Automatisierung bei BPO: Prozessoptimierung in der Buchhaltung – Teil 3

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veröffentlicht am 14. Juli 2022 | Lesedauer ca. 7 Minuten

 

Stellen Sie sich vor, Sie wollen sich einen Film ausleihen. Früher hatte man einen DVD- oder einen Blu-ray-Spieler und ging in eine Videothek, um sich einen Film aus­zuleihen. Dieser Prozess würde es erfordern, sich physisch von zu Hause zum Verleih und zurück zu begeben. Sie könnten diesen Prozess optimieren, indem Sie das Auto nehmen anstatt zu Fuß zu gehen und vorab per Telefon die vorhandenen Optionen prüfen, ob der Film verfügbar ist, welche anderen Filme es gibt. Der DVD-Verleih kann externe Rückgabeboxen anbieten, die der Kunde außerhalb der Öffnungszeiten nutzen kann. Das nennt man die Feinanpassung des Prozesses – es liefert eine Verbesserung von 10 bis 30 Prozent. Aber erst mit der Einführung der Online-Streaming-Dienste haben sich die Spielregeln so geändert, dass sich der Prozess plötzlich dramatisch um >95 Pro­zent verbessern ließ. Bei jedem Geschäft gibt es schrittweise Änderungen und es gibt diese großen radikalen Änderungen, Prozessdisruptionen, die die Spielregeln ändern.

 

Bei der Einführung von KI in der Buchhaltung interessiert uns mehr und mehr das Konzept der „Dunkel­bu­chung“. Was ist die Dunkelbuchung? 

  
Bei der Dunkelbuchung wird eine wirtschaftliche Transaktion über einen Buchungsbeleg identifiziert, der auto­matisch im Kontenplan abgebildet wird. In unserem Beispiel wird der Buchhalter die Rechnung nicht berühren und nicht einmal sehen, es sei denn, er möchte dies ausdrücklich. Die Rechnung wird in das System einge­geben, alle benötigten Informationen werden extrahiert, alle Prüfungen auf Übereistimmung im Rahmen der Validierung durchgeführt und sie wird direkt in die Buchhaltungssoftware eingegeben, wo sie in Form eines Buchungssatzes gespeichert wird.  Dies könnte die nächste große Wende im Spiel sein, auf die wir alle warten. Aber stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Rechnungen sich selbst buchen. Es ist so schwierig, diesem System zu vertrauen. Wir haben alle möglichen Emotionen, insbesondere, wenn wir mit Buchhaltung zu tun haben. Sehen wir uns den neuen Prozess Schritt für Schritt an und versuchen wir, ihn ein bisschen besser zu verstehen. 

 

1. Die Rechnung wird in das Workflow-System eingegeben

Das ist der traditionelle Schritt – die Dokumente werden in die Workflow-Software aufgenommen. Dies kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden, aber nehmen wir an, sie wurde per E-Mail an ein speziell einge­richtetes E-Mail-Postfach gesandt, um dann automatisch in das Workflow-System befördert zu werden.
 

2. Grundlegende Entscheidung über die Zuordnung

Dieser Schritt ist bereits mit einer vorhandenen OCR-Software verbunden. 
  • Die OCR-Software liest alle Informationen aus dem Dokument heraus. 
  • Der Computer Vision-Algorithmus erkennt alle Felder im Dokument und erfasst ihre Positionskoordinaten.
  • Word Embedding macht das Dokument logisch verständlich, erweitert um Datenanreicherung, die Positionen von ähnlichen Posten werden in der Form eines flexiblen Graphen erkannt. 
  • Ein Modell, das auf Maschinellem Lernen beruht, prüft die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mithilfe eines Merkmalsmodells für Rechnungs-Metadaten und weiteren spezifischen Teilmodellen in der betrach­teten Domäne.  Eine Empfehlung zu der Art des Dokuments wird abgegeben – in unserem Fall ist es eine Ein­gangsrechnung – und ob es sich um ein Duplikat handelt, das bereits im System vorhanden ist. 
  • Nachdem dies geklärt ist, wird die Workflow-Route für Eingangsrechnungen zugeordnet. 
 

