Verkehrssicherungspflicht im Wohnungseigentum - Wer haftet wann?

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veröffentlicht am 04. Mai 2020

 

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Jeder, der die Verfügungsgewalt über eine Immobilie besitzt und dadurch eine Gefahrenquelle schafft, muss auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter treffen. Die Wahrnehmung dieser sog. „Verkehrssicherungspflicht” des Gebäudeeigentümers wird in der Regel vertraglich auf einen Facility-Manager oder mehrere einzelne Dienstleister übertragen. Aber wer übernimmt die Verkehrssicherung bei einer Wohnungseigentümergesellschaft (WEG)? Mit dieser Frage musste sich der Bundesgerichtshof zuletzt in seiner aktuellen Entscheidung vom 13.12.2019 – V ZR 43/19 beschäftigen. Über das Urteil haben wir bereits berichtet (Immobilienstreiflicht Ausgabe 31.3.2020). Grund genug für eine nähere Betrachtung.

 

WAS BEDEUTET VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHT IM WOHNUNGSEIGENTUM?

Die sog. Verkehrssicherungspflicht basiert auf der Haftungsvorschrift des § 823 BGB, die nicht speziell für das Wohnungseigentum gilt. Gemäß § 823 Abs. 1 BGB hat derjenige, der „vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt”, den Schaden zu ersetzen.

 

Dabei muss es nicht immer um ein aktives Handeln gehen. Haftbar ist auch, wer – und so wird es bei der Verkehrssicherungspflicht im Wohnungseigentum in der Regel der Fall sein – es unterlässt, einen Schaden zu verhindern. Vereinfacht: Jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, ist auch dafür verantwortlich, Dritte davor zu schützen. Als Dritte kommen hier insbesondere Passanten, Mieter, Besucher und andere Wohnungseigentümer in Betracht.


Dabei sind im Wohnungseigentum nur diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren – die Maßnahmen müssen ihm den Umständen nach also zuzumuten sein. Die konkrete Bestimmung des Umfangs der Verkehrssicherungspflichten ist aber nicht immer leicht.

 

Bei der WEG-Gebäudeverwaltung sind besondere gebäude- und grundstücksbezogene Verkehrssicherungspflichten zu beachten, die meistens auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften basieren. Dazu gehört beispielsweise die Trinkwasserverordnung. Daneben können anerkannte technische Normenwerke wie DIN-Normen, VDE- und VDI-Richtlinien oder Unfallverhütungsvorschriften zur Konkretisierung von Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden.

 

Es ist wichtig, Gefahrenquellen in WEG-Anlagen zunächst zu identifizieren, um der Verkehrssicherungspflicht nachkommen zu können. Grundsätzlich müssen sowohl das Gebäude und dessen Bauteile, als auch jegliche Grundstücksflächen, etwa Grünanlagen, Wasser und Wegeflächen, sicher gehalten werden. Dazu zählen beispielsweise die ausreichende Beleuchtung der Zugangswege und des Treppenhauses wie auch die Beseitigung von Hindernissen, wie etwa Schlaglöcher. Im Winter ist darüber hinaus das Schneeräumen und Streuen Pflicht. Eine Gefahr kann auch von herabfallenden Gebäudeteilen, etwa Dachziegeln oder Antennen, und von abgebrochenen Ästen nach einem Sturm ausgehen. Besondere Maßnahmen sind erforderlich, wenn Kinder in der Anlage wohnen. Die im gemeinschaftlichen Garten vorhandenen Klettergerüste und Rutschen müssen regelmäßig auf Mängel überprüft und die Kontrollgänge regelmäßig protokolliert werden.

 

VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHT FÜR DAS SONDEREIGENTUM / SONDERNUTZUNGSRECHT

Geht die Gefahr vom Sondereigentum aus – beispielsweise durch das Herunterfallen von gelockerten Blumentrögen an der Balkonbrüstung auf den Fußgängerweg – so trägt jeder Sondereigentümer das Risiko des Schadenseintritts. Dieser Fall der Alleinverantwortlichkeit eines jeden Sondereigentümers ist auch in dem Pflichtenkatalog für jeden Wohnungseigentümer in § 14 Nr. 1 WEG-Gesetz verankert. Verletzt er also seine Pflicht zur Instandhaltung seines Sondereigentums, so haftet grundsätzlich nur er auf Schadensersatz.

 

Allerdings können die Sondereigentümer durch Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung oder in der Teilungserklärung die Verantwortlichkeit für im Sondereigentum stehende Teile des Grundstücks auf die Eigentümer gemeinschaftlich übertragen.

