Ein Jahr liberalisierter Fernbusmarkt - eine Bilanz

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Im Zuge der letzten PBefG-Novellierung ist der Busfernlinienverkehr liberalisiert worden. Von der Dynamik dieses neuen Marktes sind selbst die unmittelbaren Akteure überrascht. Die Anzahl der Fernlinien hat sich von 62 im Januar 2013 auf 138 im Dezember 2013mehr als verdoppelt, die Tendenz bleibt steigend. Mittlerweile gibt es knapp 40 Anbieter.
Von Anja Ludwig, Leiterin Recht Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (BDO)
   

1. Einführung

Im Zuge der letzten PBefG-Novellierung ist der Busfernlinienverkehr liberalisiert worden. Von der Dynamik dieses neuen Marktes sind selbst die unmittelbaren Akteure überrascht. Die Anzahl der Fernlinien hat sich von 62 im Januar 2013 auf 138 im Dezember 2013mehr als verdoppelt, die Tendenz bleibt steigend. Mittlerweile gibt es knapp 40 Anbieter. Die meisten von ihnen sind mit modernsten Reisebussen unterwegs. Sie bieten ihren Fahrgästen eine sichere, umweltfreundliche, bequeme und preiswerte Mobilitätsalternative und werben mit besonderen Features wie W-LAN, Gepäckservice und komfortablem Sitzabstand. Doch die allerorts nach wie vor zu verzeichnende Goldgräberstimmung steht in deutlichem Kontrast zu den zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich diese junge Branche konfrontiert sieht. 
     

2. Rechtliche Rahmenbedingungen

Während das PBefG für das Genehmigungsverfahren im Fernlinienverkehr nur sehr wenige Vorgaben macht (Bedienungsverbot für Beförderungsstrecken unter 50 km bzw. zwischen zwei Haltestellen, wenn auf dieser Strecke Schienenpersonennahverkehr mit einer Reisezeit unter einer Stunde betrieben wird, Betriebspflicht drei Monate, keine Genehmigungspflicht für die Beförderungsentgelte), werden hohe Anforderungen an die eingesetzten Fahrzeuge gestellt.
      

2.1 Fahrzeuge

Ab dem 01. Januar 2016 müssen neu zugelassene Fernlinienbusse gemäß § 42 b i. V. m. § 62 Abs. 3 PBefG über zwei Rollstuhlplätze und eine Einstiegshilfe (Klapprampe/Hublift) verfügen, ab dem 01. Januar 2020 gilt dies für alle Fernlinienbusse. Damit wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Fernbus auch für behinderte Menschen eine Mobilitätsalternative darstellt. Die Fernbusbetreiber bereiten sich auf diese Anforderungen vor, einige haben bereits barrierefreie Fahrzeuge i. S. d. PBefG im Einsatz und sind schon jetzt in der Lage, zwei Rollstuhlfahrer zu befördern. Die Mehrkosten für eine barrierefreie Ausstattung der Busse belaufen sich auf etwa 25.000 bis 30.000 Euro pro Bus im Vergleich zu Fahrzeugen ohne Einstiegshilfe und flexible Bestuhlung. Die Nachfrage bei den behinderten Menschen, mit dem Fernbus zu reisen, ist bislang sporadisch, aber auch hier ist eine steigende Tendenz zu verzeichnen.
  

    2.2 Rollstühle

    In diesem Zusammenhang ist das Problem zutage getreten, dass die überwiegende Zahl der zurzeit genutzten Rollstühle nicht zur sicheren Personenbeförderung im Fernbus geeignet ist, da die meisten Rollstühle nicht den Anforderungen an einen Fahrgastsitz entsprechen, d. h. sie haben keine Herstellerfreigabe nach DIN EN 12183 oder 12184 und keinen Kraftknoten, was im Falle einer starken Bremsung oder gar eines Unfalls zu einem deutlich erhöhten Verletzungsrisiko führt. Da für die Mobilität behinderter Menschen die gleichen Sicherheitsanforderungen gelten müssen wie für alle anderen Fahrgäste, sind hier die Verantwortlichen, allen voran die gesetzlichen Krankenkassen gefragt, zeitnah Abhilfe zu schaffen. Geeignete Rollstühle sind längst am Markt erhältlich, sie werden aber von den Krankenkassen nur in Ausnahmefällen finanziert.
         

