Digitalisierung der Steuerabteilung – Vom Hype auf den Pfad der Produktivität

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veröffentlicht am 6. April 2021 / Lesedauer ca. 4 Minuten
 

Kaum jemand, der in einer Steuerabteilung eines Unternehmens oder in den steuer­beratenden Berufen in Kanzleien tätig ist, konnte sich in den vergangenen Jahren dem Hype um die Digitalisierung entziehen. Von Blockchain, Artificial Intelligence (AI), Chat Bots oder Robotic Process Automation war dort häufig die Rede und wie sie die steuerliche Arbeitswelt revolutionieren würden. Studien kamen sogar zu der Auf­fassung, dass die Substituierbarkeitspotenziale aufgrund der Digitalisierung im Berufs­feld Steuerberatung bei über 50 Prozent liegen würde.

  

  

Aber was verbirgt sich tatsächlich hinter dem Hype? Ist er gerechtfertigt? Und ist es nicht an der Zeit, die Digitalisierung der Steuerfunktion am konkret erzielten Mehrwert zu messen, statt an der Anzahl ver­wendeter Buzzwords und neuer Technologien?

 

Der Hype und die Realität

Die Grundlage für einen Informationstechnologie-gestützten Ansatz zur Optimierung der Steuerabteilung findet sich im technologischen Fortschritt sowie in der Digitalisierung – insbesondere des letzten Jahrzehnts. Die Erwartung, dass durch den bloßen Einsatz von Technologien die Produktivität gesteigert werden kann, scheint unbenommen. Dabei korreliert allein der Einsatz von Informationstechnologie (IT) nicht zwingend mit einem gestiegenen Wachstum der Produktivität, wie das Solow‘s Produktivitätsparadoxon zum IT-Einsatz bereits in Studien der 80er-Jahren belegte. Die Verbindung zwischen Digitalisierung und gesteigerter Produktivität ist komplexer. Digitale Technologien erhöhen die Produktivität nur in Kombination mit anderen Faktoren. In der Tat belegen Untersuchungen, dass Digitalisierung ganzheitlich verstanden werden muss und nicht nur auf den Einsatz von Technologien reduziert werden darf. So kann die Digitalisierung die Produktivität positiv beein­flussen, wenn weitere starke komplementäre Faktoren zu digitalen Technologien hinzukommen:

  • Organisationskapital und Managementfähigkeiten;
  • Forschung und Entwicklung sowie immaterielle Investitionen;
  • IT-bezogene Fähigkeiten des Personals;
  • Regulatorisches Umfeld, das die effiziente Reallokation von Ressourcen ermöglicht.

 

Außerdem ist es unabdingbar, dass der Anwender einer IT-Lösung entsprechende IT-Kenntnisse besitzt. Das führt oft zu Diskrepanzen zwischen IT-Lösung und Anwender, sodass nicht selten am Ende des Tages eine Abhängigkeit von IT-Experten entsteht. Ihnen wiederum sind die geschäftlichen Hintergründe nicht bekannt, sodass sich eine Interessens-Fähigkeits-Kluft entwickelt: einerseits Benutzer, die nach Erkenntnissen suchen; andererseits IT-Fachleute, denen die fachlichen Anforderungen nicht bekannt sind. Eine optimale Lösung erscheint so nur schwer möglich. Am Ende des Hypes steht dann doch wieder das altbewährte Excel-Sheet als Alltags- oder Analysewerkzeug, da der Nicht-IT-Experte vermeintlich schnell damit arbeitsfähig ist.