 

Die Frage, wem die Verkehrssicherungspflicht für Sondernutzungsflächen obliegt – dem Sondernutzungsberechtigten oder den Wohnungseigentümern – muss differenziert betrachtet werden: Wenn die Gemeinschaftsordnung oder Teilungserklärung die Instandhaltungspflicht für die Sondernutzungsfläche dem Sondernutzungsberechtigten auferlegt, ist dieser auch für die Verkehrssicherheit zuständig. Ohne ausdrückliche Vereinbarung werden wohl die Wohnungseigentümer die Verkehrssicherungspflicht für Sondernutzungsflächen übernehmen müssen.

 

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VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHT FÜR DAS GEMEINSCHAFTSEIGENTUM

Während die Verkehrssicherungspflicht im Sondereigentum ganz klar dem Sondereigentümer unterliegt, ist die Rechtslage in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum trotz vereinzelter Urteile bisher höchst umstritten. Nach einer starken Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung sind die Wohnungseigentümer als Grundstückseigentümer verkehrssicherungspflichtig. Eine andere Meinung vertritt die Auffassung, dass die Pflicht zur Verkehrssicherung die teilrechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft trifft, soweit die Verkehrssicherung eng mit der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums verbunden ist. Der BGH hat dieser Diskussion noch kein klares Ende gesetzt, hat aber in seiner jüngsten Entscheidung vom 13.12.2019 – V ZR 43/19 hierzu ausgeführt, dass die Erfüllung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Verkehrssicherungspflichten zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung gehört. Man könnte daher meinen, dass jedem einzelnen WEG-Mitglied die Verkehrssicherungspflicht am Gemeinschaftseigentum obliegt. All das erfordert aber eine Einzelfallbetrachtung.

 

Im Regelfall wird die Verkehrssicherungspflicht jedes einzelnen Wohnungseigentümers auf einen Dritten, z. B. auf einen WEG-Verwalter oder einen Facility-Management-Dienstleister delegiert. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine klare Absprache, in dem jeweiligen Vertragsverhältnis. Dann verengt sich die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich allein Verantwortlichen auf eine sog. Kontroll- und Überwachungspflicht, die sich darauf erstreckt, ob der Dritte die übernommenen Sicherungspflichten auch tatsächlich wahrgenommen hat. Insbesondere in Not- und Einzelfällen bleibt aber jeder einzelne Wohnungseigentümer Verkehrssicherungspflichtig und muss handeln.


WER HAFTET NUN FÜR DIE VERLETZUNG EINER AUF DAS GEMEINSCHAFTSEIGENTUM BEZOGENEN VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHT?

Die Haftung für den Schaden, der bei der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht entsteht, wird im Innenverhältnis der WEG anders bewertet werden als im Außenverhältnis in Bezug auf Dritte.

 

Im Hinblick auf die Haftung im Außenverhältnis ist unstreitig, dass ein nicht der WEG angehörender Dritter, wie z. B. ein geschädigter Mieter, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in Anspruch nehmen kann, wobei sich die WEG sowohl das schuldhaft pflichtwidrig organschaftliche Verhalten des Verwalters als auch das Organisationsverschulden der Wohnungseigentümer zurechnen lassen muss.

 

Dasselbe gilt jedoch nicht im Innenverhältnis, wenn dem einzelnen Wohnungseigentümer ein Schaden wegen mangelnder Verkehrssicherung bezogen auf das Gemeinschaftseigentum entsteht. Für den Fall, dass die Verkehrssicherungspflicht den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich obliegt, kommt grundsätzlich eine Haftung der übrigen Wohnungseigentümer in Betracht. Daher ist eine Schadensersatzklage des geschädigten WEG-Mitglieds gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten. Verletzt ein Dienstleister, wie z. B. ein Handwerker, der von dem WEG-Verwalter zur Durchführung einer Reparatur beauftragt wird, seine Verkehrssicherungspflichten und entsteht dem WEG-Mitglied dadurch ein Schaden, so müsste der Geschädigte sein Glück in dem Vertrag mit dem Dienstleister suchen. Auch der WEG-Verwalter, der die Verkehrssicherungspflicht am Gemeinschaftseigentum meistens vertraglich übernimmt, kann im Schadensfalle gegenüber einem Wohnungseigentümer unmittelbar haften, sowohl aus Vertrag, als auch deliktisch.

 

FAZIT

Wer für die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflichten im Wohnungseigentum zuständig ist, ist eine dogmatisch spannende Frage mit haftungsträchtigen Folgen. Das Thema darf keinesfalls vernachlässigt werden. Schäden führen allzu oft zu sehr hohen Schadensersatzzahlungen. Für die WEG empfiehlt es sich daher, klare Regelungen in der Teilungserklärung und/oder Gemeinschaftsordnung zu treffen und sich versicherungsrechtlich gut abzusichern.

 

 

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Hilâl Özdemir

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Wirtschaftsjuristin (Univ. Bayreuth), Wirtschaftsmediatorin (MuCDR)

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