Pflicht der Geschäftsleitung zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nach § 1 StaRUG

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​veröffentlicht am 17. März 2023


Pflicht zur Einführung von Frühwarnsystemen

Mit Inkrafttreten des § 1 StaRUG zum 1. Januar 2021 schuf der Gesetzgeber für die Geschäftsleitung eine allgemeine und rechtsformübergreifende Pflicht, fortlaufend über diejenigen wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können. Zeichnen sich gefährdende Entwicklungen ab, so sind rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zur Krisenabwendung zu ergreifen und etwaige Überwachungsorgane zu informieren. Nachdem Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme und Inflation die Wirtschaft immer stärker belasten, rückt die Pflicht zur Einführung eines Frühwarnsystems wieder stärker in den Fokus. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Umfang des Pflichtenkanons und gibt Hinweise, wie diese nicht nur haftungsausschließend, sondern auch sinnvoll in der Praxis umgesetzt werden können.

 

Rechtslage vor Einführung des § 1 StaRUG und Rechtsfolge bei Pflichtenverstoß

Bislang war eine explizite Krisenfrüherkennungspflicht nur für Aktiengesellschaften in § 91 Abs. 2 AktG statuiert. Diesem zufolge hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden können. Streitig war indes, ob diese Regelung analog beispielsweise auch für die Geschäftsleitung einer GmbH gilt. Teilweise wurde auch vertreten, dass es einer Analogie nicht bedürfe, da sich eine solche Pflicht bereits aus § 42 Abs. 1 GmbHG - der den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmanns statuiert - ergäbe. Wieder andere vertraten die Auffassung, dass eine solche Pflicht nur für große Gesellschaften i. S. d. § 267 Abs. 3 HGB bzw. für kapitalmarktorientierte Gesellschaften bestünde.

 

Nachdem es vor Einführung des § 1 StaRUG mithin zunächst nur partiell rechtsformübergreifende Regelungen zur Einführung von Krisenfrühwarnsystemen gab, wird die Geschäftsleitung haftungsbeschränkter Rechtsträger nun nicht nur übergreifend verpflichtet, externe und interne Faktoren, welche den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten zu überwachen. Die Geschäftsleitung ist auch verpflichtet Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Rechtsfolgen ergeben sich aus einem Verstoß gegen diese Pflichten, jedoch nicht aus § 1 StaRUG selbst. Vielmehr ist an dieser Stelle auf die allgemeinen Organhaftungsregeln wie in § 43 GmbHG oder § 93 AktG statuiert zurückzugreifen.


Auch soll ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 StaRUG grundsätzlich nicht zu einer Außenhaftung der Geschäftsleitung führen. Vielfach wird daher vertreten, dass § 1 Abs. 1 StaRUG kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB darstelle. Auch wenn im Rahmen der Krisenfrüherkennungs- und Reaktionspflichten das (Gesamt-) Gläubigerinteresse zu berücksichtigen sei, so gelte dies wiederum nicht für das jeweilige Einzelinteresse eines jeden Gläubigers. Individualrechtsschutz soll durch die Regelung in § 1 Abs. 1 StaRUG gerade nicht gewährt werden. Die (Insolvenz-) Gläubiger sind, wie im Insolvenzrecht grundsätzlich üblich, als Gesamtheit zu sehen.


Auszuschließen bleibt aber auch hier weiterhin nicht eine Haftung nach § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. Für eine solche Haftung ist jedoch weit mehr als der bloße Verstoß gegen § 1 Abs. 1 StaRUG von Nöten.


In Bezug auf die Rechtsfolgen gegen den Verstoß gegen die Pflichten in § 1 Abs. 1 StaRUG kann mithin auf bereits bestehende Regelungen zurückgegriffen werden. Offen bleibt allerdings, wie die Pflicht zur Krisenfrüherkennung genau gewahrt werden könnte.

 

Einrichtung eines Krisenfrüherkennungssystems

„Wie” die Krisenfrüherkennung erfolgen soll, haben Gesetz- und Richtliniengeber nicht geregelt. Konkrete Pflichten werden nicht genannt. Eine Definition sucht man im Gesetz vergebens. Es bleibt daher auch hier zunächst nur der Rückgriff auf bereits anderweitig normierte und/oder entwickelte Maßstäbe.

So können als Anhaltspunkte für die Ausgestaltung eines Risikofrüherkennungssystems beispielsweise die Prüfstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW PS 3407) oder die zu § 91 Abs. 2 AktG entwickelten Grundsätze herangezogen werden. Detaillierte Ausführungen zur Ausgestaltung von Risikofrüherkennungssystemen enthält der nachfolgende Beitrag „Integration von Frühwarnsystemen in Unternehmensprozesse“.

