Elektrifizierung des Verkehrssektors – Geschäftspotenzial für kommunale Energieversorgungsunternehmen

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​veröffentlicht am 1. März 2024


 

Die Transformation zur klimafreundlichen Mobilität und damit verbunden der signifikant steigende Bedarf an Ladeinfrastruktur bietet insbesondere für kommunale Energieversorgungsunternehmen wirtschaftliche Zukunftschancen.


Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis 2030 um rund 48 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, um so einen wesentlichen Beitrag zur Begrenzung des durch den Klimawandel bedingten Temperaturanstiegs auf möglichst 1,5 °C zu leisten. Die Erreichung der Dekarbonisierungsziele soll unter anderem mit der Elektrifizierung des Verkehrssektors gelingen.1 In diesem Kontext hat die Bundesregierung verschiedene Zielmarken definiert: Bis 2030 sollen 15 Mio. vollelektrische Pkw (BEVs) auf deutschen Straßen fahren, rund 1 Mio. öffentliche Ladepunkte installiert werden und bereits bis Ende 2025 sollen rund ein Viertel aller Mitarbeiterparkplätze von Unternehmen mit Ladeinfrastruktur ausgestattet werden.2 15 Mio. BEVs entsprechen ca. 31 Prozent des aktuellen Pkw-Bestands in Deutschland (ca. 49 Mio.).

Per 31.12.2023 sind diese Ziele jedoch noch in weiter Ferne. Ende 2023 sind bundesweit ca. 1,3 Mio. BEVs zugelassen sowie 0,1 Mio. öffentliche Ladepunkte verfügbar.3 Die Erreichung der von der Bundesregierung gesetzten Zielmarken bedingt ein dynamisches jährliches Wachstum von ca. 42 Prozent bei den BEVs in den nächsten sieben Jahren (+ 13,7 Mio. BEVs und + 0,9 Mio. öffentliche Ladepunkte im Vergleich zum Status quo). Ob diese bis 2030 gesetzten Ziele tatsächlich realisiert werden können, ist gerade im Moment mit vielen Unsicherheiten verbunden, aber es ist in jedem Fall zu erwarten, dass die Anzahl der BEV-Zulassungen in den nächsten Jahren stark anwachsen wird. Für kommunale Energieversorgungsunternehmen eröffnet sich mit dieser Marktentwicklung die Möglichkeit, neben den tradierten Geschäftsmodellen neue, komplementäre Geschäftsaktivitäten im Bereich der Elektromobilität und Ladeinfrastruktur zu etablieren.

Was bedeuten die bundesweiten Ausbauziele im E-Mobilitätssektor nun konkret für Energieversorgungs-unternehmen und wie lassen sich hieraus Marktpotenziale für die Versorgungsunternehmen ableiten? 

Um diese Frage anschaulich zu beantworten, werden nachfolgend einige potenzielle Serviceleistungen im Bereich der Elektromobilität sowie das Marktpotenzial für diese Leistungen anhand eines exemplarischen Business Case für ein fiktives Versorgungsunternehmen kursorisch analysiert. 

Im Kernversorgungsgebiet des beispielhaften Versorgungsunternehmens entspricht der Anteil der BEVs an der Gesamt-Pkw-Anzahl aktuell mit ca. 2,5 Prozent (ca. 2.500 BEVs) dem bundesweiten Niveau von 2,7 Prozent (Stand: 1.10.2023). Bei Übertragung des bundesweiten Ausbauziels von ca. 31 Prozent BEVs im Jahr 2030 auf das Versorgungsgebiet des Musterversorgungsunternehmens bedeutet dies einen Bestand von rund 31.000 BEVs in der Musterstadt. Mit diesem Anstieg der BEV-Zulassungen muss ein deutlicher Ausbau der Ladeinfrastruktur im öffentlichen, halböffentlichen sowie privaten Bereich einhergehen. Viele kommunale Versorgungsunternehmen sind bereits im Betrieb der öffentlichen Ladeinfrastruktur engagiert, mit durchaus unterschiedlichem Erfolg. Die Dichte der öffentlichen Ladepunkte wird vom Verband der Automobilindustrie (VDA) mit dem T-Wert gemessen.4 Die Zielmarke von 1 Mio. öffentlicher Ladepunkte im Jahr 2030 für 15 Mio. BEVs entspricht einem T-Wert von 15. Überträgt man diesen T-Wert auf das Versorgungsgebiet des exemplarischen Versorgungsunternehmens, bedeutet dies bei einer Zielmarke von ca. 31.000 BEVs im Jahr 2030 einen Bedarf von rund 2.000 öffentlichen Ladepunkten bis zum Jahr 2030. Angeno mmen, im exemplarischen Versorgungsgebiet gäbe es aktuell bereits ca. 200 öffentliche Ladepunkte (entspricht dem aktuellen bundesweiten T-Wert von 12 bei ca. 1,3 Mio. BEVs und 0,1 Mio. öffentlichen Ladepunkten), würde dies einem Zuwachs von nahezu 1.800 öffentlichen Ladepunkten bis zum Jahr 2030 entsprechen.

