Grenzüberschreitende Umstrukturierung in der Praxis

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Umstrukturierung Im Zuge des internationalen Wachstums von Familien­unternehmen sind grenzüberschreitende Umstrukturie­rungen stark nachgefragt. Die Gesellschaftsrechts- und Steuerrechtsexperten Horst Grätz und Andreas Brunnhübner berichten im Interview aus der Praxis dieser komplexen Projekte über die Grenzen von Ländern, Jurisdiktionen und Steuersystemen hinweg.

 


Was versteht man unter einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Eine grenzüberschreitende Umstrukturierung kann sich in unterschiedlicher rechtlicher Ausgestaltung vollziehen z.B. im Rahmen einer Verschmelzung. Für Kapitalgesellschaften ist innerhalb der Europäischen Union sowohl durch die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, als auch durch die Fusionsrichtlinie 90/434/EWG eine  Grundlage für die gesetzliche Umsetzung von Erleichterungen für grenzüberschreitende Umstrukturierungen in das nationale Recht geschaffen worden. Darüber hinaus kann sich eine grenzüberschreitende Umstrukturierung innerhalb der Europäischen Union auch durch eine Sitzverlegung durchgeführt werden, falls diese aufgrund der herrschenden Gründungstheorie möglich ist. Hierbei verlegt eine Gesellschaft innerhalb der Europäischen Union ihren Verwaltungssitz, d.h. der Ort, an dem die administrative Verwaltung und Steuerung des Unternehmens erfolgt, über die Grenze hinweg. Auf Basis eines Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg aus dem Jahre 2013 kommt unter gewissen Voraussetzungen auch eine Verlegung des sogenannten Satzungssitzes, d.h. des Sitzes, nach dem sich das Gesellschaftsstatut richtet und der in öffentlichen Registern gegebenenfalls eingetragen ist, in Betracht. Notwendig für eine solche Sitzverlegung ist allerdings ein Formwechsel im Ausland. Hierbei muss die gewählte ausländische einer inländischen Rechtsform entsprechen. Des Weiteren kann sich eine grenzüberschreitende Umstrukturierung in Konzernsachverhalten auch dadurch vollziehen, dass bestehende Gesellschaften unterschiedlicher Nationen konzernintern „umgehängt” werden.

 

Bietet hier nicht auch die Europäische Aktiengesellschaft eine Option?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Auch die Verschmelzung zweier Kapitalgesellschaften aus verschiedenen europäischen Staaten zu einer Societas Europaea (SE) kann eine Option für eine grenzüberschreitende Umstrukturierung darstellen. Durch die Ermöglichung der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, haben jedoch früher gewählte Gestaltungsinstrumente, insbesondere die sogenannten Anwachsungsmodelle, an Bedeutung verloren. Insbesondere aufgrund der Europäisierung des Rechts stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, grenzüberschreitende Umstrukturierungen durchzuführen.

 

Rödl & Partner berät immer mehr internationale Umstrukturierungsprojekte. Teilweise laufen diese über mehrere Jahre in verschiedenen Ländern. Was sind die Treiber hinter dieser Entwicklung?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Die hinter dieser Entwicklung stehenden Treiber sind vielfältig. Die zunehmende Globalisierung erfordert, auch schon für junge Unternehmen, eine zunehmende internationale Präsenz. Insbesondere aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es zumeist sinnvoll Standorteffekte im Ausland und hieraus resultierende Synergieeffekte zu nutzen. Die Internationalisierung ist mithin zunehmend ein unabdingbarer Bestandteil einer langfristig erfolgreichen Unternehmensentwicklung. Jedoch ergeben sich durch die zunehmende schnelle internationale Expansion häufig Konstruktionen, die nicht adäquat in die Gesamtstruktur eines Unternehmens hinsichtlich steuerlicher und rechtlicher Auswirkungen eingebunden werden. So entstehen Konzernstrukturen, die steuerlich, haftungsrechtlich oder aus Steuerungs-Gesichtspunkten, der sogenannten Governance, nicht ausgegoren sind. Insbesondere die Vermeidung eines Untergangs von steuerlichen Verlustvorträgen spielt hierbei eine wichtige Rolle.