3. Übereinstimmungsprüfungen im Rahmen der Validierung

Wie zu Beginn erläutert, muss eine Rechnung einige Elemente aufweisen, damit sie formal gültig ist. Die Mit­arbeiter prüfen dies i.d.R. manuell und wenn etwas fehlt, beginnt der Prozess zur Lösung dieses Problems. Normalerweise würde man die Rechnung korrigieren müssen, was zeitaufwendig ist, da man sich mit dem Vertragspartner in Verbindung setzen und die Erklärungen koordinieren muss. Stattdessen können formale Regeln und Maschinelles Lernen diese Eingangsprüfung automatisch durchführen und ein direktes Feedback geben, z.B. über eine E-Mail, in der erklärt wird, was das Problem ist und welche Informationen benötigt wer­den, die an die E-Mail-Adresse, von der die Rechnung übersandt wurde, verschickt wird. In unserem Beispiel wäre das – „Die Steueridentifikationsnummer stimmt nicht mit den Informationen vom Lieferanten überein“ mitsamt einer ausführlichen Erläuterung dazu, wie die Steueridentifikationsnummer lautet und welche Information in der Öffentlichen Steueridentifikationsdatenbank gefunden wurde. In der Regel werden mehrere Angaben auf Übereinstimmung geprüft, u.a.:

  • Steueridentifikationsnummer
  • Angaben zum Lieferanten
  • Gültigkeit der Kontonummer des Lieferanten
  • Angaben zum Leistungsempfänger
  • Rechnungsnummer
  • Rechnungsdatum
  • Rechnungsposten
  • Verkaufsdatum
  • Nettobetrag
  • Bruttobetrag
  • Steuersätze
  • Berechnung des Bruttobetrags
  • Wechselkurs
     

Für jeden dieser Punkte wird ein Ja/Nein-Check durchgeführt. In einigen Feldern, wie den Angaben zum Lieferanten, können die Formatierungen in der Datenbank und in der Rechnung voneinander abweichen; hier würden wir Maschinelles Lernen verwenden, um die Übereinstimmungswahrscheinlichkeit zu erhalten. Wenn sie > 99 Prozent beträgt, können wir sagen, dass die Übereinstimmungsprüfung bestanden ist. Unsere Daten zeigen, dass 2,46 Prozent der Rechnungen Korrekturen sind.
 

4.Zuordnung der Buchung

Nachdem wir die Gültigkeit der Rechnung bestätigt haben, müssen wir dieser Rechnung einen Buchungs­ein­trag zuordnen. Wir würden daher in das Maschinelles-Lernen-Modell einen Vektor aus numerischen histo­rischen Informationen eingeben, um dieser eingehenden wirtschaftlichen Transaktionsart ein Buchungskonto zuzuordnen. Aber es gibt noch eine Hürde, die zu überwinden ist. Und diese ist: Wie viele Buchungseinträge sollen wir für diese Rechnung anlegen? Manchmal, wenn die Rechnung verschiedene Themen umfasst, wollen wir jeden Einzelposten als separate Buchung eingeben. Hier wäre ein gutes Beispiel eine Rechnung von einem Lieferanten von Büromaterialien, die viele verschiedene Büromaterialien, Snacks und Reinigungsmittel enthält. Diese Rechnung würde gewöhnlich 3 Buchungseinträge haben.
 
Ein anderes Beispiel wäre eine Sammelrechnung für Benzin, die viele Posten für Benzinkosten aber auch für Scheibenspray und Ersatzteile ausweist. Normalerweise gruppieren die Buchhalter diese Einzelposten, um sie zusammen auf einem Konto zu buchen. Unser Algorithmus für Maschinelles Lernen tut genau das Gleiche.  
 