Neben dem signifikanten Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur ist zu erwarten, dass mit dem Hochlauf der Elektromobilität ein zunehmender Bedarf an Ladeeinrichtungen im gewerblichen und privaten Bereich entstehen wird. In diesem Marktumfeld können sich interessante Geschäftspotenziale für kommunale Versorgungsunternehmen ergeben. Einige Energieversorgungsunternehmen haben sich beispielsweise bereits im Vertrieb von Ladeeinrichtungen und Ladestrom positioniert. Der E-Mobilitätsmarkt bietet jedoch ein durchaus breiteres Produktspektrum. So können Energieversorgungsunternehmen ihr Produktportfolio beispielsweise durch Standortanalysen und Standortkonzeptionierungen – als vorbereitende Maßnahme für die Errichtung von Ladeeinrichtungen – erweitern. Darüber hinaus bietet sich in der kaufmännischen Betriebsführung die Möglichkeit, den Kundenservice sowie die Abrechnung von Ladevorgängen zu übernehmen. Hierfür sind entsprechende Kompetenzen gefragt, über die Energieversorgungsunternehmen bereits häufig aufgrund ihrer tradierten Geschäftsaktivitäten verfügen. Auch in der technischen Betriebsführung verfügen Energieversorgungsunternehmen häufig über notwendige Kompetenzen, um Wartungs- und Instandhaltungsleistungen für Ladeinfrastruktur anbieten zu können. 

Gerade Unternehmen aber auch Hausverwaltungen und Unternehmen der Wohnungswirtschaft haben nach unserer Marktbeobachtung durchaus Bedarf im Bereich der konzeptionellen Beratung sowie der Installation von Ladeeinrichtungen. Ob es sich für Versorgungsunternehmen lohnt, in diesem Segment Serviceleistungen auf- oder auszubauen, sollte strukturiert analysiert werden. Wie die Analyse des Marktpotenzials für Serviceleistungen rund um die Installation von Ladeeinrichtungen im Privat- und Gewerbebereich sowie der potenzielle Verkauf von Ladestrom im Versorgungsgebiet des exemplarischen Versorgungsunternehmens kursorisch abgeleitet werden kann, wird in Abbildung 1 fokussiert.



Abbildung 1: Übertragung der Bundesziele auf das fiktive Versorgungsunternehmen (eigene Darstellung Rödl & Partner)5
 
Um das Geschäftspotenzial im Bereich der Ladeeinrichtungen in der Wohnungswirtschaft abzuleiten, kann beispielsweise auf verfügbare statistische Daten über Wohngebäudestruktur und die damit einhergehende Anzahl an Wohnungen und Stellplätzen als Schätzer zurückgegriffen werden. Im Fall des fiktiven Versorgungsunternehmens besteht ein Marktpotenzial von rund 85.000 Stellplätzen, die mit Ladeeinrichtungen ausgestattet werden können. Das Marktpotenzial wird jedoch durch Angebote anderer Markteilnehmer sowie durch bereits mit Ladeinfrastruktur ausgestattete Stellplätze deutlich reduziert werden.