 

Und hier haken Sie ein?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Richtig, unsere Aufgabe ist es dann, Strukturen zu entwickeln, die die unternehmerische Maxime berücksichtigen, ohne dass Zielsetzungen anderer Unternehmen im Konzern nachteilig beeinflusst werden. Es ist entscheidend immer fallspezifisch eine Struktur steuerlich und rechtlich optimal und passgenau auf die konkrete Situation abzustimmen. Grundlage hierbei ist eine exakte Dokumentation der verschiedenen Rechtsbeziehungen und Eigentumsbeziehungen im Konzern. Die auf Basis dieser Dokumentation gemeinsam mit unserem Mandanten geschaffene Struktur ist ferner darauf ausgelegt, weitere Unternehmensziele und insbesondere künftiges integratives Wachstum zu ermöglichen und zu fördern.

 

Können Sie Beispiele für Umstrukturierungen nennen, bei denen die zu Beginn gesetzten Ziele erreicht oder übertroffen wurden?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Aktuell betreuen wir mehrere europaweite und internationale Umstrukturierungsprojekte. Unter anderem betreuen wir gerade eine grenzüberschreitende Verschmelzung zweier Tochtergesellschaften eines europaweit tätigen gewerblichen Immobilienentwicklers. Zielrichtung ist hier die Schaffung einer effizienten Konzernstruktur, die wiederum Grundlage für zukünftiges strukturiertes und homogenes Wachstum bilden soll. In diesem Fall ist bereits vor vollständigem Abschluss des jeweiligen Projektes erkennbar, dass die freiwerdenden Ressourcen eine Basis für einen weiteren Ausbau des operativen Geschäftes bieten und konzerninterne Entscheidungsprozesse hierdurch optimiert werden können. Ebenfalls zu nennen sind Projekte bezüglich Rechtsformwechsel hin zu einer transparenten Besteuerung, die wir relativ häufig durchführen. Ziel eines solchen Rechtsformwechsels ist, dass die Konzernsteuerquote gemindert wird und insbesondere Gewinne steuerfrei entnommen werden können. Eine solche Umstrukturierung bewirkt, dass die durch die geringere Steuerbelastung freiwerdenden liquiden Mittel zur Stärkung der Stellung im internationalen Wettbewerb in Form von Investitionen eingesetzt werden können.

 

Wie wichtig ist dabei für die Mandanten das Zusammenspiel der gesellschaftsrechtlichen und steuerrechtlichen Expertise? Welche speziellen Fachkenntnisse spielen darüber hinaus für Familienunternehmen die größte Rolle?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Umfassende Kenntnisse hinsichtlich des jeweils geltenden Steuer- und Gesellschaftsrechts, sowie häufig auch hinsichtlich anderer Rechtsgebiete wie das Arbeitsrecht bilden die Basis einer qualitativ hochwertigen Beratung. Insbesondere bei Umstrukturierungen von Familienunternehmen sind – anders als bei Umstrukturierungsvorgängen kapitalmarktorientierter Unternehmen – die hinter den jeweiligen Unternehmen stehenden Interessen der Anteilseigner in besonderem Maße zu berücksichtigen. So ist es bereits bei der Konzeption des Umstrukturierungsvorhabens sehr wichtig, die steuerlichen Belastungswirkungen auf die Anteilseigner zu berücksichtigen, aber auch das Schicksal der Arbeitnehmer nicht zu vernachlässigen, denn der persönliche Umgang eines Familienunternehmens mit seinen Mitarbeitern stellt häufig die Grundvoraussetzung für den unternehmerischen Erfolg dar.