 
Die Analyse der früheren Daten zeigt, dass mehr als 80 Prozent der Eingangsrechnungen mit nur einem Buchungseintrag zugewiesen werden. Das sagt uns, dass es einen stabilen Strom von Eingangsrechnungen gibt, die sich einfach zuordnen lassen.
 
Wenn wir prognostizieren, wie viele Buchungseinträge für eine Rechnung erstellt werden sollen, müssen wir für jeden Einzelposten eine Liste der Buchungseinträge von den wahrscheinlichsten bis zu den am wenigsten wahrscheinlichen prognostizieren und die Liste mit der Zahl der Buchungskonten, die im vorherigen Schritt identifiziert wurden, beenden. Dann müssen wir die Buchungseinträge anhand der prognostizierten Konten gruppieren und voilà, der Buchungseintrag ist fertig für die Übersendung an unser Buchhaltungssystem.
 

5. Übertragung der Information an das Buchhaltungssystem

Der letzte Schritt wäre die Übersendung der Information über den Buchungseintrag an das Buchhaltungs­system und die Speicherung dort. Dies kann mittels 4 Hauptmethoden erfolgen:
 
a. Menschliche Schnittstelle (bekannt auch als „Protein Interface“), was bedeutet, dass eine Person manuell das Workflow-System öffnet, das Buchhaltungssystem öffnet und die Information von einem System in das andere kopiert.  Es klingt vielleicht etwas seltsam bei dieser Anordnung, aber wenn wir uns die Software-Lösungen im Bereich Robotic Process Automation (RPA) ansehen, dann ist es genau das, was getan wird, mit dem Unterschied, dass das Kopieren und Einfügen nicht von einer Person sondern von einer vorkonfigurierten Software, die die Mausbewegungen und -steuerung emuliert, ausgeführt wird. 
 
b. Hochladen von Flatfiles – wir können z.B. Excel-Dateien oder csv/text-Dateien verwenden, um die Infor­ma­tion aus dem Workflow-System herunterzuladen und sie dann in das Buchhaltungssystem hochzuladen. Das geschieht in Form einer Datei, die die Nutzer kennen und modifizieren können. Daher sind, wenn eine Excel-Datei angelegt und vom Workflow-System heruntergeladen wird, in ihr gewöhnlich alle Buchungseinträge angelegt und der Buchhalter kann sie einfach in das Buchhaltungssystem hochladen – vorausgesetzt, das Buchhaltungssystem verfügt über diese Option des Hochladens und Lesens der Schnittstellendatei. 
 
c. Direkte Datenbankverbindung – wir können uns direkt mit der Datenbank der Buchhaltungssoftware verbinden. Auf diese Weise können wir, wenn die Verarbeitung unseres Workflows beendet ist, diese Infor­mation zu den neuen Buchungseinträgen direkt in die Datenbank buchen. Dieser Ansatz wird jedoch für nicht sicher befunden. Sie sollten ihn niemals in der Praxis verwenden und den Zugriff auf die Datenbanken immer auf das absolute Minimum beschränken.
 
d. Programmierschnittstelle (API) – es gibt Access Points zum  Buchhaltungssystem, die wir nutzen, um Buchungen automatisch sicher einzugeben.  Die API ermöglicht uns einen kontrollierten und gewöhnlich gut geschützten Zugang zur Versendung und zum Erhalt von Informationen, was die Integrationsaufgaben zu 100 Prozent automatisiert. 
 
Wenn eine API verwendet wird, wird die Buchung direkt in das Buchhaltungssystem eingegeben, wo sie ge­speichert wird. Für wie viele Dokumente wäre dieser neue Flow an Dunkelbuchungen somit empfehlenswert und machbar?

