Vom Effizienz- zum Resilienz-Design – Agilität, Flexibilität und Anti-Fragilität in der Organisation

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veröffentlicht am 13. August 2020 | Lesedauer ca. 6 Minuten
 

Finanzkrisen treten zyklisch auf und sind natürlich. Während unsere Gesellschaft bisher von diversen Wirtschaftskrisen getroffen wurde, überwältigt derzeit eine neues Phänomen den Weltmarkt: Die Corona-Pandemie. Eine Gartner-Umfrage zum Orga­nisationsdesign  2019 ergab, dass 55 Prozent der organisatorischen Umgestaltungen die Optimierung von Rollen, Lieferketten und Workflows bezweckten. Das steigerte zwar die Effizienz, doch können die Systeme nun nicht flexibel genug auf Unterbre­chungen reagieren. Dem gegenüber können resiliente Organisationen bei Verände­rungen ihren Kurs schnell korrigieren. Das gilt auch für Beratungsunternehmen.

  

  

 

Die Prekarisierung der Arbeit (d.h. der Anstieg unsicherer Arbeitsbedingungen), die Abwendung von der Globalisierung, die Reindustrialisierung des Westens, die Digitalisierung und eine Wirtschaft im Gleichgewicht sind Trends, die unsere Wirklichkeit bereits jetzt beeinflussen. Sie werden uns auch künftig prägen, wenn die Masken wegfallen.
 
Der römische Dichter Juvenal beschrieb im 2. Jh. n. Chr. einen Vogel, der so selten ist wie ein schwarzer Schwan. Er war überzeugt, dass es auf der Welt nur weiße Schwäne gibt. Der schwarze Schwan sollte etwas höchst Unwahrscheinliches symbolisieren. Wie groß war deshalb die Verwunderung, als der Seefahrer Willem de Vlamingh im Jahr 1697 bei der Erforschung Australiens nicht nur einen, sondern gleich mehrere dieser Tiere entdeckte. Der schwarze Schwan wurde zu einem Symbol des Nichtwissens und Nichtkennens und für unvorhersehbare Ereignisse mit extremen Folgen. Das haben wir Nassim Nicholas Taleb, dem Autor der Werke „Schwarzer Schwan“ und „Antifragilität“, zu verdanken. Taleb schreibt, dass absolute Robustheit unmöglich zu erreichen ist. Deshalb braucht es einen Mechanismus, mit dem sich das System kontinuierlich regeneriert, indem es unvorhersehbare Erschütterungen, Stressoren oder Volatilität in seinem Sinne nutzt, anstatt darunter zu leiden. Antifragile Systeme sind nicht mit resilienten zu verwechseln. Robuste Systeme sind mehr oder weniger stark gegenüber Erschütterungen, antifragile Systeme dagegen profitieren davon.

 

Wie können wir unsere Beratungsbranche antifragil gestalten und ist die weltweite Gesellschaftskrise Chance oder Bedrohung?
 

„New Normal”

Viele Visionäre, v.a. Raymond Kurzweil und Yuvanal Harari, waren der Ansicht, dass das „New Normal“ 2030 eintreten würde. Stattdessen kam es ein Jahrzehnt früher, was auch sie überraschte. Zurück in die Büros oder zurück in die Zukunft? Viele Arbeitnehmer tun sich mit der Rückkehr in ihre Büros schwer. Sie sind nicht darauf vorbereitet. Und in den Büros selbst kann kein entsprechender Abstand gewährleistet werden, da sie sich in Gebäuden befinden, die nicht für solche Szenarien entworfen wurden. Zudem erwarten die Arbeitnehmer einen flexibleren Ansatz bei der Art und Weise der Arbeitsleistung. Jedoch empfinden wir tief in unserem Innersten Skepsis gegenüber Telearbeit. Ist sie auf Dauer genauso produktiv wie die Arbeit im Büro? Wird sie es uns erlauben, unsere Kreativität voll zu entwickeln? Sollten sich die Teams nicht persönlich treffen, damit sich Vertrauen und Teamgeist entwickeln können?
 
Wir wissen bereits, dass wir künftig wenigstens teilweise mit Telearbeit rechnen müssen. Die Aufgabe der Führungskräfte wird es sein Lösungen zu finden, die die Produktivität und Kreativität bei Telearbeit verbessern. Sicherlich werden auf dem Markt Dienstleistungen angeboten werden, die der neuen virtuellen Realität angepasst sind, mit Telekonferenzen, von denen wir noch nicht zu träumen wagen, und noch mehr Digitalisierung beim Dokumentenumlauf.
 