Auch wenn die Einrichtung eines Systems zur Krisenfrüherkennung verpflichtend ist, so wird vertreten, dass der Geschäftsleitung in der Ausgestaltung selbst ein Ermessensspielraum einzuräumen ist.

Einzuschränken ist das unternehmerische Ermessen bei den Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung dahingehend, dass das implementierte Krisenfrühwarnsystem geeignet sein muss, eine taugliche Informations- und Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Hierbei ist insbesondere Rücksicht auf die Größe, die Branche, die Struktur, die Komplexität und die Rechtsform der Gesellschaft zu nehmen.

Zur hinreichenden Krisenfrüherkennung gehört es auch die gewonnenen Erkenntnisse zu dokumentieren. Des Weiteren hat eine Überwachung fortlaufend zu erfolgen. Neuere Erkenntnisse – gleich ob interne oder externe – sind unverzüglich zu verarbeiten.

Grundvoraussetzung für jedes belastbare System ist jedoch die Wahrung der Pflicht zur ordentlichen laufenden handelsrechtlichen Buchführung und Rechnungslegung. Auf diese bauen alle weiteren Maßnahmen auf. 

 

Pflicht zur Ergreifung von Krisenabwendungsmaßnahmen

Hat die Geschäftsleitung aufgrund des Krisenfrüherkennungssystems etwaige Risiken erkannt, ist sie verpflichtet, das Ausmaß der Krise und die Gründe dafür zu analysieren, an das überwachende Organ oder den Gesellschafter zu berichten und anschließend alle in Betracht kommenden Gegenmaßnahmen mit der Sorgfalt einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung zu prüfen und umzusetzen.

In komplexeren Unternehmen stellt bereits die Bestimmung des Krisenstadiums und der Krisenursache eine Herausforderung dar. Dabei ist für ein effizientes Krisenmanagement essenziell, das Ausmaß einer Krise und die Krisenursachen zu erfassen und nicht nur die Auswirkungen dieser zu bekämpfen.

Sanierungsgutachten, die den Anforderungen des IDW S6 unter Beachtung der Rechtsprechung des BGH entsprechen, dienen nicht nur der Erarbeitung von Sanierungsmaßnahmen. Sie sollten zudem auch die Krisenursachen analysieren und das Krisenstadium aufzeigen. Basierend hierauf sind dann nicht nur Maßnahmen gegen die Auswirkungen der Krise einzuleiten, sondern idealerweise auch gegen die Krisenursache.

Ebenso wie bei den Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung regelt der Gesetzgeber auch hier nur, dass Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen sind, ohne genauer zu bestimmen, wie diese genau aussehen sollen. Dem Gesetzestext ist nur zu entnehmen, dass etwaige Gegenmaßnahmen geeignet sein müssen, um eine Gefährdung des Fortbestands der Gesellschaft auszuschließen. Darüber hinaus sind auch hier die allgemein geltenden Sorgfaltspflichten maßgeblich.

Die Geeignetheit einzelner Sanierungsmaßnahmen lässt sich nur unternehmensbezogen und im Einzelfall beurteilen. Wichtig erscheint hier für den Ausschluss von etwaigen Haftungsansprüchen, dass Entscheidungen der Geschäftsleitung auf Basis angemessener Informationen getroffen werden müssen. Insbesondere in diesem Zusammenhang ist auch hier eine umfangreiche Krisenanalyse von erheblicher Bedeutung.

In Fällen einer Stakeholder-, Strategie-, oder Produkt- und Absatzkrise könnte das Ergreifen von gesellschaftsrechtlichen und strategischen Maßnahmen beispielsweise in Form von Ausgliederungen, Aufnahme eines Investors oder der Umstellung der Vertriebsstrategie hilfreich sein. Bei akuter und anhaltender Absatzkrise könnten leistungswirtschaftliche Maßnahmen in Form von Kostenreduzierung im Produktions- und Personalbereich geeignet sein, um eine nachgelagerte Ertragskrise vorzubeugen.

Regelmäßig werden Krisen allerdings erst im Stadium der Ertrags- oder Liquiditätskrise sichtbar. Hier könnte das Ergreifen von finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen, beispielsweise in Form von Umfinanzierungen, Stundungs- oder Ratenvereinbarungen mit Großgläubigern, Aufnahme von Finanzinvestoren, Sale-and-lease-back, Factoring und/oder das Aufstocken des Eigenkapitals hilfreich sein. Auch sind die vom Gesetzgeber geschaffenen Sanierungsinstrumente eines StaRUG-Verfahrens oder eines Insolvenzplanverfahrens in Eigenverwaltung zu berücksichtigen. Hier können diverse vom Gesetzgeber eingeräumte Sanierungsinstrumente unter erleichterten Bedingungen in Anspruch genommen werden. Maßnahmen wie ein Schuldenschnitt, die erleichterte Beendigung von Dauerschuldverhältnissen und/oder die zwangsweise Durchsetzung von Gesellschaftsmaßnahmen sind nur einige Beispiele.