 
Wenn wir uns die historischen Daten ansehen, werden Eingangsrechnungen unter diesen Hauptkonto­kate­gorien gebucht:
 
Die Gruppe 0 umfasst die Konten für Anlagevermögen:

  • Sachanlagen
  • Immaterielle Vermögensgegenstände
  • Finanzanlagevermögen
  • Abschreibung von Vermögensgegenständen
  • Investitionen

 

Die Gruppe 4 umfasst synthetische Konten:

  • Abschreibung
  • Material- und Energieverbrauch
  • Fremdleistungen
  • Steuern und Gebühren
  • Vergütung
  • Sozialabgaben und andere Leistungen
  • Sonstige Kostenarten
  • Kostenabrechnung

 

Die Gruppe 7 umfasst Umsatz-, Ertrags- und Aufwandskonten:

  • Umsatzerlöse und Umsatzkosten, Aufwendungen im Finanzbereich und sonstige betriebliche Erträge und Aufwendungen
  • Nicht von Konto 403 erfasste Steuern
  • Erhaltene Zuschüsse und Förderung

 

Dann müssten wir uns darauf konzentrieren, Empfehlungen abzugeben:

  1. Wie viele Buchungseinträge sollen im Buchhaltungssystem für die ausgewählte Eingangsrechnung vorge­nom­men werden?
  2. Welche Buchungskonten sollen für diese Einträge gewählt werden?

Wenn wir uns die historischen Daten ansehen, fällt auf, dass die meisten Dokumente zu einem einzigen Buchungseintrag führen. Das ist ermutigend, denn wir können sehen, dass es einen Strom an Rechnungen gibt, der den Prozess mit minimalen Komplikationen durchläuft. Es ist um Vieles einfacher, eine Empfehlung für einen Buchungseintrag für eine Rechnung abzugeben, die nur einen Eintrag haben sollte. Das ist die Gelegen­heit zur Dunkelbuchung für uns.
 
Danach können wir die Buchung finalisieren, indem wir das Buchungskonto empfehlen. Wenn dies mit einem Konfidenzniveau von >99 Prozent geschieht, wird der Buchungseintrag direkt in das Buchungssystem einge­geben. Wenn das Konfidenzniveau geringer ist, wird die Buchung zur Überprüfung angewiesen. Dann sieht sich ein Mitarbeiter alle Annahmen an und steuert sie. Bislang haben unsere Algorithmen für Künstliche Intelligenz, die in der Produktionstestphase eingesetzt wurden, eine Genauigkeit von 78 Prozent bei den Empfehlungen erreicht, bei 465 detaillierten Buchungskonten. 

 

6. Kapitalrendite

Erinnern Sie sich an unsere Idee der Videoausleihe? Jetzt können Sie sich vorstellen, was wir meinen, wenn wir von der Anwendung von Prozessoptimierung vs. Prozessdisruption sprechen. 

 

Die durchschnittliche Zeit für die Buchung einer Rechnung beträgt 4 Min. 36 Sek. und Sie verarbeiten 20 000 Rechnungen pro Monat. Mit der Einführung eines Dunkelbuchungssystems mit einer Optimierung von 60 Pro­zent würden Sie 920 Stunden im Monat einsparen können, das macht ca. 7 VZÄs (Vollzeitäquivalente), was einer jährlichen Ersparnis von 350.000 PLN entspricht. 
 
Aber das ist nicht das Schöne an dieser Disruption. Das Schöne daran ist, dass Sie diese Mitarbeiter tat­säch­lich umdirigieren können, so dass sie Prozessexperten und Experten in Künstlicher Intelligenz werden, anstatt sich wiederholende Aufgaben zu erledigen. Es ist die Verantwortung eines jeden Arbeitgebers, die Weiter­ent­wicklung aller beschäftigten Mitarbeiter zu fördern. Die Einführung der Dunkelbuchung ist eine Möglichkeit, um dies zu erreichen. Letztlich ist das Buchhaltungsgeschäft eben nicht einfach.


   

NB: Die Grafiken stammen aus internen Tools, die bei Rödl & Partner verwendet werden.

 

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