Noch nie waren wir so sehr voneinander getrennt, aber auch noch nie so nahe zusammen wie jetzt. Es ist durchaus möglich, dass wir dank Corona ein neues, sehr starkes Modell für unsere Produktivität erfunden haben  –  Diskussionen sind kurz und Entscheidungen werden schnell getroffen, die ergriffenen Maßnahmen sind unglaublich kreativ und an die entstehenden Bedürfnisse angepasst. Wir arbeiten enger zusammen als je zuvor. Und wir treffen bessere Entscheidungen.
 
Besonders bei wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten sind die Führungskräfte nicht nur für den Schutz der menschlichen Gesundheit, sondern auch der finanziellen Kondition ihrer Organisation verantwortlich. In der jetzigen Situation müssen wir schnell von Rentabilität auf Liquidität umfokussieren.
 
Unternehmen mit grundsätzlich stabilen Geschäftsmodellen können gezwungen sein, 2020 Verluste zu ver­zeichnen und auf einen Aufschwung 2021 zu warten. Vor der größten Herausforderung stehen Organi­sationen, die die Krise während eines Änderungsprozesses getroffen hat, oder die eine wesentliche Transformation durchlaufen. Covid-19 wirkt hier wie ein mächtiger Katalysator, der Veränderungen beschleunigt. Werden sie zu spät eingeführt, kann das ganze Unternehmen gefährdet sein und seiner Integritätsstrategie beraubt werden. Es macht keinen Sinn, eine Organisation in einer Form zu bewahren, die vergangenheitsorientiert und nicht an die Herausforderungen der Zukunft angepasst ist. Vielleicht besteht die größte Gefahr darin, dass wir zu unserem Geschäft zurückkehren und versuchen, an der gleichen Stelle nochmal zu beginnen.
 

Trends

Die Chinesen schreiben das Wort „Krise“ mit zwei Schriftzeichen  –  das eine bedeutet „Gefahr“, das andere „Chance“. Während der Krise sollten wir uns der Gefahren bewusst sein, aber auch die Chancen erkennen.

 

Es ist eine Zeit gekommen, in der der Wettbewerb der Zusammenarbeit den Vortritt lassen muss. Vielleicht sollte das in den einzelnen Branchen überdacht werden.
 
Coopetition bzw. Kooperationswettbewerb, auch Koopkurrenz bezeichnet Marktphänomene, bei denen eine Dualität aus Kooperation sowie Wettbewerb besteht und das Handeln der Marktteilnehmer beeinflusst, ohne dass sie explizit kooperieren. Coopetition ist eine praktische Anwendung der sog. „Mechanismus-Design-Theorie” (ein Teilgebiet der Spieltheorie), für die im Jahr 2007 der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften vergeben wurde.

 
Wir wussten schon seit Längerem, dass wir in Zeiten der Transformation leben. Oft haben wir sie gelenkt. Wir haben Lean Management eingeführt, Prozesse optimiert, die digitale Transformation in unseren Unternehmen durchgeführt. Dieses Mal wurde die Transformation aber nicht aufgezwungen, sie kam ganz unerwartet, zusammen mit dem Coronavirus. Auch wenn wir keine Initiative ergreifen, wird sie uns erfassen, aber wir werden sie nicht steuern können. Es erwarten uns unumkehrbare Änderungen unseres Verhaltens und bei Geschäftsmodellen. Sie werden sich auf die Wirtschaft, den Konsum und die zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken. Paradoxerweise kann dieser unerwartete Wandel bestimmte Prozesse beschleunigen. Seit Längerem ist von agilem Management, flachen Strukturen und Abkehr von Hierarchie im Unternehmen die Rede. Das sind auch Eigenschaften des deutschen Mittelstands.
 
Was die Prozesse der Anpassung an die neue Realität anbelangt, so ist auf das Modell der hedonistischen Tretmühle zurückzugreifen  –  an gute Veränderungen passen sich die Menschen sehr schnell an, aber an schlechte sehr langsam. Deshalb setzen wir alles daran, dass es so kurz wie möglich dauert. Denn der Mensch wird immer wollen, dass das „Jetzt“ wenigstens so gut ist, wie das, was bisher war.

