebsrats gem. der §§ 23 ff. SEBG kraft Gesetzes zu erreichen beinhalte. Das Rechts­schutzziel der Gewerkschaft ver.di, die erstrebte Einflussnahme auf die Zusammensetzung des SE-Betriebsrats zu erhalten, könne nur auf zwei Wegen erreicht werden:

  

Entweder müsse die Wahl der Mitglieder des BVG angefochten werden, was innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses hätte erfolgen müssen (§ 37 Abs. 2 SEBG analog). Jene Frist war jedoch bei Antrags­einreichung bereits verstrichen. Alternativ käme, analog der zu § 19 BetrVG aner­kannten Grundsätzen, die Annahme der Nichtigkeit der Wahl der Mitglieder des BVG in Betracht. Damit müsste in der Konsequenz das Wahlverfahren nach §§ 4 ff. SEBG von der Leitung der SE neu initiiert werden, nicht jedoch ein SE Betriebsrat kraft Gesetz errichtet werden. Das eigentliche Klageziel könne mit dem Feststellungsantrag nicht erreicht werden. Weiterhin könne die Verpflichtung, das Wahlverfahren erneut durchzuführen, allein vor den ordentlichen Gerichten erreicht werden. Das Arbeitsgericht Berlin sei für das Streitentscheid a priori sachlich nicht zuständig.

  

Bewertung

Der Entscheidung des ArbG Berlin ist im Ergebnis zuzustimmen, wenngleich die Begründung in Gänze nicht zu überzeugen vermag.

  

Dem ArbG Berlin ist dahingehend zuzustimmen, dass dem Antrag der Gewerkschaft das Rechtsschutz­bedürfnis fehlt. Das begehrte eigentliche Antragsziel der Gewerkschaft, die Errichtung eines SE-Betriebs­rats nach den gesetzlichen Auffangregelungen der §§ 23 ff. SEBG, kann mit dem Antrag – gerichtet auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung – nicht erreicht werden. Alles andere würde auch dem SE-rechtlichen Grundprinzip, dem Vorrang der Verhandlungslösung zwischen den Parteien vor der Anwendung der gesetzlichen Auffang­regelungen, zuwiderlaufen. Erst wenn nach Wiederaufnahme der Verhandlungen der Abschluss einer rechtswirksamen Beteiligungsvereinbarung scheitert, ist entsprechend § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG die gesetzliche Auffangregelung – und somit auch die Bildung eines SE-Betriebsrats nach den gesetzlichen Vorschriften – anzuwenden.

 

Ihren Antrag begründet die Gewerkschaft im Übrigen damit, dass sie der Auffassung ist, dass sie weder ausreichend gem. § 4 Abs. 2 SEBG von der Unternehmensleitung informiert und zudem entgegen § 6 SEBG auch kein Gewerkschaftsvertreter im BVG als Mitglied beteiligt worden sei. Des Weiteren hätte im Inland eine Urwahl der Mitglieder des BVG unter allen Arbeitnehmern durchgeführt werden müssen. Im Kern macht daher die Gewerkschaft Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften zur Bildung des BVG (§§ 4 ff. SEBG) geltend.

 

Die Geltendmachung von Verfahrensfehlern bei der Wahl des BVG ist im SEBG nicht ausdrücklich geregelt. Zu Recht nimmt aber das ArbG Berlin an, dass das gemäß § 37 Abs. 2 SEBG (analog) sich hätte zutragen müssen. Die Anfechtung der Wahl der Mitglieder des BVG hätte dann jedoch innerhalb der Monatsfrist nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses (20. Februar 2014) erfolgen müssen. Das kommt offensichtlich bei der vorliegenden zeitlichen Differenz zum Eingang der Antragsschrift (02. September 2015) von anderthalb Jahren nicht in Betracht. Auf dem Weg kann also die angestrebte Einflussnahme auf die Zusammensetzung des BVG nicht mehr erreicht werden.

 

Alternativ hätte eine Nichtigkeit der Wahl der Mitglieder des BVG aufgrund eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvor­schriften in grober und offensichtlicher Weise entsprechend § 19 BetrVG geltend gemacht werden können.

 

Auch dabei ist anzumerken, dass der Weg gesetzlich im SEBG nicht vorgegeben ist, jedoch von der herrschenden Meinung anerkannt wird. Ob ein solch gravierender Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegt, ist Tatfrage. Im Übrigen würde zwar eine nichtige Wahl der Mitglieder des BVG dazu führen, dass auch die Beteiligungsvereinbarung unwirksam ist. Konsequenz einer unwirksamen Beteiligungsvereinbarung ist jedoch – wie vom Gericht richtig dargestellt – nicht die Anwendbarkeit der gesetzlichen Auffangregelungen, sondern die Einleitung eines neuen Wahlverfahrens.

  

Nicht überzeugend lehnt das ArbG Berlin die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ab. Da vorliegend um die Wirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung nach dem SEBG und damit zusammenhängend die Ver­pflichtung zur Wiederaufnahme der Wahlverfahren gemäß § 4 ff. SEBG gestritten wird, handelt es sich eindeutig um eine Streitigkeit aus dem SEBG. Die Gewerkschaft begründet ihren Antrag zudem damit, dass das Verhandlungs­verfahren mangels ordnungsgemäßer Information der Leitung (§ 4 SEBG) und Beteiligung der Gewerkschaft (§ 6 SEBG) nicht gesetzeskonform durchgeführt worden sei. Sämtliche streitentscheidende Normen entstammen daher dem SEBG.

  

Wie bereits zuvor dargelegt sind gem. § 2a Abs. 3e ArbGG für alle Angelegen­heiten aus dem SEBG die Arbeitsgerichte umfassend zuständig. Insbesondere sind auch Rechtsstreitigkeiten die Information der Leitung (§ 4 SEBG), die Mindestzahl der Gewerkschaftsvertreter im BVG (§ 6 Abs. 3 SEBG) und weitere Fragen zur Wahl das BVG betreffend der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesen. Das Vorliegen eines Ausnahme­falles nach den §§ 45, 46 sowie § 34-39 SEBG ist hier nicht gegeben. Von einer Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit im vorliegenden Fall war daher auszugehen.

  

Fazit

Das SE-Recht ist und bleibt nicht zuletzt durch das Zusammenspiel national und supranationaler Normen unterschied­licher Hierarchieebenen komplex. Darüber hinaus gibt es sehr wenige gerichtliche Entschei­dungen, was zahlreiche Fragen in der Rechtsanwendung aufwirft.

 

Die Unsicherheiten in der Beratungs­praxis beginnen bereits bei der Frage des zu beschreitenden Rechts­wegs bei Streitigkeiten innerhalb der SE.

  

Es bleibt also zu hoffen, dass weitere Klarstellungen durch die Judikative erfolgen. Alternativ könnte auch der Gesetzgeber durch Implementierung einer gesetzlichen Regelung nachhelfen.

 

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Quelle: DER KONZERN 03/2017     


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