Dringender Handlungsbedarf für Arbeitgeber aufgrund strengerer Nachweispflichten aus dem Nachweisgesetz

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veröffentlicht am 18. Juli 2022 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Aus dem zahnlosen Tiger wird ein scharfes Schwert


Mit Verabschiedung der Änderungen des Nachweisgesetzes (nachfolgend auch: „NachwG“) stellt ab dem 01.08.2022 ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus dem Nachweisgesetz nunmehr eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 4 NachwG n.F.). 


Damit wird aus dem bislang wohl eher zahnlosen Tiger des Nachweisgesetzes ein nunmehr zumindest schärferes Schwert des Arbeitnehmers , dessen Hiebe der Arbeitgeber, ist er richtig vorbereitet, gleichwohl nicht fürchten muss.


Ausgangslage

Das Nachweisgesetz verfolgt primär den Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere derer in prekären Arbeitsverhältnissen, die oftmals keinen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten haben, indem diese über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses informiert werden (sog. Nachweispflichten) und jeder Arbeitnehmer Kenntnis von seinen arbeitsvertraglichen Rechten und Pflichten erlangt.

Am 23.06.2022 hat der Bundestag Neuerungen im Nachweisgesetz und anderen Gesetzen verabschiedet (BT-Drs. 20/1636, 20/2392), die bereits am 01.08.2022 in Kraft treten werden und mit welchen die Umsetzung Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (nachfolgend: „Arbeitsbedingungen-RL“) in nationales Recht erfolgt.

Diese führt zu wesentlichen Änderungen des bisher eher minder beachteten Nachweisgesetzes. Durch die Gesetzesänderungen werden (i) die sog. Nachweispflichten nicht unerheblich erweitert, (ii) die Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen in Bezug auf die Höchstdauer einer Probezeit, Mehrfachbeschäftigung, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit, Ersuchen um einen Übergang zu einer anderen Arbeitsform sowie Pflichtfortbildungen festgelegt und (iii) die Durchsetzung der Bestimmungen durch Bußgelder gewährleistet.

Nachweispflichten – Status quo

Die Nachweispflichten sind nicht neu. Vielmehr war bereits bislang in § 2 des NachwG a.F. die Verpflichtung des Arbeitgebers geregelt, die wichtigsten Vertragsbestimmungen schriftlich niederzulegen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Darunter zählten nach der bisherigen gesetzlichen Grundlage die folgenden Regelungsinhalte:
  • Name und Anschrift der Vertragsparteien
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung
  • Arbeitsort
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
  • Arbeitszeit
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
  • Kündigungsfristen
  • allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind

Aufgrund der Tatsache, dass diese Regelungsinhalte bereits üblicherweise in den Arbeitsvertrag integriert waren, und ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus dem Nachweisgesetz – bis auf prozessuale Folgen in Bezug auf die Beweislast – nicht geahndet wurde, war die Relevanz des NachwG für die arbeitsrechtliche Welt bis dato von eher geringerer Bedeutung.

Weitergehende Nachweispflichten ab dem 01.08.2022

Ab dem 01.08.2022 müssen gemäß § 2 NachwG n.F. zusätzlich unter anderem folgende Regelungsinhalte schriftlich festgehalten und dem Arbeitnehmer ausgehändigt werden:
  • Enddatum des Arbeitsverhältnisses bei befristeten Arbeitsverhältnissen
  • ggfs. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer, sofern diese vereinbart ist
  • sofern eine Probezeit vereinbart ist, die Dauer der Probezeit, wobei diese bei einem befristeten Arbeitsverhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit in einem angemessenen Verhältnis stehen muss;
  • die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden; der Zuschläge; der Zulagen; Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung;
  • die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen;
  • sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen;
  • bei Arbeit auf Abruf die Regelung, dass sich die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers an dem Arbeitsanfall orientiert, die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, der Zeitraum, der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist und die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat;
  • ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung;
  • wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist;
  • das bei der Kündigung des Arbeitsvertrages vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Frist für die Kündigung des Arbeitsvertrages, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage;
  • Hinweis auf die geltenden Tarifverträge; Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen. Etwaige Gesetzesänderungen oder Änderungen in Tarifverträgen oder Betriebs– oder Dienstvereinbarungen müssen weiterhin nicht schriftlich angezeigt werden. 

Weiterhin muss der Arbeitgeber künftig zusätzlich für Sachverhalte, in denen der Arbeitnehmer länger als vier aufeinanderfolgende Wochen im Ausland arbeitet bzw. unter die EU-Entsendungsrichtlinie 97/71/EG (nachfolgend: „Entsende-RL“) fällt, die Nachweispflichten über folgende Punkte erfüllen:
  • Angabe des jeweiligen Landes/der Länder, in denen der Arbeitnehmer tätig werden soll;
  • Angabe der zu zahlenden Vergütung des Aufnahmestaates
  • Hinweis des Arbeitnehmers auf den Link der offiziellen nationalen Webseite des Aufnahmestaates nach dem Binnenmarkt-Informationssystem (nachfolgend: „IMI“)

Einführung von Sanktionen bei Verstößen 

Ein erheblicher Unterschied zwischen den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen und den entsprechenden gesetzlichen Änderungen ab dem 01.08.2022 sind die in § 4 NachwG n.F. eingeführten Sanktionen.

