Brexit und Kartellrecht: Gefahr neuer Hürden für Vertrieb, F&E und Technologietransfer

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veröffentlicht am 28. Februar 2019


Der geplante Austritt Großbritanniens aus der EU („Brexit”) führt – wann immer er am Ende voll­zogen wird – aufgrund der komplexen wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb der EU in vielerlei Hinsicht zu rechtlicher Verunsicherung. Daher gilt es, für die in der EU ansässigen Unternehmen zu klären, ob ihre vertraglichen Beziehungen mit ihren britischen Partnern „fit” für den Brexit sind. In den Fokus gerät damit auch das kartellrechtliche Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinba­rungen oder Maßnahmen – gerade in den kartellrechtlich relevanten Feldern Vertrieb, Forschung/Entwicklung und Technologietransfer. Es stellt sich die Frage, ob durch den Brexit neue kartell­rechtliche Hürden für vertragliche Vereinbarungen mit britischen Vertriebs- und Kooperations­partnern entstehen.

 

 
Ausgangslage

Das EU-Kartellrecht verbietet es Unternehmen, Vereinbarungen zu treffen oder sonstige Maßnahmen zu er­grei­fen, die geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der EU zu beeinträchtigen oder den Wett­be­werb innerhalb des Binnenmarktes einzuschränken (Art. 101 Abs. 1 AEUV). Das kartellrechtliche Verbot kann eine Vielzahl möglicher vertraglicher Regelungen betreffen, etwa Gebiets- oder Kundenbe­schränkungen, Allein­bezugsvereinbarungen, Preisvorgaben oder Beschränkungen im Hinblick auf die Ent­wicklung und Verwertung von Know How, um nur einige zu nennen.

Gleichzeitig sieht das EU-Kartellrecht durchaus weitreichende Freistellungen von jenen Verboten vor. So sind bestimmte Vertragskonstellationen, denen der EU-Gesetzgeber insgesamt wettbewerbsfördernde Wirkung zubilligt, unter bestimmten Voraussetzungen durch sog. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVOen) vom Verbot ausgenommen. Solche GVOen bestehen u.a. für Vertragshändlerverträge, Franchise-Systeme, selektive Vertriebssysteme und andere vertikale Vertriebsbeziehungen (VO (EU) 330/2010), Patent- und Know How-Lizenzverträge und andere Technologietransferverträge (VO (EU) 316/2014) sowie Forschungs- und Entwick­lungs­verträge (VO (EU) 1217/2010). Neben den GVOen gibt es zudem die Möglichkeit von Freistellungen im Einzelfall.


Auswirkungen des „Brexit” auf das Vertrags-Kartellrecht

Mit dem Brexit werden die kartellrechtlichen Verbote für Verträge zwischen Unternehmen in der EU und ihren britischen Partnern keineswegs ersatzlos wegfallen. Vielmehr bleibt das EU-Recht auch künftig unverändert anwendbar, wenn eine vertragliche Beziehung auch nach dem „Brexit” Bezug zum EU-Binnenmarkt hat, was meist der Fall ist. Für Großbritannien werden jedoch zusätzlich die nach nationalem britischem Kartellrecht bestehenden Verbote zur Anwendung kommen.

Betroffene Unternehmen müssen aber auch nicht befürchten, dass kartellrechtliche Freistellungen, die ihnen bislang zu Gute kamen, ersatzlos wegfallen. Das ergibt sich daraus, dass Großbritannien im Jahr 1998 mit dem Competition Act 1998 die bestehenden EU-GVOen in nationales britisches Recht überführt hat. Damit bestehen die GVOen auch nach dem Brexit inhaltlich fort – jedenfalls in ihrer jetzigen Form.  

Dabei handelt es sich jedoch erst einmal um eine bloße Momentaufnahme. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es durch Anpassungen – entweder des nationalen britischen oder des EU-Kartellrechts einschließlich der GVOen – im Laufe der Zeit zu einer fortschreitenden „Entharmonisierung” kommt. Das kann wiederum zur Folge haben, dass vertragliche Vereinbarungen, die nach jetzigem Stand mit dem EU-Kartellrecht konform sind, in Widerspruch zum britischen Recht geraten oder umgekehrt. Auch kann es deswegen zu unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen nach EU-Rechnung einerseits und nationalem britischen Recht andererseits kommen: Mit dem britischen Competition Act 1998 wurden zwar die wesentlichen Bestimmungen des EU-Kartellrechts in nationales britisches Recht übernommen, nicht jedoch die für die praktische Anwendung besonders wichtigen Leitlinien der EU-Kommission (z.B. die sog. „Vertikal-Leitlinien” für vertikale Vertriebsverträge).


Möglicher Handlungsbedarf

Unternehmen in der EU werden daher im Hinblick auf den Brexit nicht umhin kommen, ihre bestehenden oder künftigen Vertragsbeziehungen mit britischen Partnern in den Bereichen Vertrieb, Forschung/Entwicklung und Technologietransfer so zu gestalten, dass sie im Einklang mit den sich wandelnden Bestimmungen sowohl des EU- als auch des nationalen britischen Kartellrechts stehen.

Das gestiegene Risiko eines Kartellverstoßes beschränkt sich nicht nur auf die Verhängung von empfin­dlichen Bußgeldern durch die EU-Kommission bzw. der nationalen britischen Kartellbehörde. Vielmehr können schwerwiegende Kartellverstöße im „Worst Case” auch das Verbot und die Unwirksamkeit der gesamten Vertragsbeziehung nach sich ziehen.

Der zumeist langfristige Charakter der genannten Vertragsbeziehungen erfordert daher ein laufendes Monitoring und ggf. Vertragsanpassungen, um die fortwährende kartellrechtliche Compliance insgesamt sicherzustellen und rechtliche Nachteile zu vermeiden.

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Dr. Ralph Egerer

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