 
Es werden Unternehmen gewinnen, die sich wandeln können und sich neue Bereiche effektiv erschließen. Auch Unternehmen, die ihre Tätigkeitsbereiche bereits diversifiziert hatten, werden es leichter haben. Nicht auszuschließen ist auch eine gewisse Dezentralisierung  –  wir werden bemerken, dass wir Manches lokal schneller bewirken können. Nach der Pandemie werden wir besser mit Unsicherheit und plötzlicher Veränderung umgehen können, die sofortige Entscheidungen und Konsequenzen erfordern und bei denen die Emotionen zurücktreten müssen. Umso wertvoller wird auch ein gutes und krisenbewährtes Team sein.
 
Auch das sog. „Prinzipal-Agenten-Problem“ ist zu berücksichtigen. Manchmal handeln Manager kurzsichtig  –  sie sehen nicht, wie komplex das Problem ist, da ihre Ergebnisse bezogen auf kurze Zeiträume bewertet werden. Außerdem gilt: je komplexer und emotionsbehafteter das Problem ist, desto größer ist die Versuchung, es intuitiv und nicht analytisch zu lösen. Zudem erfordert die Momentum-Strategie  –  d. h. die Annahme, dass ein beobachteter Trend anhält bzw. der Glaube daran, dass es eine Zeit lang so weitergehen wird wie bisher (also schlecht), keine besonderen kognitiven Ressourcen des Menschen. Sie kann leicht, fast automatisch, angewandt werden. Demgegenüber fordert die Kontrarian-Strategie, d.h. die Annahme, dass ein Trend sich wendet, sehr hohe kognitive Ressourcen und starke Analyse und Reflexion.
 
Eine alte Weisheit in der Geschäftswelt besagt: Hoffe auf das Beste, rechne mit dem Schlimmsten. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das Turnier in Wimbledon: Seit 2004 haben die Organisatoren 2 Mio. US-Dollar jährlich für eine Pandemie-Versicherung gezahlt. Das klingt surreal, oder? Jetzt haben sie 141 Mio. US-Dollar Entschädigung wegen der Absage des Turniers erhalten. Heute hängen die Strategien von der Finanzsituation des Unternehmens, der Widerstandsfähigkeit gegen die Unsicherheit auf den Finanzmärkten und von der Idee der Unternehmensausrichtung ab.

 
Eine große Rolle werden auch die Werte spielen, von denen sich die Unternehmen leiten lassen, sowie ihre Mission. Es geht um Situationen, in denen die Marke und die Führungskräfte Empathie bzw. Verständnis zeigen.
 

Corona und Compliance im Steuer-/Regulierungsrecht

In diesen Zeiten, die unerwartet über uns gekommen sind, zählen zu den größten Triebfedern der Unsicherheit die wirklich komplexen Reformen im Steuer- und Regulierungsrecht. In vielen großen Industriezweigen  –  Technologie, Energie, Ressourcen, Finanzdienstleistungen, Transport, Handel  –  ist die Regulierungssituation instabil und kann sich stark ändern. Um dem standhalten zu können, müssen Unternehmen den Änderungen einen Schritt voraus sein.
 
Mit Corona ändert sich die Steuerlandschaft wieder rasant. Die Regierungen versuchen, den Liquiditätsdruck zu verringern und die Beschäftigung zu fördern. Die Einführung neuer Programme und Anreize bringt für Unternehmen sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich. Mit Blick auf die Zukunft ist es wahrscheinlich, dass Änderungen des Steuerrechts erforderlich sein werden, um die teuren Corona-Maßnahmen abzuzahlen. In einigen Fällen können die Gesetzesänderungen das Geschäftsmodell grundlegend verändern. In anderen werden steuerliche und regulatorische Änderungen zu einem Überdenken der bestehenden Praktiken führen. Die Unternehmen werden Compliance-Probleme bewältigen, während sie die längerfristige Auswirkung anderer Änderungen abwägen. Auf die Weise werden Unternehmen Anforderungen erfüllen und gleichzeitig ihren Ruf verbessern können. All diese Maßnahmen werden es ihnen erlauben, sich auf das Core-Business zu konzentrieren, ohne dass sie in diesen wirklich schwierigen Zeiten von rechtlichen Fragestellungen gestört werden.

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