Gesetzlich waren bislang bei etwaigen Verstößen gegen die Nachweispflichten keine Sanktionen vorgesehen. Arbeitnehmer konnten im Einzelfall lediglich gegen den Arbeitgeber Schadensersatzansprüche geltend machen. Zudem konnten Verstöße gegen die Nachweispflichten aus dem Nachweisgesetz vor den Arbeitsgerichten zu beweisrechtlichen Nachteilen führen.

Nach der Gesetzesänderung soll für den Fall, dass Unternehmen die Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbedingungen nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigen, ein Bußgeld bis zu einer Höhe von 2.000 € anfallen. 

Damit ist erstmalig im Nachweisgesetz eine gesetzlich geregelte Sanktionierung verankert. Gleichzeitig werden die von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast bei Verstößen gegen die Nachweispflichten und etwaige Schadensersatzsprüche nicht an Bedeutung verlieren.

Erhebliche Verkürzung der Fristen – dreistufige Aushändigungsfristen

Während der Arbeitgeber nach bisherigen Fassung des NachwG einen Monat Zeit hatte die Nachweispflichten zu erfüllen – sofern sie nicht ohnehin (wie üblich) bereits im Arbeitsvertrag geregelt waren –, gelten nunmehr folgende dreistufige Fristen, die sowohl zwischen wesentlichen und eher nachrangigen Vertragsbedingungen, als auch hinsichtlich des Zeitpunkts des Vertragsschlusses differenzieren:

Bezüglich Neueinstellungen muss – im Unterschied zur bisherigen Rechtslage, in der eine Monatsfrist galt – bereits am ersten Arbeitstag dem Arbeitnehmer eine Niederschrift mit den wesentlichen Informationen wie z.B. (i) über den Namen und die Anschrift der Vertragsparteien, (ii) die Höhe des Arbeitsentgelts und seine Zusammensetzung sowie (iii) über die Arbeitszeit vorliegen. 

Weitere Nachweispflichten, z.B. (i) über den Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses, (ii) den Arbeitsort oder (iii) die Tätigkeitsbeschreibung müssen spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses nachgereicht werden. 

Informationen, beispielsweise über (i) den Urlaubsanspruch, (ii) die betriebliche Altersversorgung und (iii) über Pflichtfortbildungen müssen spätestens innerhalb eines Monats bereitgestellt werden.

Beschäftigte, die vor dem 01.08.2022 eingestellt wurden, müssen nur dann schriftlich über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen unterrichtet werden, wenn sie den Arbeitgeber zuvor aufgefordert haben. Erst dann gilt eine Frist von sieben Tagen zur Erfüllung der Nachweispflichten durch den Arbeitgeber. Ändern sich die wesentlichen Bestimmungen in bestehenden Arbeitsverträgen, dann muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer spätestens am Tag der Änderung unterrichtet haben. 

Das Nachweisgesetz – ein Hemmschuh für die (notwendige) Digitalisierung

Nicht nachvollziehbar und aus unserer Sicht letztendlich kontraproduktiv ist der Umstand, dass der Nachweis nach dem Nachweisgesetz nur schriftlich, nicht aber in elektronischer Form möglich sein soll, obwohl die Arbeitsbedingungen-RL eine Übermittlung auf elektronischem Wege im Hinblick auf den verstärkten Einsatz von digitalen Kommunikationsmitteln ermöglicht (Erwägungsgrund 24 der Arbeitsbedingungen-RL). Obwohl (i) die Richtlinie die Zeichen der Zeit erkennt und vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung die elektronische Form als ausreichend erachtete, (ii) wir Anwälte seit dem 01.01.2022 gesetzlich verpflichtet sind, Schriftsätze bei den Gerichten elektronisch über das besondere elektronische Anwaltspostfach und (iii) das Ausdrucken, händische Unterzeichnen und postalische Versenden dem Anspruch einer modernen und nachhaltigen, d.h. auch ressourcenschonenden Arbeitswelt nicht genügen kann und darf, hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, es bzgl. der elektronischen Form bei dem Rechtsstand des Jahres 1994 zu belassen.

Die Überschrift des Artikels des Wirtschaftskorrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin, Herrn Dietrich Creutzburg, „Digitalisierung unter Strafe verboten“ ist daher durchaus nicht überspitzt formuliert.