    2.3 Infrastruktur

    Die im PBefG verankerte barrierefreie Mobilität lässt sich nicht losgelöst von der Beschaffenheit der baulichen Infrastruktur betrachten. Während sich die Fernbusanbieter und Bushersteller um zeitnahe und praxisgerechte fahrzeugbezogene Lösungen bemühen, wird in Sachen Haltestellen/Busterminals der „Schwarze Peter” hin und her geschoben. Der Bundesgesetzgeber hält sich für nicht zuständig und verweist an die Betreiber und die einzelnen Länder. Erstere sind zwar zur Zahlung von Nutzungsentgelten bereit, wehren sich aber gegen das Ansinnen, selbst Haltestellen und Terminals bauen zu müssen – dabei wird der Vergleich bemüht, auch Air Berlin werde ja nicht zur Fertigstellung des Flughafens BER herangezogen. Die Länder selbst verweisen zurück an den Bund, der sich für die Fernbusliberalisierung stark gemacht hat und nun auch für deren praktische Umsetzung einstehen müsse. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die fehlende Haltestelleninfrastruktur stellt die Fahrgäste und die Fernbusbetreiber vor große Herausforderungen.
      
    Viele Städte sind völlig unvorbereitet mit diesem Thema konfrontiert worden. Manchmal fehlt es an geeigneten Standorten, vielerorts aber bereits an der Bereitschaft der Verantwortlichen, geeignete Standorte bereitzustellen. Zudem weisen vorhandene Busterminals oft viele Mängel auf; es fehlt an Warteräumen mit Witterungsschutz, Toiletten und Personal für den Ticketverkauf. Im Rahmen der EU-Verordnung 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Busbahnhöfe zu benennen, an denen behinderten und mobilitätseingeschränkten Menschen Hilfe geleistet wird. Deutschland hat nur zwei solche Busbahnhöfe benennen können – Hamburg und Mannheim. Eindeutig zu wenig für das viertgrößte Land in der Europäischen Union. Die Ursachen für die zögerliche Entwicklung vor Ort sind so verschieden wie die Städte selbst. Insbesondere die Mischnutzung der Haltestellen erweist sich in der Praxis als problematisch. Es gibt Städte, die über ausreichend große zentrale Omnibusbahnhöfe (ZOB) verfügen, diese aber ausschließlich dem ÖPNV vorbehalten. Begründet wird dies damit, dass der ZOB mit GVFG-Mitteln gefördert worden sei und bei einer Öffnung für den Fernbus eine Rückzahlungsverpflichtung der Fördermittel befürchtet werde. Als Reaktion auf die Aufhebung der Zweckbindung verschiedener Fördertatbestände haben viele Bundesländer in ihren Landesnahverkehrsgesetzen eine strenge Zweckbindung implementiert. Hier sollte – gerade vor dem Hintergrund der ab 2022 auch für den ÖPNV geltenden Pflicht zur Barrierefreiheit – über eine Änderung der Landes-ÖPNV-Gesetze nachgedacht werden, sodass künftig eine Mischnutzung möglich wäre.
     
    In manchen Städten fehlt es an geeigneten Flächen, andere zögern, sich des Themas anzunehmen und wollen zunächst die weitere Marktentwicklung abwarten. 
     
    Naturgemäß kann es nicht „die eine” Lösung für alle Städte geben. Aber es gilt nun, die Verantwortlichen für die Besonderheiten dieses Verkehrssegments Fernbus zu sensibilisieren und den sich rasch entwickelnden Markt mit der Einrichtung geeigneter fahrgastfreundlicher und barrierefreier Haltepunkte zu unterstützen.

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Jörg Niemann

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