 

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen bei internationalen Strukturierungsprojekten? Was sind die größten Stolperfallen aus steuerlicher und gesellschaftsrechtlicher Sicht?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Die Herausforderung bei internationalen Strukturierungsprojekten liegt sicherlich darin, dass zur rechtssicheren Durchführung eine umfassende Kenntnis des rein nationalen Rechts nicht ausreicht. Das Zusammenspiel der beteiligten Rechtsordnungen mit ihren teilweise sehr unterschiedlichen Grundsätzen ist vorab genau zu prüfen und aufeinander abzustimmen, um eine Umstrukturierung reibungslos durchführen zu können. Folglich bedarf es Experten in den jeweiligen Ländern, die neben exzellenten Kenntnissen der rein nationalen rechtlichen und steuerlichen Vorschriften auch Erfahrung im Umgang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten haben. Eine enge Abstimmung der nationalen Berater untereinander und natürlich auch ein kulturelles Verständnis füreinander sind für einen Projekterfolg dabei unerlässlich Zusätzlich sind aktuelle Entwicklungen der Rechtsordnungen auf nationaler und internationaler Ebene zu verfolgen, um Strukturen auch mit Bedacht zukünftiger Gesetzesänderungen zu konzipieren.
 

Die Begleitung internationaler Strukturierungsprojekte ist sicherlich eine der herausforderndsten, aber auch einer der spannendsten Tätigkeiten, mit der man in der gesellschafts- und steuerrechtlichen Gestaltungsberatung konfrontiert wird. Dabei können schon kleinste Unachtsamkeiten erhebliche Auswirkungen für die beteiligten Unternehmen haben. Deshalb sind im steuerlichen Kontext insbesondere die Aufdeckung stiller Reserven und der Untergang von Verlusten zu vermeiden. Im Hinblick auf die gesellschaftsrechtliche Durchführung wird häufig die penible Einhaltung wesentlicher Formvorschriften unterschätzt, sodass z.B. unter Umständen die gesamte Struktur aufgrund einer Fristversäumnis oder einer Unterschrift scheitern kann. Häufige Problematik bezüglich Herausverschmelzungen ist beispielsweise, zu hinterfragen, ob die aus dem deutschen Umwandlungsrecht bekannte Rückwirkungsfrist auch in der ausländischen Rechtsordnung in gleicher Weise besteht oder ob diese strengere Voraussetzungen an eine Rückwirkung knüpft bzw. eine Rückwirkung generell nicht für zulässig erachtet wird.

 

Welche Rolle spielt die arbeitsrechtliche Struktur bei der internationalen Reorganisation?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Die arbeitsrechtlichen Gegebenheiten bei den zu strukturierenden Gesellschaften sind im Hinblick auf die jeweils anwendbaren Rechtsordnungen vorab genau zu analysieren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertretungen sehr zeitaufwendig sein kann. Dieser Aspekt muss daher von Anfang an bei der Entwicklung einer Struktur berücksichtigt werden. Dabei ist allerdings zu erwähnen, dass die Begrifflichkeit „Umstrukturierung” häufig mit Kosteneinsparungs- und Personalabbaumaßnahmen assoziiert wird. Dies liegt sicherlich auch ein Stück weit daran, dass dieser Aspekt insbesondere in den Medien polarisiert wird. Unsere Erfahrung aus der Praxis zeigt jedoch, dass bei grenzüberschreitenden, multinationalen Umstrukturierungsvorgängen Rationalisierungsgedanken im Hinblick auf die Belegschaft, wenn überhaupt, nur eine geringe  Rolle spielen. Hingegen stehen neben der Minderung der Steuerbelastung, die Schaffung einer effizienteren Konzernstruktur zur Minderung von Haftungsrisiken und gleichzeitiger Stärkung der Governance gewöhnlich im Vordergrund. Dadurch werden die Rahmenbedingungen für weiteres Wachstum geschaffen.

 

Ein Kernthema bei Umstrukturierungen ist die steuerliche Optimierung. Welche Vorteile lassen sich mit einer verbesserten Struktur steuerlich erzielen?

Andreas Brunnhübner: Bereits geringfügige Unterschiede in der Unternehmens- bzw. Konzernstruktur können sich steuerlich enorm auswirken. Zwischen einer steuerlich optimierten und einer steuerlich nachteiligen Konzernstruktur kann sich in der Konzernsteuerquote eine Differenz von bis zu 25 % und mehr ergeben. Gerade im internationalen Kontext ist zur langfristigen Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ebenfalls multinationalen ausgerichteten Konzernen eine optimale steuerliche Struktur von enormer Bedeutung. Dabei steht nicht die Ausnutzung eventuell bestehender Steuerschlupflöcher oder die Verlagerung von Besteuerungssubstrat in sogenannte „Steueroasen” im Vordergrund, sondern es geht um die steuerliche Optimierung bestehender Auslandsaktivitäten, die Unternehmen im Zuge ihrer wirtschaftlichen Expansion bewusst begonnen haben, um ihre unternehmerischen Ziele auf dem europäischen bzw. Weltmarkt zu verfolgen. 