Folge ist letztendlich, dass die Digitalisierung der Human Resources Abteilungen, die notwendig ist, um im internationalen Wettbewerb wettbewerbsfähig zu bleiben, (wieder einmal) ausgebremst wird und sich die faktische Schriftformpflicht für Arbeitsverträge weiter verfestigt. Schließlich entfällt die Verpflichtung zu einer gesonderten Information des Arbeitnehmers gem. § 2 Abs. 5 NachwG n. F. nur dann, wenn dem Arbeitnehmer ein schriftlicher Arbeitsvertrag ausgehändigt wurde, der alle notwendigen Angaben enthält.

Sich bereits abzeichnende Problemfelder

Informationen zum Verfahren bei Kündigungen

Zwar soll ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/1636, S. 27) auch im Falle einer nicht oder nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung über das bei der Kündigung des Arbeitsvertrages vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren die Präklusionsvorschrift des § 7 Kündigungsschutzgesetz (nachfolgend: „KSchG“) Anwendung finden. Damit ist eine Kündigung schon dann rechtswirksam, sofern der Arbeitnehmer nicht binnen der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG Kündigungsschutz- oder Feststellungklage beim Arbeitsgericht erhebt, unabhängig von einem Verstoß gegen die Nachweispflichten. In der Literatur wird jedoch bereits angedacht, dass eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gem. § 5 KSchG möglich ist.

Zudem wird in der Literatur bereits lebhaft diskutiert, über welche Aspekte des Verfahrens bei Kündigungen konkret zu informieren ist. Zwar werden in § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG n.F. Mindestanforderungen genannt. Es ist indes umstritten, ob und wenn ja, über welche weiteren Aspekte des Verfahrens bei Kündigungen die Nachweispflichten gelten, insbesondere ob auch über das komplexe Verfahren bei Massenentlassungen oder der Einbeziehung des Inklusionsamts etc. zu unterrichten ist.

Besonderheiten im Befristungsrecht 

Vor dem Hintergrund, dass aufgrund der Änderungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (nachfolgend: „TzBfG“) die Probezeit nunmehr in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Befristung stehen muss, besteht zu befürchten, dass im Falle von kurzen Befristungen eine Probezeit von sechs Monaten von dem zuständigen Arbeitsgerichten als unzulässig erachtet wird.

Im Falle einer Tätigkeit von mehr als sechs Monaten im Rahmen einer Befristung, kann der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gem. § 7 TzBfG n.F. künftig den Willen nach einem unbefristeten Arbeitsvertrag darlegen, worauf der Arbeitgeber wiederum in Textform binnen eines Monats begründend erwidern muss. Welche inhaltlichen Voraussetzungen die Antwort erfüllen muss, sind der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/1636, S. 19, 34) indes nicht zu entnehmen. 

Ausschlussfristen

Ebenfalls noch nicht abschließend geklärt ist, ob trotz fehlerhafter oder unvollständiger Nachweispflichten die jeweiligen Ansprüche von vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen erfasst werden. Da Ausschlussfristen – also Regelungen, die besagen, dass Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verfallen, d.h. endgültig untergehen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach Fälligkeit geltend gemacht werden – zu den zentralen, den Arbeitgeber schützenden Normen gehören, ist allein aus diesem Grund, neben den zuvor bereits dargelegten Gründen, eine möglichst zutreffende Erfüllung der Nachweispflichten erforderlich.

Was ist zu tun? – Praxishinweise für Arbeitgeber

Vorab: Nein, die Änderungen des Nachweisgesetzes führen nicht dazu, dass alle Arbeitsverträge zwingend geändert werden müssen. Denn gem. § 5 NachwG ist dem Arbeitnehmer, hat das Arbeitsverhältnis bereits vor dem 01.08.2022 bestanden, erst auf sein Verlangen hin der Nachweis zu erteilen. 

Der Arbeitgeber sollte jedoch dringend seine Musterarbeitsverträge überprüfen und gegebenenfalls anpassen, da die gängigen Vertragsmuster die neuen Anforderungen des Nachweisgesetztes (noch) nicht berücksichtigen.

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Nachweis nach dem Nachweisgesetz lediglich um eine Wissenserklärung handelt, die daher grundsätzlich jederzeit einseitig geändert werden kann, sollte in jedem Einzelfall geprüft werden, welche der Nachweispflichten im Arbeitsvertrag selbst und welche in einem Nachweis, der dem Arbeitsvertrag als separate Anlage zum Arbeitsvertrag beigefügt wird, erfüllt werden.

Zudem sollte jeder Arbeitgeber eine Vorlage eines schriftlichen Nachweises nach dem Nachweisgesetz für die bis zum 31.07.2022 eingestellten Arbeitnehmer vorbereiten, die gem. § 5 NachwG n.F. ab dem 01.08.2022 einen Nachweis nach neuer Rechtslage anfordern können.

Aufgrund des baldigen Inkrafttretens der weitergehenden Nachweispflichten und der teilweise sehr kurzen Fristen, besteht insoweit dringender Handlungsbedarf für die Arbeitgeber. 

Im Übrigen bleibt abzuwarten, ob und wie die Arbeitsgerichte die teilweise weit gefassten Formulierungen des neugefassten Nachweisgesetzes konkretisieren. 
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