Außerordentliche Kündigung nach Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit kann trotz AU-Bescheinigung wirksam sein

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veröffentlicht am 30. April 2018
 
​Das Landesarbeitsgericht Köln erklärte eine außerordentliche Kündigung aufgrund des Vor­täuschens einer Arbeitsunfähigkeit für wirksam. Es ist nicht das erste Urteil, das sich mit der Thematik beschäftigt. Mittlerweile ist es unstreitig, dass es sich bei einem dringenden Verdacht des Vor­täuschens einer Krankheit um einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB handelt, wenn er sich auf objektive Tatsachen stützt. Normalerweise reicht eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (AU-Bescheinigung) jedoch aus, um den Beweis für die tatsächliche Arbeits­unfähigkeit zu er­bringen. Sie ist gesetzlich vorgesehen, so dass ihr ein hoher Beweiswert zukommt. Daher stellt sich in solchen Fällen stets die Frage, ob – und wenn ja wie – dieser hohe Beweiswert erschüttert werden kann.   
 
 

  

 
Im vorliegenden Fall hatte die gekündigte Arbeitnehmerin (Klägerin) mehrfach und bei mehreren Ansprech­partnern um die Gewährung von Urlaub für einen bestimmten Zeitraum gebeten. Dieser wurde aufgrund einer fehlenden Vertretungseinigung nicht gewährt. Zu einer Kollegin soll sie zudem gesagt haben, dass sie an diesen Tagen auf keinen Fall da sein werde. Hinzu kam, dass die Klägerin während ihrer Arbeits­un­fähig­keit mit ihrem Ehemann bei einer Vernissage in einer anderen Stadt war, was auch der Grund für ihren ursprünglichen Urlaubsantrag gewesen war. Die Gesamtumstände waren laut dem Gericht geeignet, den Beweiswert der später vorgelegten AU-Bescheinigung zu erschüttern und den erforderlichen dringenden Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit zu begründen.
 

Die Beweisaufnahme zur Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung

Der dringende Verdacht konnte in der Beweisaufnahme weder durch das angefertigte Sachver­ständigen­gutachten noch durch die Vernehmung der Hausärztin der Klägerin abgeschwächt werden. Das Gutachten kam zwar nicht zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Klägerin tatsächlich arbeitsfähig bzw. arbeitsunfähig war; und aufgrund der Beweislast geht ein solches Ergebnis i.d.R. zu Lasten desr Beklagten, also der Arbeitgeberin. Allerdings reichte das Gutachten im vorliegenden Fall angesichts der anderen Umstände auch nicht aus, um die erheblichen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit gänzlich auszuräumen. Ebenfalls half der Klägerin die Ver­nehmung ihrer Hausärztin nicht weiter. Sie konnte keine ausreichenden Angaben zu der von ihr durch­geführten Diagnostik machen, so dass im Endeffekt davon auszugehen war, dass sich das Ausstellen der AU-Bescheinigung allein auf die Aussagen der Klägerin zu ihrer angeblich psychischen Ausnahmesituation stützte. Auch widersprüchliche Aussagen der Klägerin selbst, z.B. wann und ob sie sich aufgrund des Rates ihrer Ärztin zu der Reise zur Vernissage während ihrer Arbeitsunfähigkeit entschieden hatte, unterstützten den dringenden Verdacht. Ebenfalls gegen die Glaubwürdigkeit der Klägerin sprach ihre Falschangabe bei der Anhörung durch die Beklagte, dass sie während ihrer Arbeitsunfähigkeit das Haus nur für Arztbesuche verlassen habe. Gerechtfertigt sei die falsche Angabe auch nicht durch das angeblich feindlich gesinnte Auftreten dreier Vertreter der Beklagten bei der Anhörung gewesen.
 

Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung und der nachhaltigen Folgen für das Vertrauensverhältnis war im Übrigen keine vorherige Abmahnung nötig. Zwar wurden bei der Abwägung auch die 10-jährige Betriebs­zugehörigkeit und das fortgeschrittene Alter der Klägerin von 55 Jahren berücksichtigt, aber aus denselben Gründen als unzureichend für ein überwiegendes Fortbestehungsinteresse eingestuft.
 
In der Beweisaufnahme wurden ferner die Ergebnisse der Beauftragung einer Detektei vorgelegt, die den dringenden Verdacht unterstützten. Als Widerklägerin forderte die Beklagte die Erstattung des Honorars von der Klägerin. Dem gab das LAG Köln ebenfalls statt. Als Begründung führte es an, dass der Arbeitgeber einen konkreten schwerwiegenden Tatverdacht hatte und die Beauftragung notwendig und wirtschaftlich war. Ebenfalls ist die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum der angeblichen Krankheit der Klägerin zurückzuzahlen.
 

Fazit und Bedeutung für die Praxis

Insgesamt hat das LAG Köln entschieden, dass die Gesamtumstände des Falles geeignet waren, das Vorliegen von begründeten Zweifeln an der Beweiskraft der AU-Bescheinigung auszulösen und damit die außer­ordentliche Kündigung der Beklagten wirksam war. Das Urteil gibt damit Anhaltspunkte, wann der Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttert und wann entsprechende Verdachtsmomente als erheblich und ausreichend für eine außerordentliche Kündigung gewertet werden können.
 
Ein fester Maßstab, wann eine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist, kann hieraus indes nicht abgeleitet werden. Es findet dennoch in jedem Einzelfall eine Abwägung der beider­seitigen Interessen und der Gesamtumstände, wie z.B. das Gewicht und die Auswirkungen der Pflicht­verletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr und die Dauer bzw. der Ablauf des bisherigen Arbeitsverhältnisses, statt.
 
Bei Verdachtskündigungen kommt hinzu, dass der Verdacht dringend sein muss, also eine große Wahr­scheinlichkeit des Zutreffens besteht. Weiterhin muss der Arbeitgeber Anstrengungen zur Aufklärung vornehmen, wie z.B. dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einer Stellungnahme geben. Wichtig ist, dass diese ordnungsgemäß durchgeführt wird, da ansonsten die Verdachtskündigung bereits aus formellen Gründen unwirksam sein kann.
 
Nichtsdestotrotz sind die Erwägungen des LAG Köln zu den Fragen der Möglichkeit der Erschütterung der Beweiskraft einer AU-Bescheinigung sowie auch im Hinblick auf die für eine außerordentliche Verdachts­kündigung erforderlichen Verdachtsmomente – sofern das Bundesarbeitsgericht (BAG) im aktuell noch anhängigen Revisionsverfahren den Erwägungen des LAG Köln folgen sollte – in der Praxis zumindest geeignet, Arbeitgebern einen gewissen Rahmen zu geben, wann und in welcher Form ein entsprechendes Verhalten der Arbeitnehmer sanktioniert werden kann.
 
Da das Verfahren derzeit vor dem BAG anhängig ist, bleibt jedoch zunächst abzuwarten, ob das BAG der Entscheidung des LAG folgt.
 

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