 

Welche Bedeutung haben vorausschauende Strukturierungen, etwa bei der Gründung von Landesholdings zur steuerlichen Optimierung?

Andreas Brunnhübner: Eine vorausschauende Strukturierung ist unzweifelhaft immer von Vorteil, da nachträgliche, teilweise sehr komplizierte Anpassungen z.B. aufgrund späterer Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen nicht mehr erforderlich sind. Eine Gesamtkonzeption, die die Internationalisierung eines Unternehmens von Anfang an rechtlich und steuerlich begleitet, ist daher immer anzuraten, da dadurch ein aufeinander abgestimmtes System geschaffen werden kann, welches eine effiziente interne Prozesssteuerung ermöglicht, Haftungsrisiken minimiert, Steuervorteile ausnutzt und so langfristig Kosten einspart bzw. vermeidet. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass eine umfassende Vorab–Konzeption häufig an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten eines schnellen Auslandswachstums scheitert. Nachträgliche Umstrukturierungen sind dann meist nicht vermeidbar.

 

Viele Unternehmen kaufen im Zuge der internationalen Expansion Betriebe oder Beteiligungen im Ausland. Ist ein Teil der Strukturierungsprojekte daher auf die Integration eines Unternehmens in den Konzern zurückzuführen?

Horst Grätz: Dies ist ganz sicherlich der Fall, insbesondere dann, wenn die erworbenen Beteiligungen im Ausland Rechtsformen aufweisen, die entweder neue Haftungsgefahren mit sich bringen oder nicht ohne weiteres in die bestehende Steuerstruktur des Konzerns integriert werden können. Der Erwerb von Auslandsbeteiligungen ist daher nicht selten Auftakt nachfolgender Umstrukturierungsmaßnahmen zum Zwecke bzw. als Bestandteil der sog. Post-Merger-Integration.

 

Eng verbunden mit der Organisationsstruktur ist die Frage der Haftung. Welche Bedeutung hat dies beim Aufbau neuer Strukturen im internationalen Geschäft?

Horst Grätz: Die Frage der Haftung und Haftungsvermeidung ist – neben steuerlichen Erwägungen – gerade bei Unternehmen, deren Tätigkeit mit nicht unerheblichen Haftungsrisiken verbunden ist, von zentraler Bedeutung. Unsere Aufgabe ist es dabei, durch eine entsprechende Strukturierung, beispielsweise dem Einziehen von Zwischenholdings oder der Umwandlung in Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung, eine gewisse Haftungsabschottung, vor allem im Hinblick auf die Anteilseigner, zu erreichen. Nehmen Sie z.B. einen Dienstleister, der sich auf die Erbringung von Ingenieurdienstleistungen für große Infrastrukturprojekte auf dem afrikanischen Kontinent spezialisiert hat. Hier ist bereits die Tätigkeit an sich mit Haftungsrisiken verbunden, die im schlimmsten Fall ein existenzgefährdendes Potential besitzen. Die Rechtsunsicherheiten, die die Tätigkeit auf dem afrikanischen Kontinent mit sich bringt, können die Haftungsgefahr noch weiter potenzieren. Hier ist eine Konzernstrukturierung, die diese Aspekte in den Vordergrund rückt, von entscheidender Bedeutung.

 

Welche Rolle spielt die jeweilige Branche für die Struktur des Unternehmens? Lässt sich das an Beispielen festmachen?