Das Marktpotenzial für die Installation von Ladeeinrichtungen im Gewerbebereich lässt sich aus der Anzahl an Mitarbeiterstellplätzen von ansässigen Unternehmen ableiten. Im fiktiven Marktgebiet sind rund 15.000 Firmen mit ca. 143.000 Beschäftigten ansässig. Da sich der Stellplatzbedarf an der Nutzfläche bzw. an der Beschäftigtenzahl eines Unternehmens bemisst, entspricht dies im vorliegenden Fall rund 47.000 Mitarbeiterstellplätzen.6 Unter Berücksichtigung des Gesetzes zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für Elektromobilität (GEIG)7 sowie dem gesetzten Ziel der Bundesregierung bis 2025 ein Viertel der Mitarbeiterstellplätze mit Ladepunkten auszustatten, beläuft sich das Installationspotenzial auf ca. 12.000 Parkplätze. Analog zur Wohnungswirtschaft wird sich das Marktpotenzial auch im Gewerbebereich wettbewerbsbedingt reduzieren.

Das Geschäftspotenzial im Bereich Ladestromvertrieb bemisst sich an der Stromabsatzmenge, die aus dem Bestand an BEVs im Versorgungsgebiet des fiktiven Versorgungsunternehmens resultiert. Zur Erreichung der Zielmarke von 31.000 BEVs bis 2030 im Versorgungsgebiet des fiktiven Versorgungsunternehmens wird – unter Berücksichtigung des aktuellen Bestands von ca. 2.500 BEVs – eine jährliche Zuwachsrate von ca. 43 Prozent unterstellt. Bei einer durchschnittlichen Jahresfahrleistung von 12.000 Kilometern sowie einem durchschnittlichen Stromverbrauch von 18 kWh pro 100 km beträgt der durchschnittliche Jahresstromverbrauch ca. 2.160 kWh pro BEV.



Abbildung 1: Übertragung der Bundesziele auf das fiktive Versorgungsunternehmen (eigene Darstellung Rödl & Partner) 


Auch im Stromvertrieb liegt das tatsächliche Absatzpotenzial für das Versorgungsunternehmen aufgrund von Eigenerzeugung, öffentlichen Lademöglichkeiten im Versorgungsgebiet sowie Ladevorgängen außerhalb des Versorgungsgebiets tatsächlich niedriger. Ebenso wird das Marktpotenzial für den Verkauf von Ladestrom durch die Angebote anderer Stromversorger im Netzgebiet determiniert. 

Nach der Analyse der Marktpotenziale können auf Grundlage von Preis- und Kostenindikationen die Erfolgspotenziale in den nächsten Jahren abgeschätzt werden. 

Natürlich ist die Entwicklung des Ergebnispotenzials in den nächsten Jahren wesentlich davon abhängig, wie sich der E-Mobilitätsmarkt entwickelt. 

Aufgrund der Volatilität des E-Mobilitätsmarktes sollten für das Absatz- und Ergebnispotenzials eines Energieversorgungsunternehmens in jedem Fall verschiedene Szenarien im Rahmen eines Business Case simuliert werden. 


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1 Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV): Klimaschutzziele und Beschlüsse (Stand 7/2023).
2 Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV): Masterplan Ladeinfrastruktur II der Bundesregierung (Stand 10/2022) und Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Mehr Fortschritt wagen; Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (Stand 12/2021).
3 Kraftfahrt-Bundesamt (KBA): Fahrzeugzulassungen; Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Bundesländern, Fahrzeugklassen und ausgewählten Merkmalen (Stand 9/2023) und Bundesnetzagentur: Ladesäulenregister Bundesnetzagentur (Stand 8/2023).
4 Der T-Wert gibt an, wie viele vollelektrische Pkw sich einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt teilen (Quelle: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA): VDA-E-Ladenetz-Ranking, Stand 7/2023).
5 Statistisches Bundesamt (Destatis): Bevölkerungsstand; Bevölkerung im 3. Quartal 2023 gestiegen (Stand 9/2023) und Statistisches Bundesamt (Destatis): Gesellschaft und Umwelt; Wohnen (Stand 12/2022).
6 Bayerische Staatskanzlei: Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV: Fassung vom 30.11.1993) (Stand 1/2024) und Architekturkammer Baden-Württemberg: Herstellung notwendiger Stellplätze nach Landesbauordnung (Stand 9/2022).
7 Bundesministerium der Justiz: Gesetz zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität (Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz - GEIG) (Stand 3/2021).




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