 

Der praxisorientierte Ansatz

Keep it simple

Um sich den technologischen Fortschritt zu Nutze zu machen, bedarf es jedoch meist keiner neuen Ent­wicklung von AI oder dergleichen. Oft ist die vorhandene IT-Infrastruktur ausreichend bzw. lässt sich mit geringem Aufwand aufrüsten. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den IT-Abteilungen bildet den Grundstein einer neuen und effizienten Vorgehensweise. Verstehen die IT-Experten die Anforderungen der Steuerexperten, so können sie das Bestmögliche aus der IT-Infrastruktur und deren Anwendungen heraus­holen. Was selbstverständlich klingt, ist es eben häufig nicht, da der „gemeine“ Steuerrechtler sich mitunter in der einfachen Darlegung der steuerlichen Anforderungen schwer tut. Nicht selten wird die Ausnahme von der Ausnahme einer steuerlichen Vorschrift erläutert, sodass der IT-Experte schnell den Überblick verliert. Es gilt nach dem Pareto-Prinzip vorzugehen, sodass zunächst die ganz wesentlichen Anforderungen dargestellt und umgesetzt werden. Die komplexeren verbleibenden 20 Prozent der Anforderungen („Ausnahmen von der Aus­nahme“) werden über einen längeren Zeitraum angegangen. Als agiler Ansatz, der schnell Umsetzungswege eröffnen kann, hat sich das Rapid Prototyping bewährt. Durch das schnelle und iterative Design, das dem 3-Schritte-Prinzip „Denken, Bauen und Lernen“ folgt, können Umsetzungsideen schneller in eine eigentliche Lösung oder Anwendung überführt werden.

 

Prozess Know-how der Steuerfunktion

Eine weitere Säule ist das Prozess-Wissen und -Management. Nur wer seine Prozesse kennt und um deren Stärken und Schwächen weiß, kann erfolgreich digitalisieren. Eine wesentliche Praxiserkenntnis liegt darin, sich zunächst auf einfache repetitive manuelle Prozessschritte und deren Digitalisierung zu fokussieren, da so schnell Effizienzgewinne erzielt werden. Allerdings sollte der ggf. übergeordnete End-to-End-Prozess nicht aus dem Auge verloren werden, um später eine nahtlose Integration der Teilprozesse oder -schritte erreichen zu können. Nur wer das im Blick hat, wird dauerhaft eine nachhaltige digitale Customer’s Journey für interne oder externe Kunden erreichen.

 

IT-Systeme

Neben dem ERP-System und einem Workflow-Management-System sind ein Data oder Business Warehouse ein notwendiges Basissystem für die Steuerfunktion. Es dient dazu, die notwendige Datentransparenz für Analysen und datenbasierte Entscheidungen zu erreichen, die oft allein aus den Standard-Reportings eines ERP-Systems nicht möglich sind. Dabei ist es wichtig, dass die IT-Experten den Betrieb, die Verwaltung und Sicherung der Daten übernehmen und geeignete Analysetools der Steuerfunktion zur Verfügung stellen. Die Anwender sollen sich auf ihre Fachfragen und Analysen fokussieren. Für Systeme und Anwendungen sind folgende Faktoren entscheidend:

  • einfache intuitive Anwendung und Menüführung
  • Schnelligkeit der Datenverarbeitung
  • Leistungsstärke
  • Visualität

 

IT-Know-how und Mindset der Steuerfunktion

Ein wesentlicher Faktor ist auch das Anwenderwissen der Steuerabteilung. Hat sie ein gewisses IT-Know-how oder zumindest eine IT-Affinität und eine Vorstellung davon, was technisch möglich ist, kann die Umsetzung einfacher gelingen. Datenanalysefähigkeiten sind eine Schlüsselkompetenz, die schnellere und fundierte Entscheidungen ermöglichen. Paart sich das auch noch mit einer Aufgeschlossenheit gegenüber neuen innovativen Ideen und Ansätzen sowie einem Marktüberblick an neuen Technologien, ergeben sich viele Innovationen von selbst, wenn Handlungsspielräume eröffnet werden.

 

Erhöhung der Produktivität der Steuerfunktion

Wird den genannten Faktoren und Rahmenbedingungen annähernd so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Einsatz von reiner Technologie, so ist unsere Erfahrung aus einer Vielzahl an Digitalisierungsprojekten mit Mandanten, dass nachhaltig positive Effekte und Mehrwerte für die Steuerfunktion erzielt werden können. Dass das nicht immer sofort die ganzen großen Digitalisierungsgewinne sein mögen, sollte niemanden davon abhalten, die ersten Schritte eines lohnenswerten Digitalisierungswegs zu gehen. 

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