Andreas Brunnhübner: Die Frage der Branchenzugehörigkeit spielt vor allem im Hinblick auf die Haftungsrisiken und die Möglichkeiten ihrer Vermeidung eine Rolle. Zudem ist in manchen Branchen eine höhere Kundenempfindlichkeit hinsichtlich Umstrukturierungen zu beobachten, z.B. wird im Hochpreissegment von Möbeln auf eine schadstoffarme Produktion in Deutschland wert gelegt. Steuerlich gesehen ist die Branchenzugehörigkeit häufig kein entscheidendes Kriterium, da die jeweils anzuwendenden Steuergesetze branchenübergreifend zu beachten sind. Allerdings ist durchaus anzumerken, dass vor allem für Unternehmen, die Gewinne in nicht unmaßgeblichem Umfang aus der Lizenzierung immaterieller Schutzrechte erzielen, weitergehende steuerliche Optimierungsmöglichkeiten bestehen und genutzt werden. Insbesondere im Bereich der E-Commerce gibt es weltweit hinreichende Steuervergünstigungen die große Investoren anziehen sollen.

 

Umstrukturierungen sind vor allem bei Unternehmen ein Thema, die international stark expandieren. Setzen verschlankte Strukturen auch neue Wachstumsimpulse frei?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Nach Durchführung des Umstrukturierungsprozesses ermöglichen die erzielten Kosteneinsparungen selbstverständlich neue Möglichkeiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Strukturierung vor dem Hintergrund zukünftigen Wachstums geplant und durchgeführt wurde. Durch die neu geschaffene effiziente und steueroptimierte Struktur werden liquide Mittel freigesetzt, die in ein weiteres, zielgerichtetes Wachstum und in eine Weiterentwicklung des Kerngeschäfts investiert werden können.

 

Stehen die von Ihnen eingangs genannten Umstrukturierungsmöglichkeiten allen Gesellschaften uneingeschränkt zur Verfügung?

Horst Grätz: Nicht alle Möglichkeiten grenzüberschreitender Umstrukturierungen sind für alle Gesellschaften gangbar. So ist beispielsweise eine grenzüberschreitende Verschmelzung nur für Kapitalgesellschaften innerhalb der EU möglich. Personengesellschaften sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie und der darauf basierenden nationalen Gesetze nicht erfasst. Vor Durchführung eines grenzüberschreitenden Umstrukturierungsprojekts kann es daher in Einzelfällen sinnvoll sein, nationale Umwandlungsmaßnahmen vorzuschalten, um anschließend rechtssicher „über die Grenze zu kommen”. Darüber hinaus ist vor Vornahme grenzüberschreitender Umstrukturierungsmaßnahmen stets zu prüfen, ob die jeweiligen Rechtsordnungen die angedachte grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahme rechtlich als zulässig anerkennen. Die eingangs erwähnte Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes ist – anders als die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften – in den Gesetzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht verankert. Unter dem Eindruck der zunehmenden Europäisierung des Rechts und unter Berufung auf die europarechtlich geschützte Niederlassungsfreiheit wurde die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes in Deutschland erstmals durch ein viel beachtetes Urteil des OLG Nürnberg aus dem Jahre 2013 für zulässig erachtet. Dieses Urteil entfaltet jedoch keinerlei Bindungswirkung, erst recht nicht im Hinblick auf ausländische Rechtsordnungen, sodass ein derartiges Vorhaben intensiv und genauestens vorab geprüft werden muss. Bei Zweifeln an seiner Zulässigkeit müssen im konkreten Fall Alternativgestaltungen in Betracht gezogen werden.

 

Welchen zeitlichen Horizont müssen Unternehmer einplanen, wenn die Durchführung grenzüberschreitender Umstrukturierungsmaßnahmen im Raum steht?

Horst Grätz / Andreas Brunnhübner: Eine pauschale Aussage hierzu verbietet sich natürlich. Klar ist aber auch, dass aufgrund der noch lückenhaften Regelungsdichte für grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahmen und der notwendigen Berücksichtigung aller beteiligten Rechtsordnungen, grenzüberschreitende Umstrukturierungsmaßnahmen einen gewissen zeitlichen Rahmen in Anspruch nehmen. Je nach Komplexität des Vorganges sollte – unter Einbeziehung der vorbereitenden Planungsphase – in der Regel eine Zeitspanne von mindestens sechs bis zwölf Monaten eingeplant werden.

 

Herr Grätz, Herr Brunnhübner, wir danken für das Gespräch!
 

zuletzt aktualisiert am 20.10.2016
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