Die Aufstockungsklage des Architekten – es gibt sie noch!

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veröffentlicht am 1. August 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Totgeglaubte leben länger – so auch die Aufstockungs- oder Mindestsatzklage der Architekten und Ingenieure. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die HOAI im Jahr 2019 für europarechtswidrig erklärt, eine Mindestsatzunterschreitung nach HOAI 2013 kann dennoch weiterhin klageweise geltend gemacht werden. Zumindest solange der Anspruch noch nicht der Verjährung zum Opfer gefallen ist.

  
 
  
Die Aufstockungsklage – ein regelrechter „Klassiker” deutscher Zivilgerichtsprozesse, jedenfalls bislang. Da die HOAI seit jeher ein verbindlich einzuhaltendes Preisrecht enthielt, war es keine Seltenheit, dass ein Architekt trotz der (meist pauschalen) Absprache mit dem Auftraggeber, weniger als die Mindestsätze abzurechnen, im Nachgang dennoch die Differenz hierzu als „Aufstockung” begehrte. Dies geschah nicht selten mit Erfolg, notfalls klageweise, denn dem Auftraggeber gelang es nur sehr selten, eine wirksame, von der HOAI abweichende Vergütungsvereinbarung zu belegen und zu begründen.

 

 

Nunmehr alles neu?

Im Juli 2019 hatte der Europäische Gerichtshof dann die Europarechtswidrigkeit der damaligen Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2013 festgestellt. Die deutschen Regelungen verstießen gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie. Einer der Hauptkritikpunkte war unter anderem, dass die Mindestsätze nicht an eine bestimmte Qualifikation desjenigen anknüpften, der die Planungsleistung erbringt. Es war also insbesondere nicht sichergestellt, dass mit der Mindestvergütung auch ein Mindestmaß an Qualität sichergestellt war. Die Bundesrepublik hat hierauf reagiert. Seit dem 1. Januar 2021 gilt die neue HOAI 2021, in welcher keine verbindlichen Mindest- und Höchstsätze mehr vorgesehen sind.

An das Urteil aus 2019 schloss sich eine elementare Folgefrage an: Wie ist mit sogenannten Altfällen umzugehen? Was passiert mit Rechtsstreitigkeiten, die sich um Mindestsatzunterschreitungen aus der HOAI 2013 drehen? Können hierüber geführte Gerichtsverfahren – für den Architekten – erfolgreich weiterbetrieben werden? Oder sind sie allesamt hinfällig, weil die Entscheidung des EuGH auch „rückwirkend” gilt?

 

HOAI 2013 bleibt uns erhalten

Zur Überraschung einiger hielt der EuGH die Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2013 für Verträge, die vor dem 1. Januar 2021, also vor Geltung der neuen HOAI 2021, geschlossen wurden, weiterhin für anwendbar. Der EuGH wies dabei darauf hin, dass eine europäische Richtlinie, wie die Dienstleistungsrichtlinie, keinerlei Verpflichtungen für den Einzelnen begründet, sodass sich eine Privatperson vor Gericht auch nicht auf eine solche Richtlinie berufen kann. Daraus folgte, dass der Verstoß einer nationalen Vorschrift (HOAI) gegen eine Richtlinie nicht dazu führt, dass ein Gericht die rechtswidrige Norm einfach unangewendet lassen kann.

Hieran anschließend war dann noch der Bundesgerichtshof (BGH) an der Reihe, der die Aussagen des EuGH für die deutsche Gerichtsbarkeit zu verarbeiten hatte. Mit seinem Urteil vom 2. Juni 2022 setzte der BGH die Aussagen des EuGH im nationalen Rechtsstreit um. Auch er teilte die Ansicht, dass die „alte" HOAI 2013 und insbesondere deren Mindestsätze auf vor dem 1. Januar 2021 geschlossene Verträge weiterhin Anwendung findet. Argumentativ schloss sich der BGH – erwartungsgemäß – mehr oder minder dem EuGH an. Gegenstand des Falls vor dem BGH war indes auch eine Aufstockungsklage. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten (die Auftraggeberin), die sich u.a. auf einen Verstoß des Klägers (der Architekt) gegen Treu und Glauben berief, griffen nicht durch. Die Geltendmachung eines Anspruchs durch eine Partei kann nach Auffassung der Bundesrichter nicht deshalb als treuwidrig und damit unzulässig bewertet werden, weil die nationale Rechtsvorschrift, aus der der Anspruch hergeleitet wird, gegen eine Richtlinie der Europäischen Union verstößt.

 

Eine Partei kann sich vielmehr grundsätzlich auf eine nationale Rechtsvorschrift berufen, solange diese weiterhin gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung ist nur dann einschlägig, wenn die Anwendung einer Rechtsvorschrift einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt ausnahmsweise nicht hinreichend zu erfassen vermag. Zudem muss für einen Beteiligten ein unzumutbares, unbilliges Ergebnis entstehen. Es dient jedoch nicht dazu, eine vom nationalen Gesetzgeber mit einer Rechtsvorschrift getroffene Wertung generell durch eine andere Regelung zu ersetzen. Sofern der nationale Gesetzgeber eine Richtlinie der Europäischen Union nicht zutreffend umgesetzt hat und eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift nicht möglich ist, ist es deshalb nicht gerechtfertigt, einer Partei wegen der Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden Rechtsvorschrift die Berufung hierauf zu verwehren.

Hiermit in Einklang steht auch die Spruchpraxis der nationalen Gerichte. So entschied beispielsweise das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg bereits im April 2022, dass eine Berufung auf die Mindestsätze unter Geltung der HOAI 2013 zwischen Privaten weiterhin möglich ist. Dies ist auch nach Ansicht des OLG insbesondere nicht per se treuwidrig. Eine Treuwidrigkeit wegen widersprüchlichen Verhaltens des Architekten wird in ständiger Rechtsprechung nur dann angenommen, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut hat und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann, weil sie eine besondere Härte für ihn bedeuten würde. Dies war im Fall des Oberlandesgerichts Hamburg nicht gegeben.

Offen ist und bleibt nach wie vor die Frage, ob die einschlägigen Entscheidungen 1:1 für öffentliche Auftraggeber gelten. Denn in den zugrunde liegenden Fallkonstellationen standen stets nur private Akteure in Streit.


Fazit

Während die Fachwelt im Jahr 2019 noch teilweise dachte, mit den Aufstockungsklagen der Architekten würde es „den Bach hinunter” gehen, sind wir inzwischen alle eines Besseren belehrt worden. Verträge, die vor dem 1. Januar 2021 geschlossen wurden, fallen weiterhin in den Geltungsbereich der HOAI 2013 und damit auch in das verbindliche Preisgefüge der Mindest- und Höchstsätze.

Dennoch werden Aufstockungsklagen nach und nach aus der Gerichtspraxis verschwinden, da immer weniger Rechtsstreitigkeiten über derartige Altverträge geführt werden. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Verjährung und der Tatsache, dass auch der längste Gerichtsprozess, sei es durch Vergleich oder Urteil, irgendwann einmal abgeschlossen ist.

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