Um die Geeignetheit von Sanierungsmaßnahmen bestimmen zu können, sind diese zudem in einer betriebswirtschaftlichen Unternehmensplanung zu erfassen. Der Planungszeitraum sollte hierbei in Anlehnung an § 18 InsO mindestens 24 Monate umfassen. 

 

Berichtspflicht

Gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG hat das geschäftsführende Organ den Überwachungsorganen unverzüglich, mithin ohne schuldhaftes Zögern, Bericht zu erstatten, wenn sie bestandsgefährdende Entwicklungen gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG erkennen, damit diese ihrer Überwachungspflicht nachkommen können. Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 StaRUG unberührt. Wie die Berichtspflicht genau aussieht, ist nicht näher ausgeführt. Auch hier geben somit die allgemein geltenden Sorgfaltspflichten, wie sie beispielsweise für den Vorstand nach § 90 AktG gelten, den Maßstab vor. In § 90 Abs. 4 AktG heißt es, dass die Berichterstattung den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft entsprechen muss. Vorstandsmitglieder sind entsprechend den hierzu entwickelten Maßstäben dem Aufsichtsrat zu rückhaltloser Offenheit verpflichtet und haben diesen vollumfänglich und verständlich zu informieren.

Um den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen, sollte der Bericht mithin inhaltlich vollständig, übersichtlich, nachprüfbar, zeitgerecht und sachlich richtig sein. Zur sachlichen Richtigkeit gehört auch die Trennung von Tatsachen und Wertungen.

Hinsichtlich der zeitlichen Komponente gibt § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG im Gegensatz zu § 90 Abs. 4 S. 2 AktG vor, dass diese unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern und rechtzeitig zu erfolgen hat. Rechtzeitigkeit i. S. d. § 90 Abs. 4 S. 2 AktG bedeutet ausweislich der Gesetzesmaterialien, dass die vom Aufsichtsrat zu erstellenden Berichte jedenfalls vor etwaigen Aufsichtsratssitzungen zu übermitteln sind, und zwar so zeitig, dass die Aufsichtsratsmitglieder noch die Möglichkeit haben, sie zu lesen. Die Rechtzeitigkeit nach dem AktG richtet sich somit grundsätzlich nach den im Aktiengesetz vorgegebenen Zyklen, zu denen das Aufsichtsorgan tagt. Ohne schuldhaftes Zögern hingegen bedeutet wiederum, dass die Geschäftsleitung so schnell wie möglich über Entwicklungen, welche den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten, berichtet, also auch außerhalb jedweder ordentlicher Berichtszyklen.

Allein aus Dokumentationsgründen und in Anlehnung an § 90 Abs. 4 S. 2 AktG sollte die Berichterstattung zudem schriftlich erfolgen.

Erweiternd führt § 1 Abs. 1 S. 3 StaRUG aus, wenn die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe berühren, dann hat die Geschäftsleitung unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken.

 

Fazit

Der bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene § 1 StaRUG normiert nun ausdrücklich eine rechtsformübergreifende Pflicht der Geschäftsleitung zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement. Auch wenn diese Pflichten nicht erst mit dem StaRUG begründet wurden, gibt es bisher keine genauen Maßgaben der Rechtsprechung und keine Leitlinien der üblichen Standardsetzer (wie z. B. des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.), was die Geschäftsleitung konkret zur Erfüllung dieser Pflichten tun muss. Das birgt gewisse Risiken. Bei schuldhafter Verletzung der Pflichten droht der Geschäftsleitung eine zivilrechtliche Haftung gegenüber der Gesellschaft. Die im Rahmen dieses Beitrags skizzierten Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geben Anhaltspunkte dafür, wie die Geschäftsleitung Haftungsgefahren minimieren kann. Solange konkrete Vorgaben der Rechtsprechung fehlen, sollten sich Unternehmen individuell beraten lassen, welche Maßnahmen in ihrem konkreten Fall – unter Berücksichtigung der bereits im Unternehmen vorhandenen Systeme – geboten sind. Dies schließt im Zweifel nicht nur etwaige Haftungspotenziale aus, sondern hilft Krisenursachen frühzeitig zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Einzelne Krisenbewältigungsmaßnahmen können so sogar unerwartete Potenziale im Unternehmen heben und die Sanierung und somit die nachhaltige Stärkung des Unternehmens erleichtern.

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